Veränderungen im Erbgut haben Folgen – für das Kind und für die Eltern. Aktuell wird darüber diskutiert, ob die Krankenkassen einen Bluttest bezahlen sollen, mit dem Ärzte schon während der Schwangerschaft genetische Veränderungen erkennen können. Kritiker sind gegen den Test, weil sie fürchten, dass Abtreibungen von Babys mit Trisomie 21, dem sogenannten Down-Syndrom, zunehmen würden. Der Test kann aber noch viel mehr erkennen als Trisomien. Darüber spricht kaum jemand. Ein Kommentar.
Seit einigen Wochen ist der pränataldiagnostische Bluttest in der öffentlichen Debatte. Pränataldiagnostik bedeutet, dass Ärzte schon während der Schwangerschaft herausfinden können, ob ungeborene Babys Krankheiten oder genetische Veränderungen haben. Der Bluttest wird in der Öffentlichkeit häufig als Test auf Trisomie 21 bezeichnet, manchmal auch als Test auf Trisomien im Allgemeinen. Trisomien sind genetische Veränderungen, bei denen ein Chromosom nicht wie normal doppelt, sondern dreifach vorliegt.
Der Test ist in Deutschland bereits seit 2011 zugelassen, es geht in der aktuellen Diskussion darum, unter welchen Umständen die Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Für den Test wird der Schwangeren Blut abgenommen, denn im Blut der Mutter ist auch immer ein bisschen DNA des Kindes. Sie kann durch den Bluttest analysiert werden.
Privatpatientinnen bekommen ihn bei Risikoschwangerschaften bereits bezahlt. Der Test darf, unter bestimmen Umständen, auch aus der eigenen Tasche bezahlt werden. Er kostet durchschnittlich rund 600 Euro, viele Kassenpatientinnen können sich das jedoch nicht leisten.
Diskussion über Abtreibungen und Selbstbestimmung
Die Kostenübernahme wird so intensiv diskutiert, weil Kritiker Bedenken haben, dass sie zu mehr Abtreibungen von Trisomie-Schwangerschaften führen könnte. Es ist eine Grundsatzdebatte, um den Wert von Leben, um Gleichberechtigung und die Entscheidungsfreiheit des Individuums. Das Thema ist so heikel, dass am 11. April 2019 eine Orientierungsdebatte im Bundestag geführt wurde, ohne Fraktionszwang und ohne endgültigen Beschluss.
In der Debatte geht ein entscheidender Faktor jedoch unter. Der Bluttest kann mehr als nur Trisomien erkennen. Er erkennt grundsätzliche Veränderungen in der Chromosomenanzahl. Ein menschliches Genom besteht normalerweise aus 23 Chromosomenpaaren. Wenn beispielsweise das 21. Chromosom nicht doppelt, sondern dreifach vorliegt, können Ärzte das durch den Test herausfinden. Dasselbe funktioniert bei Trisomie 18 und 13, sowie theoretisch auch bei Trisomien auf allen anderen Chromosomen, diese führen jedoch in der Regel immer zu Fehlgeburten. Mit einer Ausnahme: dem Geschlechts-Chromosom.
Eine Veränderung auf dem Geschlechts-Chromosomenpaar, also bei Frauen XX und bei Männern XY, ist oft nicht tödlich. Durch die Kombinationsmöglichkeiten gibt es vier verschiedene Syndrome, die sich aus den Veränderungen ergeben können. Das Klinefelter-, Turner-, Triple-X- und das XYY-Syndrom. Bei all diesen Syndromen ist es wichtig, dass sie früh erkannt werden. Durch den pränatalen Bluttest können die Syndrome noch im Mutterleib diagnostiziert werden. Nur durch das Wissen um die Chromosomenveränderung kann den Kindern früh und effektiv geholfen werden.
Klarheit ermöglicht schnelle Hilfe
Bei der Entdeckung von Trisomie 21 wird in neun von zehn Fällen schon heutzutage abgetrieben. Doch trotz der Argumente der Kritiker des Bluttests ist es unfair gegenüber der Minderheit an Kindern mit anderen Syndromen, dass der Test nicht von den Krankenkassen gezahlt wird. Bleiben die Syndrome unbemerkt, können die Kinder später erhebliche Probleme bekommen. Mit dem Wissen um die genetische Veränderung kann ihnen aber oft effektiv geholfen werden.
Der Bluttest ist zugelassen, es geht nur noch um die Bedingungen der Übernahme durch die gesetzlichen Kassen. Sollten die Bedingungen anders ausfallen als bei privaten Kassen, stehen wir vor einem weiteren Problem. Warum sollen Eltern mit weniger Geld geringere Möglichkeiten haben, sich über den gesundheitlichen Zustand ihres Kindes zu informieren? Das klingt nach einer inakzeptablen Zweiklassengesellschaft.
Der Bluttest gibt Hinweis auf eine weitere Chromosomenveränderung, die wie die Trisomien 21, 18 und 13 nicht auf dem Geschlechtschromosom liegt, sondern auf dem 22. Chromosom, das DiGeorge-Syndrom. Dabei fehlt ein kleines Stück des Chromosoms. Betroffene haben in fast 80 Prozent der Fälle angeborene Herzfehler und in 75 Prozent der Fälle eine Immunschwäche. Es können Lernschwierigkeiten und psychiatrische Störungen auftreten.
Nur bei früher Erkennung des Syndroms kann eine vorausschauende medizinische Begleitung gewährleistet werden. Wenn man also durch den Bluttest einen Hinweis auf dieses Syndrom erhält und sich der Verdacht durch weitere Untersuchungen bestätigt, kann den Kindern von Lebensbeginn an geholfen werden. Das ist extrem wichtig für die Entwicklung der Kinder!
Wie auch für die anderen genetischen Veränderungen gilt für den Bluttest: Bei Auffälligkeiten können weitere Tests gemacht werden, was jedoch auch bei Hinweisen auf Trisomien getan wird. Bestätigung liefern meist invasive Maßnahmen wie eine Fruchtwasseruntersuchung, Plazentapunktion oder Nabelschnurblutentnahme.
Wer entscheidet: Mutter oder Gesetzgeber?
Anomalien werden auch heute schon gefunden, bei gesetzlich versicherten Patientinnen nur mit riskanteren Untersuchungen. Eingriffe wie die Fruchtwasseruntersuchung können zu Fehlgeburten führen, das passiert in 0,5 bis 3 Prozent der Fälle. Wird bei einer Auffälligkeit im Ultraschall erst ein Bluttest gemacht und dieser ist negativ, kann eine gefährliche invasive Maßnahme verhindert werden.
Es ist wichtig, dass diese Informationen in die öffentliche Debatte einbezogen werden. Menschen mit Syndromen durch genetische Veränderungen kann nur effektiv geholfen werden, wenn ihre Anomalien so früh wie möglich erkannt werden. Es ist nicht fair, das irgendjemandem vorzuenthalten, nur weil die Person sich keine private Krankenversicherung leisten kann.
Die Kritik an dem Bluttest wird oft damit begründet, dass Leben geschützt werden soll. Die Sorge ist, dass mehr Kinder abgetrieben werden. Bei Gentests geht es jedoch auch um Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Wie die Menschen sich im Endeffekt entscheiden, ist die ethische Frage des Einzelnen. Die persönlichen Gründe sind so individuell, dass es immer die Mutter sein sollte, die die Entscheidung trifft. Nicht eine gesetzgebende Instanz.
Beitragsbild: Unsplash/@freestocks
Sie schreiben:
Nur durch das Wissen um die Chromosomenveränderung kann den Kindern früh und effektiv geholfen werden.
Mich würde interessieren:
Was heißt „nur“ „früh“ und „effektiv“ ?