Freiwillige Feuerwehr, Schöffen, Deutsches Rotes Kreuz, Jugendtrainer im Sportverein oder Bürgermeister auf dem Dorf – ein großer Teil der deutschen Gesellschaft ist darauf aufgebaut, dass Menschen sich ehrenamtlich engagieren. Wie viele Menschen sind das? Wo engagieren sie sich? Was treibt sie an? Und wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf das ehrenamtliche Engagement aus? Darum geht es in diesem KURT-Spezial.
Gerade jetzt während der Corona-Pandemie wollen extrem viele Menschen sich freiwillig engagieren. Sie wollen anpacken und helfen. Sanitäter von der freiwilligen Feuerwehr retten Leben. Andere Menschen erledigen Einkäufe für ältere Menschen, die ihr Haus derzeit nicht verlassen können. Und wieder andere nähen Mundschütze, helfen bei den Tafeln aus oder unterstützen die Fieberambulanzen bei den Corona-Tests. Die Solidarität ist groß. Es zeigt sich ein enormer gesellschaftlicher Zusammenhalt. Nachrichtensendungen sind voll von Projekten, bei denen Menschen Hilfe und Unterstützung anbieten. Vermutlich auch deshalb, weil viele Menschen im Moment mehr Zeit als normal haben. Schüler und Studierende waren viele Wochen zu Hause, Arbeitnehmer in Kurzarbeit.
Ehrenamt hält unsere Gesellschaft zusammen
Viele Menschen wollen freiwillig Gutes tun. Ohne das Ehrenamt wären viele Dinge in unserer Gesellschaft gar nicht möglich. Was wäre ein Sportverein ohne Trainer? Wer löscht den Brand in einem kleinen Dorf, wenn nicht die freiwillige Feuerwehr?
Aber wie viele Menschen engagieren sich eigentlich freiwillig für die Gesellschaft? In welchem Alter sind sie besonders aktiv und wie hat sich das im Laufe der Jahre verändert? Um diese Fragen zu beantworten, haben wir das sogenannte Deutsche Freiwilligensurvey ausgewertet. Das Freiwilligensurvey ist eine Befragung, die vom Bundesfamilienministerium finanziert wird. Darin fragt ein Umfrageinstitut seit 1999 alle fünf Jahre die Menschen in Deutschland per Telefon, ob und wie sie sich ehrenamtlich engagieren. Die aktuellsten Zahlen gibt es aus dem Jahr 2014 – die von 2019 erscheinen erst Ende 2020, sagt eine Sprecherin des Ministeriums. Unsere Grafiken und Informationen in diesem Themenspezial basieren also auf der Studie aus dem Jahr 2014.
Befragung zum ehrenamtlichen Engagement
Das Freiwilligensurvey gilt als größte repräsentative Befragung zum freiwilligen Engagement in Deutschland. Bezahlt wird die Studie vom Bundesfamilienministerium. Die Daten für das vierte Survey hat das infas Institut für angewandte Sozialwissenschaften zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Altersfragen durchgeführt. Die Wissenschaftler haben dabei knapp 29.000 Menschen telefonisch interviewt.
Damit eine Studie als repräsentativ gilt, müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein. Zum Beispiel muss gewährleistet sein, dass die Stichprobe die Merkmale der Grundgesamtheit widerspiegelt. Konkret bedeutet das: Befragt man 29.000 Menschen, müssen die nach wissenschaftlichen Kriterien so ausgewählt sein, dass die Befragung einen Rückschluss auf alle zulässt, über die man eine Aussage treffen will – also die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland.
43,6 Prozent engagieren sich freiwillig
Die wichtigste Zahl der Studie zu Beginn: Laut Freiwilligensurvey engagieren sich 2014 in Deutschland insgesamt 43,6 Prozent aller Einwohner ab 14 Jahren freiwillig. Das sind knapp 31 Millionen Menschen. Die Beteiligung am ehrenamtlichen Engagement unterscheidet sich je nach Bevölkerungsgruppe. Bei den Männern sind zum Beispiel 45,7 Prozent ehrenamtlich aktiv. Bei den Frauen sind es etwas weniger: nur 41,5 Prozent.
Und auch geografisch gibt es Unterschiede. Die meisten Ehrenamtler gibt es mit knapp 50 Prozent in Rheinland-Pfalz. Ein Grund dafür könnte die dortige Einstellung der Landesregierung aus SPD, FDP und Grünen sein. Ehrenamtliche in Rheinland-Pfalz erhalten zum Beispiel eine sogenannte Ehrenamtskarte, mit der man günstiger in Schwimmbäder, Museen und viele andere Einrichtungen kommt. Außerdem gibt es zahlreiche Auszeichnungen für ehrenamtlich aktive Menschen in Rheinland-Pfalz.
Nordrhein-Westfalen liegt im Vergleich der Bundesländer mit gut 40 Prozent auf Platz 10. Die wenigsten Menschen engagieren sich laut der Studie in Hamburg – dort sind es nur etwa 36 Prozent.
Menschen zwischen 14 und 50 Jahren sind diejenigen, die am aktivsten sind, wenn es um ehrenamtliches Engagement in Deutschland geht – in den Altersgruppen von 14 bis 29 Jahre und von 30-49 engagieren sich jeweils etwa 47 Prozent. Aber auch die Menschen zwischen 50 und 64 sind ziemlich aktiv: hier engagieren sich noch gut 45 Prozent.
Besonders interessant: Was machen all diejenigen eigentlich, die ein Ehrenamt ausüben? Knapp die Hälfte aller Ehrenamtlichen engagiert sich für Kinder und Jugendliche. Neun Prozent davon zum Beispiel in der Schule oder im Kindergarten.
Etwa siebeneinhalb Prozent sind in der Kirche aktiv, dreieinhalb in der Politik und knapp drei Prozent bei der freiwilligen Feuerwehr oder beim Rettungsdienst.
Die Helfer des Deutschen Roten Kreuzes haben wir einen Tag lang bei ihrer Arbeit begleitet. Die Reportage haben wir am Rosenmontag gedreht – also bevor die Corona-Maßnahmen in Deutschland in Kraft getreten sind.
Über die Jahre hat das ehrenamtliche Engagement in Deutschland deutlich zugenommen. 1999 waren laut dem Freiwilligensurvey 34 Prozent der Menschen in Deutschland freiwillig engagiert. 2014 waren es 44 Prozent. Die Wissenschaftler vermuten, dass das mit einem größeren öffentlichen Interesse an diesem Thema zusammenhängt. Sie sagen, dass das Ehrenamt sowohl in politischen Diskussionen als auch in der Öffentlichkeit eine größere Rolle spielt.
Diese These bestätigt vermutlich auch der Blick auf die Corona-Pandemie. Fast in jeder deutschen Stadt gibt es derzeit ein Internetportal, wo Menschen nach ehrenamtlichen Helfern suchen können – oder ehrenamtlich Hilfe anbieten. In Nordrhein-Westfalen gibt es sogar eine Übersichtsseite der Landesregierung mit zahlreichen Links und Tipps, was man tun kann, wenn man sich jetzt engagieren will. Einige Experten vergleichen das Engagement während der Corona-Pandemie mit dem während der Zeit im Jahr 2015, als viele Geflüchtete nach Deutschland kamen.
Von 1999 bis 2014 ist das ehrenamtliche Engagement in Deutschland um 10 Prozentpunkte angestiegen. Menschen engagieren sich also immer öfter für die Allgemeinheit und für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft – vor allem in Krisen wie der Corona-Pandemie. Ehrenamtliche sind aus vielen Bereichen nicht mehr wegzudenken. Ende des Jahres gibt es neue Zahlen. Experten erwarten auch hier einen weiteren Anstieg. Das zeigt: Ohne das Ehrenamt wäre unsere Gesellschaft nicht die gleiche. Dann gäbe es keine Tafeln, keinen Besuchsdienst für Altenheime, Kleiderspenden kämen nicht an und Jugendfußballmannschaften hätten keinen Trainer. Unvorstellbar. Gut also, dass es so viele Menschen gibt, die etwas tun wollen für den Zusammenhalt der Gesellschaft in Deutschland.
Beitragsbild: Moritz Steegmaier, KURT