Seit ein paar Monaten gibt es in Köln ein sogenanntes Selfiemuseum. Kann das Kunst sein? Kurt-Reporterin Denise Friemann findet: Und wie! Eine ganz neue Epoche ist angebrochen. Eine Glosse.
Selfies? Keine Kunst? Wer das denkt, hat sich mit Sicherheit noch nie einen 16-jährigen Freigeist beim Schaffen seines neusten Instagram-Werkes angesehen. Clubtoiletten werden zu Fotostudios. Der eigene Körper zum abstrakten Kunstwerk – und jeder andere Nutzer zum größten Kritiker.
Aus anderen Epochen bereits bekannt, beginnt auch das Werk in der modernen Selfiekunst mit einer oft leeren Leinwand: dem Gesicht. Die Farbe – das Make Up – muss möglichst großflächig aufgetragen werden. Fachkundige nennen diese Grundierungstechnik „on fleek“ – natürlich nur, wenn sie gut gelingt und das neu entstandene Gesicht dem ursprünglichen der Person kaum bis gar nicht mehr ähnlich sieht.
Gefällt nicht jedem, vor allem denen nicht, die auch nach 5000 Schminktutorials nicht nach „Super-easy Party-Make-Up für große Auftritte in 4 Schritten“, sondern eher nach „Ich habe mir die Mascarabürste zum fünften Mal ins Auge gestochen und einfach keine Lust mehr“ aussehen.
Maximale Übertreibung für das perfekte Bild
Aber Kunst ist eben nicht bequem. Das ist nicht neu, das war sie noch nie. In vergangenen Zeitaltern mussten es bekannte Persönlichkeiten und Adelige über Stunden in rückenfeindlichen Positionen aushalten, um sich selbst ein Denkmal in Öl zu setzen.
In der Selfie-Epoche hockt man sich an Klippen, verzieht das Gesicht bis ins Groteske – und pilgert nun auch endlich mit einer Entourage von Ringleuchtenträgern und Haarebürstern zum Paradies der pinken Luftballons: dem Selfiemuseum in Köln.
Dort machen Besucher eigentlich auch nichts anderes als der Adel früher: nämlich sich auf möglichst unbequeme und unnatürliche Weise zu positionieren. Statt grünen Wandteppichen gibt es jetzt halt ein pinkes Bällebad mit Plastikflamingo. Eine total übertriebene Szenerie für das perfekte Bild. Michelangelo wäre stolz.
Dennoch steht das Selfie eher in der Tradition des Surrealismus: Wie viele große Kunstwerke aus der Epoche verfremdet es die Realität, stützt sich auf Träume und Visionen als Ausgangspunkt. Das mag durch abstruse Körperhaltungen oder die Verwandlung zum Mischwesen zwischen Mensch und Snapchat-Hund der Fall sein, hat aber immer den gleichen Zweck: sich selbst darstellen ohne dabei man selbst zu sein. Dabei reicht das Selfie in seiner Paradoxität an so manche Werke von Picasso heran.
Ein Emoji reicht als Kritik
Unumgänglich ist zu guter Letzt die Kritik der Instagramgesellschaft, der sich jedes Selfie unterziehen muss. Zu den Fachausdrücken der Epoche zählen Bewertungen von „whack“ bis „lit“, genauso wie das einfache, jedoch durchaus aussagekräftige Flammenemoji.
Und, klar, Banausen gibt es immer. Leute, die die Kunst nicht verstehen, sie als lächerlich abtun oder sich erst gar nicht damit beschäftigen wollen. Ewig Gestrige eben. Zurück bleiben die wahren Kenner, oftmals haben sie sich selbst an einfachen Motiven wie dem Duckface und dem schüchternen zur Seite gucken versucht. Bewundernd schauen sie zu ihren Vorbildern, den großen Selfiekünstlern, die mit der Konfettikanone und dem pinken Plastikflamingo Meisterwerke geschaffen haben.
Was also sollte an einem Selfie keine Kunst sein, wo es doch alle Merkmale einer künstlerischen Epoche aufweist? Ein ranziger Butterberg in einer Ecke hat wohl kaum mehr Sinn ergeben.
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