Corona-Pandemie, Klima-Krise – wie soll ich jetzt noch reisen?

Unser Reiseverhalten verändert sich immer weiter. Hinzu kommen Debatten über Massentourismus, die Klimakrise und Corona. Dürfen wir bald gar nicht mehr reisen? Oder gibt es Alternativen?

Ein langer, menschenleerer Strand. Der Blick wandert von saftig-grünen Palmen über den strahlend-weißen Sand bis zum türkis glitzernden Wasser. Aber irgendetwas fehlt. Wo ist das leise Rauschen der Wellen? Das Zwitschern der Paradiesvögel? Die Wärme der Sonnenstrahlen?

Ein Südsee-Panorama vor Augen, aber mit dem Körper irgendwo in Deutschland – eine Virtual-Reality-Brille macht es möglich. Innerhalb von Sekunden reisen Nutzer*innen so an Orte, die unzählige Flugstunden entfernt liegen. Sehen so unsere Reisen der Zukunft aus? Der CO2-Ausstoß von Flugzeugen und Kreuzfahrtschiffen sowie die Müllverschmutzung an Stränden und in Städten sind nur zwei Aspekte, die gegen das Reisen sprechen. Hinzu kam im Frühjahr 2020 die Corona-Pandemie. Digitales Reisen war für mehrere Monate eine der wenigen Optionen, da Flugzeuge am Boden blieben, Unterkünfte nicht gebucht werden durften und die inner- wie außereuropäischen Grenzen geschlossen waren. Auch nach der Pandemie kann digitales Reisen eine von mehreren Alternativen für Urlauber*innen sein.

Sind VR-Brillen die Reisezukunft?

Online können Besitzer*innen einer Virtual-Reality-Brille über verschiedene Internetseiten Orte und Sehenswürdigkeiten digital besichtigen. Der TV-Sender National Geographic bietet zum Beispiel eine entsprechende App an. Auch einige Reisebüros nutzen schon länger moderne Technologie, um Kund*innen die Reiseorte und Hotelanlagen zu zeigen.

Egal ob mit Virtual-Reality-Brille oder Bildern im Internet, dasselbe Gefühl wie echte Reisen erzeugt der digitale Urlaub nicht. Doch welche Alternativen gibt es, auch mit Blick auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz? Und wollen die Menschen ihre Einstellung zum Reisen überhaupt ändern? Bernd Schabbing ist Professor und Studiengangsleiter für Tourismusmanagement an der ISM Dortmund und schätzt unser Reiseverhalten eher kritisch ein: “Der Deutsche war schon immer darauf bedacht, viel Urlaub für möglichst wenig Geld zu machen.” Knapp 80 Prozent der Menschen hierzulande haben im vergangenen Jahr insgesamt mehr als 70 Millionen Reisen unternommen, im Durchschnitt also jede*r 1,3 Urlaube.

Auch junge Menschen bleiben in Deutschland

Dennoch sind alternative Trends zum Massentourismus zu beobachten, die sich durch Corona nun weiter verstärken könnten. Bernd Schabbing geht davon aus, dass der Heimaturlaub für viele Deutsche in diesem Jahr attraktiver wird. In den Sommerferien war das bereits an den überfüllten Nordseestränden zu erkennen. In der Vergangenheit gingen ungefähr zwei Drittel aller Reisen ins Ausland, ein Drittel war innerhalb Deutschlands zu verzeichnen. Vor allem die älteren Erwachsenen und Senior*innen bilden die größte Gruppe der Heimaturlauber*innen, besagt eine Studie der deutschen Zentrale für Tourismus aus dem Jahr 2010.

“Hauptsache Sonne, Hauptsache weit weg”: Früher zog es Kathrin Schares immer in den Süden. Jetzt haben sich ihre Urlaubswünsche geändert. (Foto: Privat)

Doch auch für manche junge Menschen werden Reisen in Deutschland attraktiver. „Hauptsache Sonne, Hauptsache ins Ausland“, war früher das Motto von Psychologie-Absolventin Kathrin Schares, die meist zweimal im Jahr innerhalb Europas Urlaub machte. Diese Einstellung wundert nicht, zumal es mit dem Flieger schneller und günstiger nach Spanien oder Kroatien geht, als mit dem Auto oder der Bahn an die Nordsee.

Als Schares in Bonn studierte, wandelte sich ihre Sicht. Die 26-Jährige merkte, dass sie gar nicht weit reisen muss, um schöne Landschaften zu sehen. Schöne Landschaften gab es auch in ihrer Heimat, der Südeifel:„Ich habe das vorher nie so wertgeschätzt“, gibt sie zu. Durch Corona hat sich diese Sicht weiter verstärkt. Schares hat sich dazu entschlossen, nun erstmal auf die Vielfliegerei zu verzichten und stattdessen lieber Deutschland zu erkunden. “Ich habe das Gefühl, dass mir während Corona die Schönheit des Landes viel stärker bewusst geworden ist.”

Schöne Orte kann man auch im eigenen Land entdecken: zum Beispiel in der Eifel. (Foto: Privat)

“Das eigene Land ist einem vergleichsweise fremd”

Kommilitonin Laura vertritt eine ähnliche Meinung: “Man hat in vielen Ländern viele Städte besichtigt, aber das eigene Land ist einem vergleichsweise fremd.” Dabei ist auch Deutschland mit historischen Städten, Bergen, Seen, Wäldern oder der Küste vielseitig aufgestellt. Der Umweltschutz spielt für die 28-Jährige zusätzlich eine große Rolle. Vor einigen Jahren hat sie in Irland gearbeitet und ist mehr als drei Jahre lang alle drei Wochen nach Deutschland gependelt. Hinzu kam 2018 ein Auslandssemester in Australien mit anschließender Reise nach Neuseeland. Viele Flugstunden und -kilometer sowie eine enorme CO2-Emission. Weitere Flugreisen kommen für sie in Zukunft nicht in Frage. “Mir ist bewusst geworden, dass mein bisheriges Verhalten der Umwelt mehr Schaden zugefügt hat, als andere Menschen ihr Leben lang verursachen.” Es sei an der Zeit, selbst Verantwortung zu übernehmen, statt alles weiterlaufen zu lassen, als wäre der Klimawandel nicht relevant.

Umweltfreundliches Reisen bedeutet aber nicht, dass wir nur noch in Deutschland bleiben dürfen. Wer bewusst Urlaub machen will, kann auch über die Grenze hinaus reisen. Slow-Travel ist dafür ein Beispiel. Eine Strömung, die sich in den vergangenen Jahren als Gegenbewegung zum Massentourismus entwickelt hat. Das berichtet das Zunkunftsinstitut, das sich mit Trends und Zukunftsforschung beschäftigt. Slow-Traveller beschränken sich auf kleinere Gegenden und erkunden diese dafür intensiver. Statt 10 Länder in 14 Tagen zu bereisen, steht die Zeit im Vordergrund. Um Details zu entdecken und um Orte, Kulturen und Menschen besser kennenzulernen.

Mit dem Fahrrad Richtung China

Indem die Reisenden auf lokalen Märkten einkaufen und in privaten Unterkünften übernachten, leben sie den Slow-Travel-Gedanken. Auch eine nachhaltige Art der Fortbewegung gehört dazu – mit dem Zug oder per Anhalter. Oder Reisende beschließen, mit dem Fahrrad die Umgebung zu entdecken, um von Ort zu Ort, von Land zu Land, zu reisen.

Für diese Option hat sich auch Sarah Pendzich entschieden. Sie ist mit einem Studienfreund mit dem Fahrrad von Freiburg bis nach China gefahren. Rund 10.000 Kilometer und 13 Länder ließen die beiden hinter sich, bis sie in Kaxgar im Westen Chinas ankamen. Ungefähr ein Jahr waren die beiden von 2002 bis 2003 unterwegs. Ihre Erlebnisse haben die heute 42-Jährige und ihr Begleiter im Buch Radnomaden festgehalten.

Eintauchen in Fremde Kulturen

Dabei war Klimaschutz nicht einmal der erste Gedanke, der Pendzich damals durch den Kopf ging. Schon bevor es losging, unterrichtete sie Deutsch als Fremdsprache und fand es faszinierend, mit Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen zusammenzuarbeiten und sie kennenzulernen. Auf ihrer langen Radtour konnte sie ihrer Leidenschaft dann intensiv nachgehen. “In der Türkei wurden wir oft zum Tee eingeladen, bei der Orangenernte haben wir Früchte bekommen, auch die Menschen in Syrien haben wir als sehr freundlich empfunden”, erzählt Pendzich. Damals herrschte in dem Land noch kein Krieg, nur in der Osttürkei gab es mehr Militär. In Schwierigkeiten seien die beiden aber nie gekommen. Im Gegenteil: Immer wieder seien sie auf Menschen getroffen, die sie einladen wollten, zum Essen oder auf eine Übernachtung. Sie gaben Pendzich und ihrem Studienfreund auch Telefonnummern, falls es zu Problemen kommen sollte. “Diese Hilfsbereitschaft war wirklich unglaublich. Damit hatten wir vorher nicht gerechnet.”

Individuelles Reisen

Laut Zukunftsinstitut spielt der Wunsch nach Individualität in der Gesellschaft eine immer größere Rolle – auch beim Reisen. Beim Slow-Travel gehen die Urlauber*innen deswegen nicht klassischen Touristenattraktionen nach, sondern suchen jenseits der Menschenmassen nach besonderen Orten. Die Reiseerlebnisse werden damit nicht nur individueller, sondern auch intensiver. An eine ganz besondere Erfahrung erinnert sich Pendzich immer wieder gerne zurück, ihren 25. Geburtstag. Das Duo fuhr gerade durch den Iran, als Passant*innen mit guten Englischkenntnissen sie ansprachen und nach Hause einluden. Vor Ort hatte die Familie dann Essen auf einer Decke am Boden ausgebreitet. Als sie von Pendzichs Geburtstag hörten, organisierten sie sogar noch Geschenke. “Die Tochter holte mir aus dem Garten noch Rosen und die Mutter überreichte mir ein Tischdeckchen. Das war unglaublich, von fremden Menschen so beschenkt und aufgenommen zu werden. Solche Momente sind wirklich besonders.” Nach der großen Reise sind Pendzich und ihr Mann ein paar Jahre später noch einmal mit dem Rad quer durch den Pamir in Tadschikistan und heimlich ohne chinesische Durchfahrgenehmigung durch den Himalaya in Tibet gefahren. Ihre Geschichte zeigt, dass Slow-Travel nicht nur Nachhaltigkeit und Langsamkeit bedeutet, sondern auch Abenteuer mit sich bringt. Deshalb bezeichnet das Zukunftsinstitut den Trend auch als eine Form von “Adventure Reisen”.

Nicht die klassischen Tourist*innen

Pia Fink arbeitete zwei Monate auf einer Schildkrötenstation in Costa Rica. (Foto:Privat)

Tourist*innen sind häufig Außenseiter*innen und gehören nicht zum Leben vor Ort dazu. Mit dem Streben nach Individualität kommt es zur De-Touristification, so nennt es das Zukunftsinstitut. Die Menschen wollen nicht mehr klassische Tourist*innen sein, sondern unmittelbar teilhaben. Um nicht nur die “Fremden” vor Ort zu sein, gibt es neben Slow-Travel die Möglichkeit, sinnvoll zu reisen. Dahinter steckt beispielsweise Freiwilligenarbeit, bei der Freiwillige indirekt Urlaub machen, hauptsächlich aber etwas Gutes tun. Für die Einheimischen, die Umwelt oder den Tierschutz. Studentin Pia Fink zum Beispiel arbeitete vor ihrem Studium für ein Schildkrötenschutzprogramm in Costa Rica.

Die heute 22-Jährige wollte eine Weile verreisen und dabei ihre Spanischkenntnisse verbessern. “Normales Backpacking kam für mich aber aus Kostengründen nicht in Frage. Außerdem lernt sich eine Sprache nicht wirklich gut, wenn ich in einer Hotelanlage liege oder mich Touristenführungen anschließe.” Die Freiwilligenarbeit empfand sie als guten Kompromiss: So konnte sie die Sprache lernen, das Land erkunden und vor Ort etwas Gutes tun.

Spanisch lernen und Schildkröten retten

Nach einem zweiwöchigen Sprachkurs vor Ort begann der “sinnvolle” Teil ihrer Reise. Strandpflege, während der Nachtschichten aufpassen, dass niemand Schildkröteneier stiehlt, nach Schildkröten suchen und, nachdem Babys geschlüpft waren, diese ins Wasser entlassen. Fink und vier weitere Freiwillige aus dem Ausland lebten in dieser Zeit mit den einheimischen Angestellten zusammen. Dadurch entstand schnell viel Kontakt zur örtlichen Kultur und der spanischen Sprache. Nach zwei Wochen veranstaltete das Team ein großes Abschiedsfest für einen Ranger.

Aufpassen, dass die frischgeschlüpften Schildkröten sicher ins Meer kommen, war eine von Pia’s Aufgaben in Costa Rica. (Foto: Privat)

Auch Fink durfte beim Fest dabei sein. “Es war ein tolles Erlebnis, dass ich bei dem Ereignis mit den Einheimischen dabei sein durfte, obwohl ich erst so kurze Zeit vor Ort war. Da fühlt man sich wirklich aufgenommen.” Die Studentin hatte mit der Auswahl ihres Projektes viel Glück. Eine Studie von TourismWatch, Brot für die Welt und ECPAT Deutschland warnt nämlich davor, dass Freiwillige möglicherweise von falschen Organisationen ausgebeutet werden. “Auch bei meiner Suche gab es fragwürdige Projekte mit Wildtieren. Und soziale Projekte können im schlimmsten Fall auch nur inszeniert sein”, erklärt Fink.

Beitragsbild: Privat

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