Kommentar: Gebt den Pflegekräften einen Tag mehr!

2500 Isländer*innen haben für eine Studie nur noch vier Tage die Woche gearbeitet – bei vollem Gehalt. Wissenschaftler*innen sehen die Ergebnisse als einen „überwältigenden Erfolg“ an. Unsere Autorin fordert die Vier-Tage-Woche auch für alle Pflegkräfte in Deutschland.

Der Corona-Applaus ist schon lang verhallt und die Pflegkräfte sind immer noch unterbezahlt und überarbeitet. Spätestens seit der Corona-Pandemie muss auch der Letzte verstanden haben, wie wichtig Pflegekräfte sind. Für unser Land, für das Gesundheitssystem und für jeden Einzelnen individuell.

Entlastung für die Pflege

Viele meiner Freund*innen arbeiten im Pflegebereich. Ich bekomme aus ihren Erzählungen mit, wie viel Sie leisten, was für „Unverschämtheiten“ sie sich manchmal anhören müssen, wenn Herr XY das Krankenhaus mit einem 5-Sterne-Hotel verwechselt und wie kaputt sie sind, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommen. Deswegen müssen wir uns endlich um die kümmern, die sich tagtäglich um uns kümmern. Eine 4-Tage-Woche wäre ja zumindest ein Anfang.

“Die Situation kann gerade nicht schlimmer werden!”

Zitat von Fee, 23, Krankenpflegerin

Ein Prozent der isländischen Bevölkerung durfte im Auftrag der Regierung nur noch vier Tage die Woche arbeiten. Sie haben gleich viel verdient, hatten aber anstatt einer 40-Stunde-Woche nur noch eine mit 34 Stunden. Die große Angst der Wirtschaftsbosse: Die Produktivität würde sinken, hat sich nicht bestätigt. Die Studie zeigt: Weniger arbeiten muss nicht unbedingt weniger Produktivität heißen. Durch die Vier-Tage-Woche haben die Arbeitnehmer*innen konzentrierter und effizienter gearbeitet.

Laut der Forscher*innen wurde viel Zeit an langen Meetings eingespart. Entweder wurden die Meetings verkürzt oder ganz durch kurze Mails und Telefonate ersetzt. Auch auf unnötige Kaffeepausen wurde verzichtet.

Der Beruf muss attraktiver werden

Aber lieber Herr Spahn, verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, falls Sie das hier lesen sollten. Das darf natürlich nicht heißen, dass Pflegekräften die gleiche Arbeit von fünf Tagen in vier Tagen leisten müssen. Das geht vielleicht in einer Werbeagentur, aber nicht bei der Arbeit am Menschen. Weitere Stellen und Pflegekräfte müssen her. Und ja, das kostet Geld. Aber der Staat könnte ja das Geld, was er sinnlos für unbrauchbare Brücken oder Feuerwehrautos, die nicht fahren können, ausgibt, für neue Pflegkräfte einplanen. Weil die Aussage: „Wir haben kein Geld dafür!“, ist meiner Meinung nach schlichtweg ne Lüge! Die Prioritäten müssen nur anders gesetzt werden.

“Natürlich müssen die Stunden im Krankenhaus von Kolleg*innen abgefangen werden und wenn man die viertägige Arbeitswoche langfristig denkt, müssten da neue Stellen geschaffen werden. Aber Pfleger*innen, die genügend Zeit für Erholung, Freunde und Familie haben, sind in der tatsächlichen Arbeitszeit eben auch leistungsfähiger.”

Zitat von Jack Kellam, Co-Autor eines Berichts über das isländische Experiment einer kürzeren Arbeitswoche im Interview mit der Zeit.

Wenn wir die Vier-Tage-Woche im Pflegebereich einführen würden, dann würde der Pflegeberuf attraktiver werden. Dann würden nicht jede*r Dritte*r wieder aus dem Pflegeberuf aussteigen.  Vielleicht würden die Pflegekräfte nicht mehr so häufig krank werden. Und vielleicht, aber nur ganz vielleicht gäbe es wieder genug Fachkräfte.

Krankenstand in der Pflege
Beschäftigte in pflegenden Berufen sind im Vergleich zu allen Berufen

  • … häufiger im Jahr krankgeschrieben,
  • … fallen pro Krankschreibung häufiger länger als sechs Wochen aus,
  • … überproportional von Muskel/Skelett-, psychischen Erkrankungen und Atemwegserkrankungen wie Erkältungen und Grippe betroffen

Quelle: Drupp M., Meyer M. (2020) Belastungen und Arbeitsbedingungen bei Pflegeberufen – Arbeitsunfähigkeitsdaten und ihre Nutzung im Rahmen eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements. In: Jacobs K., Kuhlmey A., Greß S., Klauber J., Schwinger A. (eds) Pflege-Report 2019. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-58935-9_2

Durch die verkürzte Arbeitswoche sank das Risiko eines Burnouts signifikant bei den Teilnehmer*innen und sie fühlten sich weniger gestresst. Die Work-Life-Balance verbesserte sich. Die Teilnehmer*innen nahmen sich mehr Zeit für Familie, Hobbys und ehrenamtlichen Aktivitäten.

Natürlich will ich die Vier-Tage-Woche auch nicht als Rundum-Heilmittel romantisieren, aber es wäre immerhin ein Instrument, um die Menschen zu entlasten. Meine Freundin Fee arbeitet in Köln als Krankenschwester und findet die Idee einer Vier-Tage-Woche super! Sie wüsste auch schon ganz genau, was sie mit ihrem zusätzlichen freien Tag anfangen würde…

„Ich würde wahrscheinlich Wäsche waschen, saugen und wischen, halt so nützlichen Kram, damit ich dann die anderen zwei Tage ganz für mich und meine Freunde und Spaß reservieren kann.“

Liebe Leser*innen, falls ihr euch nun denkt: „Ey, mir geht es doch genauso. Ich brauch auch einen zustätzlichen Tag frei!“, dann habt ihr wahrscheinlich Recht damit. Natürlich ist nicht nur die Pflege von Überarbeitung und zu wenig Geld betroffen. Aber meiner Meinung nach hat die Pflege diesen zusätzlichen freien Tag am meisten verdient. Und vielleicht bin ich auch ein klein wenig egoistisch. Es ist halt auch irgendwie ein Investment für unser aller Zukunft. Denn machen wir uns nichts vor…Am Ende landen die meisten von uns mit Schlabberlatz im Altersheim. Und dann wünsche ich mir von kompetenten, nicht überarbeiteten und gut bezahlten Pflegekräften versorgt werden. Also her mit der Vier-Tage-Woche.

Teaser- und Beitragsbild  von Darko Stojanovic // Pixabay

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