(K)ein gelobtes Land – Was ist eigentlich aus den Flüchtlingen geworden?

Abdul (2.v.r.) hilft in seiner Freizeit beim Train of Hope

Der neunzehnjährige Syrer Abdul teilt jede Woche einen Abend lang Essen an Obdachlose aus. Über eine Aktion der Hilfsorganisation „Train of Hope“ kümmert er sich mit anderen Geflüchteten um Menschen auf der Straße. Abdul kann mittlerweile etwas zurückgeben. Das trifft aber nicht auf alle Flüchtlinge zu, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland kamen.

„Da vorne hinter der Ecke, da sammeln sich manchmal ein paar Jungs, die hat es schwerer getroffen als uns. Das sind Flüchtlinge. Schau da sind sie.“, während er erzählt, deutet Abdul schon zu einer kleinen Gruppe zusammengekauerter junger Männer, die an den Backstein des U-Turms gelehnt sind. Abdul verteilt häufiger Essen an die Jungs. Der Austausch verläuft wortlos.

Dann fallen die ersten Regentropfen auf graue Betonplatten. Die Jungen, die nicht älter als Abdul scheinen, ziehen sich gleichzeitig die Kapuzen über und rücken mit der kleinen Spende unter einem schmalen Vordach zusammen. „Die sitzen hier immer. Kamen irgendwann nach Deutschland und sind vor kurzer Zeit auf der Straße gelandet.“ Diese Station hinterlässt bei Abdul immer wieder ein mulmiges Gefühl. Wäre sein Leben nur ein wenig anders verlaufen, könnte auch er jetzt im Regen Reis aus Alu-Schalen löffeln, sagt Abdul. Dass Abdul es in Deutschland geschafft hat, ist keine Selbstverständlichkeit.

Asyl in Deutschland bedeutet sozialen Abstieg für Geflüchtete

Seit 2015 sind laut BAMF 1,2 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Von denen können die meisten auch nach fünf Jahren noch nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Syrer bilden in Deutschland die größte Zuwanderungsgruppe. In Syrien herrscht bis heute noch Krieg. Das bedeutet für sie: Sie müssen sich in Deutschland zurechtfinden. Das ist nicht immer einfach, denn Deutschland ist für Flüchtlinge keinesfalls ein „gelobtes Land“. Asyl bedeutet für viele Flüchtlinge sozialen Abstieg. Laut einer Studie des „Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung“ (IAB) hat knapp die Hälfte der Geflüchteten, die nach 2015 hierher gekommen sind, auch einen Job gefunden. Die wenigsten von ihnen konnten dabei ihre Einkommensniveau relativ zu dem, das sie in ihrer Heimat hatten, verbessern. Denn obwohl mehr als die Hälfte der Geflüchteten berichtet haben, dass sie ihren Bildungsstand gehalten oder verbessert haben, arbeiten laut der IAB-Studie 43 Prozent der Befragten unter dem Anforderungsniveau ihrer vorherigen Tätigkeit.

Die Jungs am Dortmunder U haben den Sprung nicht geschafft. Ein beträchtlicher Teil der Geflüchteten geht von deutschen Schulen ohne Schulabschluss ab. Ohne Arbeit, festen Wohnsitz und Familie kann das auch leicht zur Wohnungslosigkeit und sozialem Ausschluss führen. Wer in der Schule nicht mitkommt, landet wieder im Lager und eventuell sogar auf der Straße. Laut einer Hochrechnung der „BAG Wohnungslosenhilfe“ befanden sich im Jahr 2017 rund 650.000 Obdachlose in Deutschland, ca. 375.000 von ihnen sind nach der Schätzung Asylsuchende. Das schließt auch Asylanten ein, die ohne festen Wohnsitz in einem Auffanglager leben.

Wer sich integrieren will, muss kreativ werden

Abdul hingegen ist froh, Anschluss gefunden zu haben. Er hat dieses Jahr mit neunzehn Jahren einen Gymnasialschulabschluss gemacht. Danach möchte er studieren. Doch das kommt nicht von ungefähr. Er hat hart für jede Note gekämpft und viel gelernt. Allein die Sprache war in den ersten Jahren eine große Schwierigkeit, die er überwinden musste.

Man müsse richtig kreativ werden, wenn man Anschluss zu den Deutschen finden möchte, sagt er. Abdul musste sich auch anstrengen, neue Menschen außer anderen Flüchtlingen kennenzulernen. Dabei hat er sich auf eine Stelle als Statist im Essener Grillo-Theater beworben und wurde unverhofft auch angenommen. „Da habe ich die meisten Menschen getroffen, die mir helfen konnten, sich in Deutschland zurechtzufinden.“ Soziale Kontakte zu pflegen, sieht er als wichtigstes Mittel, in diesem Land weiterzukommen: „Wer die nicht hat, der hat ein Problem.“

Viele Fragen und viel Frust – Die Corona-Pandemie verändert das Leben der Geflüchteten

Auch bei der Flüchtlingshilfe hat sich mit der Corona-Pandemie viel geändert. (Foto: Robert Bielefeld)

Auch bei der Flüchtlingshilfe hat sich mit der Corona-Pandemie viel geändert. Neuankömmlinge brauchen Hilfe. Die bekommen sie oft über Hilfsorganisationen wie den „Train of Hope“ in Dortmund. Sie geben den Flüchtlingen die Möglichkeit, etwas Gutes zu tun und sich beschäftigt zu halten. Aber sie helfen ihnen auch, sich in Deutschland besser zurechtzufinden. Dazu gibt es regelmäßige Beratungsangebote, die seit 2015 auch immer gut ausgelastet sind. Doch mit der Corona-Pandemie und vielen neuen Regeln und Anweisungen verändert sich einiges für Geflüchtete in Dortmund.

„Auf einmal waren die Sitzungen alle leer, keiner kam mehr, aber Unterstützung brauchen sie trotzdem.“, berichtet einer der anwesenden Ratgeber. Sie helfen den Geflüchteten in kleinen Gruppensitzungen, sich zurechtzufinden. Für die Geflüchteten ist das neue Leben in Deutschland pausiert, da stößt man auf Frustration und viele Fragen, endet der Ratgeber.

„Ich habe so viele Leute dort kennengelernt, mit denen ich mich jetzt auf einmal nicht treffen kann.“

Die Arbeit bei der Hilfsorganisation schätzt Abdul sehr. Sie hält ihn in dieser Zeit beschäftigt. Doch auch wenn er jetzt die Zeit hat, Gutes zu tun, trauert er seinem Alltag auch nach. Während der Pandemie sind ihm viele Zugänge zur Gesellschaft auf einmal verschlossen geblieben. Auch seine Arbeit im Grillo-Theater leidet darunter. Die Proben finden seit den Hygienemaßnahmen nicht mehr statt „Es ist einfach nur schade, ich habe so viele Leute dort kennengelernt, mit denen ich mich jetzt auf einmal nicht treffen kann.“

Alles eine Frage der Integration

Trotzdem strahlen Abdul und die Helfer vom Train of Hope alle Zuversicht aus. „Es ist alles eine Frage der Integration, wer sich hier gut einlebt, packt die Krise auch“, kommentiert einer von Abduls Kollegen, die mit ihm heute das Essen austeilen. Doch immer, wenn das Gespräch auf die fällt, die erst seit kurzer Zeit in Deutschland Fuß fassen müssen, zögern sie.

Beitragsbild: Robert Bielefeld

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