Wie das Bundesverfassungsgericht (BvfG) festgestellt hat, sind Teile des Vergabeverfahrens der Studienplätze im Fach Medizin verfassungswidrig. Der Numerus Clausus (NC) bestimmt derzeit über die Zukunft vieler Studenten, die Arzt werden möchten. Bis Ende 2019 haben die Universitäten nun Zeit, das Vergabeverfahren zu reformieren – hin zur Chancengleichheit.
Jeder Studienbewerber muss sich damit beschäftigen, ob der gewünschte Studiengang eine Zulassungsbeschränkung hat. Ist das der Fall, zerplatzen an dieser Stelle bereits einige Träume und Frust kommt auf. Berechtigt, denn ein Einser-Abitur sichert einem heutzutage keinen Studienplatz. Aber was sagt das Einser-Abi eigentlich über die fachlichen und persönlichen Kompetenzen des Einzelnen aus? Ist es nicht möglich, dass jemand ein fantastischer Arzt wird, aber Gedichtsanalysen in der Schule einfach doof fand?
Noten sind nicht alles
Für viele Berufe sind bestimmte Charakterzüge und Eigenschaften eine Voraussetzung für den Erfolg im Job. Besonders Mediziner und Psychologen sollten beispielsweise über ein gewisses Maß an Einfühlungsvermögen verfügen. Den Arzt, der scheinbar eine andere Sprache spricht und im Handumdrehen wieder aus dem Behandlungszimmer verschwunden ist, kennt sicherlich jeder. Hier wird deutlich: Es gibt Kompetenzen, die sich nicht durch einen zum NC passenden Abischnitt herausfiltern lassen. Der freiwillige Eignungstest für Mediziner ist dabei ein Ansatz in die richtige Richtung. Hier wird das medizinische Vorwissen abgefragt und man bekommt eine Ahnung davon, wie gut sich der Bewerber schon vor dem Studium mit der Materie beschäftigt hat. Der Haken: Diesen Test gibt es nicht an jeder Universität. Zudem handhaben es die Hochschulen unterschiedlich, wie Testergebnisse gewertet werden.
Der Leistungsdruck wächst
Durch die Zulassungsbeschränkung bei Studiengängen wie Medizin und Psychologie stehen zukunftsorientierte Jugendliche schon in der Schule unter einem enormen Druck. Sie wissen, dass der NC für Medizin bei 1,2 liegt und sie können sich ihren Zeugnisdurchschnitt am Ende eines jeden Jahres selbst ausrechnen. Doch was bringt das? Im nächsten Jahr kann der NC bei 1,1 oder 1,0 liegen, wenn sie Pech haben. Da nützt einem eine 1,2 auf dem Abiturzeugnis auch meist nichts, denn man ist ja schließlich nicht der Einzige mit solch einem Notendurchschnitt.
“Dann mach doch irgendwas anderes”
So einen Spruch bekommen häufig Möchtegern-Medizinstudenten zu hören, wenn es mit der Zulassung zum gewünschten Studienfach nicht geklappt hat. Wer einen besonders intelligenten (oder auch fleißigen) Jahrgang erwischt hat, dem bleibt meist nur die Entscheidung, ellenlang (und manchmal vergeblich) auf einen Studienplatz zu warten oder eben ein anderes Studienfach zu wählen. Biologie, Kunst oder vielleicht doch Englisch? Klingt für viele nicht so tragisch, aber der Betroffene wird unter Umständen nicht glücklich mit der Berufswahl. Gerade im Studienfach Medizin gilt es außerdem zu bedenken, dass man während der durchschnittlichen Wartezeit auf einen Platz bis zu zwei komplette Ausbildungen absolvieren könnte. Auch die zwei Kläger, denen das BvfG nun Recht gab, haben die Wartezeit genutzt. Beide absolvierten während ihrer zwölf bis sechzehn Wartesemester (!) medizinische Ausbildungen und wurden noch immer nicht zum Medizinstudium zugelassen.
Regulation der Studentenanzahl
Durch den “NC-Hype” bei bestimmten Studiengängen verlieren zulassungsfreie Studiengänge ihren Wert. Man musste ja nicht durch ein schwieriges Auswahlverfahren, dann kann das Studium ja auch nicht so anspruchsvoll sein, denken zumindest viele. Dabei wird oft vergessen, weshalb manche Studiengänge eine NC-Beschränkung haben: Der NC ist nicht dazu da, die besonders “Schlauen” unter allen angehenden Studenten zu finden, sondern um die Studentenanzahl zu regulieren. Die Studienfächer mit Zulassungbeschränkung sind nämlich nur beschränkt, weil es deutlich mehr Studenten gibt, als Studienplätze angeboten werden können. Zur Einordnung: 2017 wollten mehr als 40.000 Bewerber mit dem Medizinstudium beginnen – bei knapp 9000 Plätzen. Natürlich braucht es da ein Vergabeverfahren. Aber eben ein faires.
Ein Lösungsansatz?
Vielleicht können sich die Elitefächer wie Medizin etwas von anderen Vergabeverfahren abschauen: Zum Beispiel gibt es am Institut für Kunst & Kunstwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen ein Auswahlverfahren, bei dem nicht der NC eine Rolle spielt, sondern die künstlerischen Fähigkeiten der angehenden Studenten. Hier wird durch eine Mappe mit Arbeitsproben festgestellt, ob sich die angehenden Künstler für den Studiengang eignen. Zudem wird mit jedem ein persönliches Gespräch geführt. Durch Ansätze wie diese könnte man das Bewerbungsverfahren in den medizinischen Studiengängen fairer gestalten. Mit Hilfe von persönlichen Gesprächen und einem verpflichtenden (anstatt einem freiwilligen) Eignungstest könnte man herausfinden, wer den hohen Anforderungen im Studium gewachsen und für den Arztberuf wirklich geeignet ist – auch wenn der Abischnitt keine Eins an erster Stelle hat. Dieser Test muss dann an allen Hochschulen mit medizinischer Fakultät angeboten und Ergebnisse an allen Universitäten gleich gewertet werden. Außerdem sollten medizinische Vorbildungen im Vergabeverfahren zählen, auch diese müssen überall gleich gewertet werden.
Der Zeitfaktor
Die Hochschulen haben bis Ende 2019 Zeit, das Vergabeverfahren zu reformieren. Die Universitäten dazu zu verpflichten, ist ein wichtiger Schritt hin zu einem faireren Verfahren. Wie fair es wird, wird die Reform zeigen. Für viele Studienbewerber, die aktuell schon mehr Wartesemester “abgesessen” haben, als das Studium in der Regel dauert, kommt die Reform vermutlich zu spät. Denn sie müssen noch zwei weitere Jahre warten, bis die Reform vorgestellt wird und wer weiß, wie schnell diese umgesetzt wird. Werden die Vorschläge zur Reform nicht sofort durchgewinkt, weil Änderungen nötig sind, verlängert sich die Wartezeit der Betroffenen vermutlich weiter.
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