Trigger-Warnung: In diesem Text geht es um Einsamkeit und Depressionen. Wenn es dir aktuell nicht gut geht, kannst du hier Hilfe finden: 0800 / 111 0 111 (Telefonseelsorge).
Wegen der Infektionsgefahr schickt die TU Dortmund mehr als 34.000 Studierende ins Homeoffice. Was fehlt, ist ein strukturierter Alltag mit sozialen Begegnungen. Das hinterlässt Spuren.
Einsamkeit ist keine Krankheit, sondern ein individuelles Empfinden. „Ich hab‘ häufig das Gefühl zu fallen, als wäre mein Körper in einem schwarzen Loch und ich kann mich an den Seiten nicht festhalten und ich falle und falle und mein Kopf denkt sich die ganze Zeit: Wann schlage ich auf und zerschelle in tausend Teile?“, so beschreibt Finn*, wie Einsamkeit sich für ihn anfühlt.
Isolation im Lockdown
Finn ist 22 und kämpft nach eigenen Angaben schon seit seiner Kindheit mit psychischen Problemen. Um sich abzulenken, zeichnet er gerne. Der zweite Lockdown nagt sehr an ihm, Einsamkeit ist ein großes Thema: „Man wird mit seinen Gedanken komplett allein gelassen.“ Das Gefühl kennen auch viele Studierende. 41 Prozent der Deutschen fühlten sich bereits vor dem ersten Lockdown manchmal einsam. Mehr als die Hälfte der Generation Z gab an, sich im Lockdown zumindest gelegentlich einsam zu fühlen. Das ergab eine Befragung aus April und Mai 2020, die im Auftrag von dem Softwareunternehmen Kaspersky in zwölf europäischen Ländern durchgeführt wurde.
Ich glaube, dass Einsamkeit nach wie vor gerade in der Deutschen Gesellschaft ein stark tabubehaftetes Thema ist
Einsamkeit ist nicht nur ein Problem der älteren Bevölkerungsgruppe. Vor allem in der Coronazeit sind jüngere Menschen, gerade auch Studierende, stark betroffen. Einsam zu sein bedeutet aber nicht automatisch auch alleine zu sein. Es ist viel mehr ein Gefühl, das depressiv und körperlich krank machen kann. „Ich glaube, dass Einsamkeit nach wie vor gerade in der Deutschen Gesellschaft ein stark tabubehaftetes Thema ist”, sagt Prof. Christoph Schuck. “Genau deshalb ist es wichtig, dass wir darüber reden. Nicht irgendwo, sondern hier an der Universität.”
Gemeinsam mit der Wissenschaftlichen Mitarbeiterin Nora Becker und den drei Studierenden Leon Arldt, Sara Mann und Tobias Wirtz hat der Professor die “Lonely Lectures” ins Leben gerufen. Die digitale Veranstaltungsreihe beleuchtet Einsamkeit aus wissenschaftlicher Perspektive und mit ganz viel Herz. “Wir hatten Anmeldungen von Menschen, die wissenschaftlich zu dem Thema arbeiten, von Politiker*innen und Studierenden. Das Publikum ist sehr breit aufgestellt”, erzählt Nora Becker. Gemeinsam will das Team gegen die Stigmatisierung von Einsamkeit vorgehen, aufklären und zum Diskurs anregen.
Homeoffice kann die Einsamkeit verstärken
Was im Homeoffice meist verloren geht, ist neben der Trennung von Arbeit und Privatem auch ein geregelter Tagesablauf. Viele Menschen, die schon vorher unter psychischen Problemen oder Stress litten, fühlen sich überfordert. “Womit ich auch sehr zu kämpfen habe, ist, dass meine Tagesstruktur komplett kaputtgemacht worden ist”, erzählt Finn, “Ich hatte auch im Homeoffice das Gefühl, nichts leisten zu können. Klar, ich habe den Laptop angemacht, hab E-Mails gecheckt und alles, aber das fühlt sich nicht so an, als würde ich wirklich etwas Wichtiges machen.“ Finn vermisst besonders den Kontakt zu anderen Menschen: “Wenn ich meine Freunde nicht sehe, meine Therapeutin, meine Arbeitskollegen und alleine da stehe, habe ich extreme Existenzängste.”
Das Team der Psychologischen Studienberatung der TU Dortmund kennt das Problem gut. “Einsamkeit war auch vor Corona schon ein Thema”, sagt Janina Schulte. Aber durch die Kontaktbeschränkungen sei es schwieriger, mit guten Freunden in Kontakt zu bleiben. Die Studierenden müssen mehr Eigeninitiative zeigen und ihre Zeit für Arbeit und Privates einplanen.
Alltag strukturieren im Lockdown
“Häufig kann ein erster Schritt sein, sich einen Wochenplan zu erstellen”, sagt Schulte. Dort können Studierende alle Termine, Vorlesungen, Abgaben und Meetings eintragen. Wichtig sei es aber auch, sich eigene Fristen zu setzen und regelmäßig zu kontrollieren, ob die eigenen Erwartungen ggf. zu hoch angesetzt sind. “Und nicht vergessen, dann auch schöne Sachen einzutragen”, erinnert Schulte. Das können zum Beispiel Freizeitaktivitäten oder eben digitale Treffen mit Freunden sein: Gemeinsam spielen, lachen und sich austauschen: Wer einen Alltag erlebt, fühlt sich dann nicht so stark von der Gesellschaft entfernt.
Freunde können Retter sein
Häufig sind es gute Freunde, die schnell und langfristig helfen können. Es geht darum, zuzuhören und auch da zu sein, wenn der Kontakt schon seit einigen Monaten abgebrochen ist. Und was rät man einem Freund mit Einsamkeit? „Ich könnte jetzt ganz viele leere Floskeln sagen, aber ich weiß am besten, dass das nichts bringen würde”, sagt Finn, der mit seiner Therapeutin verschiedene Methoden gegen Einsamkeit ausgetestet hat. “Müsste ich einem Freund einen Rat geben, würde ich ihm sagen: Auch wenn wir uns gerade nicht sehen, ich bin weiterhin für dich da. Ich mag dich nicht weniger, nur weil wir uns gerade nicht sehen. Im Gegenteil: Ich bleibe in deinem Leben. “
*Der Name wurde von der Redaktion geändert.
Beitragsbild: Finn