Claus Fussek: „Pflegt so, wie ihr gepflegt werden wollt!“

Claus Fussek hat eine andere Meinung zum Pflegenotstand - die Leidenden sind die Patienten und Patientinnen. Foto: Marcus Schlaf
Claus Fussek ist Sozialpädagoge und Pflegeexperte. (Foto: Marcus Schlaf)

Die Pflegekräfte in Deutschland klagen über Zeitdruck, Arbeitsbedingungen und zu geringe Bezahlungen. Claus Fussek ist anderer Meinung: „Die Probleme sind hausgemacht. Ich fordere die Pflegekräfte in die Verantwortung. Denn nur sie können etwas ändern.“

Claus Fussek beobachtet seit 30 Jahren die Pflegeszene. Er ist Sozialpädagoge und hat drei Bücher zum Thema Pflege geschrieben. Der Münchner versucht die Gesellschaft immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass es in der Pflege Probleme gibt. Er sieht die schwierigen Arbeitsbedingungen, sagt aber, dass sie hausgemacht seien. „Die Pflegekräfte stehen natürlich unter Zeitdruck, aber fälschen dann die Dokumentation. Es sieht aus, als wäre alles in Ordnung. Ich frage mich wieso? Wenn die Pflegekräfte nur das aufschreiben würden, was sie leisten können, werden die strukturellen Probleme, wie Zeitdruck oder zu viele Aufgaben, deutlicher.“

Claus Fussek ist selbst betroffen

Täglich erreichen Claus Fussek neue Hilferufe von Pflegekräften, sagt er. „Die drehen durch. Denn sie wissen, dass etwas schiefläuft, trauen sich aber nicht etwas zu ändern.“ Wenn jemand dann doch etwas an den aktuellen Zuständen ändern will und deswegen zum Beispiel zur Heimaufsicht geht, würde sofort das Mobbing unter den Kolleginnen und Kollegen starten. Das hat Fussek mehrmals beobachtet. Dann werde man nämlich zum „Nestbeschmutzer“. Er habe die Stimmung unter den Pflegenden selbst erlebt: Seine beiden Eltern müssen bzw. mussten gepflegt werden. Seinen Vater hat er mit seinem Bruder bis zum Tod zuhause gepflegt. Jede Pflegekraft, mit der er gesprochen habe, hatte ihm von einem Pflegeheim abgeraten: „Weil sie die Umstände kennen. Sie wissen, dass in vielen Pflegeheimen nicht gut gearbeitet wird.“

Dennoch konnte er den Schritt bei seiner Mutter nicht umgehen. Sie muss stationär gepflegt werden. „Meine Mutter war in einer Einrichtung, in der sie rund um die Uhr den Pflegekräften ausgeliefert war. Es wurde nicht richtig gepflegt, sich nicht richtig gekümmert. Ich wollte etwas unternehmen, etwas sagen, meiner Mutter helfen. Aber sie hat mir in die Augen gesehen und gesagt: ‚Ich hab‘ solche Angst vorm Personal, bitte sag nichts!‘“ Sie wollte keine Sonderbehandlung. Nachdem seine Mutter dort entlassen wurde, hat Fussek das erste und einzige Mal etwas gesagt: „Schämt euch!“

“Die Pflegekräfte denken zu sehr an sich selbst, statt an die Patienten”

Die größten Schwierigkeiten sieht Fussek in der Struktur der Pflege und in den menschlichen Problemen. „Natürlich herrschen Personalmangel, Zeitdruck usw. Aber auch der Faktor Mensch spielt eine große Rolle“, erklärt Fussek. Von fehlender Kommunikation bis hin zu Mobbing unter den Kolleginnen und Kollegen. Außerdem seien die Pflegekräfte viel zu sehr mit ihrem eigenen Leid beschäftigt. „Sie sagen, sie haben keine Zeit für ein freundliches Wort mit den Patientinnen und Patienten. Aber dafür über ihre ‚schlimme‘ Situation zu jammern, haben sie Zeit.“, sagt Fussek. Der Kern der Probleme liege woanders: bei den Pflegebedürftigen, Alten, Kranken, Sterbenden. „Sie werden ‚in die Betten gepflegt‘, weil das lukrativer ist. Wenn ein Mensch zum Beispiel einen Oberschenkelhalsbruch hat, wird die Heilung hinausgezögert. Die Versorgung bringt eben Geld“, sagt der Sozialpädagoge.

Ein Thema – verschiedene Meinungen

Fussek vertritt mit seiner Meinung eine andere Position als viele Politikerinnen und Politikern.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen Katrin Göring-Eckardt spricht im Bundestag von einem Pflegenotstand, der sowohl die Pflegekräfte als auch die Pflegebedürftigen betreffe. Anfang Juni hat Göring-Eckardt bei einer Debatte gesagt: „Sie werden für die schwere Arbeit zu wenig bezahlt und zu wenig geschätzt.“ Sie fordert eine Pflege-Bürgerversicherung. In die sollen alle solidarisch einzahlen, damit die Pflegekräfte bessere Gehälter bekommen.

Der Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht die Probleme sowohl bei den Pflegebedürftigen und Angehörigen als auch bei den Pflegekräften selbst. Konkret sagte Spahn gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio, dass er einen höheren Mindestlohn für Pflegekräfte fordert. Angemessen seien hier „gute 14 Euro, die dann immer noch wirklich nur ein Mindestlohn sind“. Geplant seien auch eine bessere Ausbildung und mehr Unterstützung für Pflegebedürfte und Angehörige.

Den Pflegenotstand sieht auch die SPD. Sie fordert für die Pflegerinnen und Pfleger einen Tarifvertrag, der allgemeingültig ist für die gesamte Branche. Der Pflegemindestlohn liegt aktuell bei 11,05 Euro pro Stunde in den alten und bei 10,55 Euro in den neuen Bundesländern.

Ist eine zu geringe Bezahlung das Kernproblem der Pflege? Nein, sagt Fussek. Er kritisiert direkt die Pflegekräfte und deren Arbeit und fordert von ihnen: „Mobilisiert euch! Schließt euch zusammen! Geht in eine Gewerkschaft und kämpft dann für eure Anliegen, wie zum Beispiel bessere Arbeitsbedingungen oder Tarife. Und vor allem: Pflegt so, wie ihr gepflegt werden wollt.“

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