Vorige Woche starb in Italien die zehnjährige Antonella. Sie starb, weil sie sich bei einer Mutprobe selbst strangulierte – eine Mutprobe für Likes auf Tiktok. Jetzt steht die Videoapp massiv in der Kritik. Wie gefährlich ist Tiktok für Jugendliche und Kinder? Und was können Eltern tun? Wir haben mit zwei Expertinnen gesprochen.
Die zehnjährige Antonella ist Dienstag (26.01.) in Palermo beerdigt worden. Dutzende Menschen hatten sich auf den Straßen versammelt, um von ihr Abschied zu nehmen. Das Mädchen starb bei der sogenannten „Blackout Challenge“ oder „Hanging Challenge“ auf der Social-Media-App Tiktok. Bei dieser Mutprobe schnüren sich die Nutzer*innen so lange wie möglich mit einem Schal oder Gürtel die Luft ab. Das filmen sie und laden es auf Tiktok hoch. Antonella strangulierte sich bewusstlos. Im Krankenhaus stellten die Ärzt*innen ihren Hirntod fest.
Tiktok prüft Alter der Nutzer*innen nicht
Seit Antonellas Tod steht die App in Italien massiv in der Kritik, da sie eigentlich erst für Kinder und Jugendliche ab 13 Jahren erlaubt ist. Doch bei Antonella wurde das Alter nicht geprüft. Fachleute warnen schon lange vor den Gefahren von Apps wie Tiktok. „Social Media ist enorm schnelllebig und es gibt ständig neue Trends“, sagt Silke Knabenschuh, Medienpädagogin bei der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz. Zurzeit sei es eben die App Tiktok, die durch Corona noch einmal einen großen Zulauf erlebe. „Die App ist vor allem bei Smartphone-Einsteigern durch ihre Verspieltheit beliebt, ähnlich wie Snapchat. Man kann sich einfach vernetzen und trotz weniger Abonnenten viral gehen“, sagt Knabenschuh. Allerdings biete Tiktok keinen Schutz. Die Altersgrenze sei irrelevant, da man die Accounts nicht verifizieren müsse.
Italienische Behörden haben jetzt eine vorübergehende Sperre für alle Tiktok-Nutzer*innen verhängt, deren Alter sich nicht verlässlich prüfen lässt. Noch macht Tiktok das nicht selbst. Nach diversen Pädophilie-Fällen hat die App aber mittlerweile einen begleitenden Modus eingeführt. Eltern können sich ein eigenes Konto erstellen und mit dem ihres Kindes verknüpfen. Von einem Handyverbot rät Knabenschuh ab. „Das würde dazu führen, dass das Kind sich bei Problemen nicht mehr an seine Eltern wendet“, sagt die Medienpädagogin. Stattdessen sollten Eltern ihre Kinder aufklären, sich die Apps zeigen lassen und Grenzen ziehen. Außerdem rät sie dazu, die Privatsphäreeinstellungen in den Jugendschutzmodus umzustellen und nicht nur das Risikobewusstsein der Kinder, sondern auch das eigene zu schulen. Hilfe bieten Portale wie schau-hin.info.
Challenges können besonders junge Kinder unter Druck setzen
Auch die 15-jährige Annika nutzt Tiktok regelmäßig und hat bereits mit Freundinnen an einigen Challenges teilgenommen. Sie kann sich vorstellen, dass besonders jüngere Kinder wie Antonella das Gefühl bekämen, dazugehören zu müssen, und deshalb bei gefährlichen Mutproben mitmachen. Annika sagt, sie mache nur harmlose Dinge nach, wie die „Wer würde eher?“-Challenge, wo sich Freund*innen gegenseitig einschätzen. „Da die meisten Sachen lustig aussehen, macht es mir einfach Spaß mitzumachen“, sagt sie. Die Videos würde sie auch nicht im Internet hochladen. Das Mindestalter von 13 Jahren interessiere viele nicht. „Häufig sehe ich Videos von deutlich Jüngeren, teilweise auch erst Neun- oder Zehnjährigen“, berichtet Annika.
„Kinder haben heutzutage schon sehr früh ein Handy“, sagt eine Kinder- und Jugendpsychiaterin, die anonym bleiben möchte. Sie würden sich gut auskennen und Apps wie Tiktok selbstständig installieren. Gerade Challenges seien angesagt und regten zum Nachahmen an. Allerdings bezweifelt sie, dass Videos wie die „Blackout Challenge“ allein zu Selbstverletzungen führen. Dazu kämen weitere Faktoren, wie die Persönlichkeit, Vorerkrankungen oder das Umfeld. Der Vater von Antonella sagte der italienischen Zeitung „La Repubblica“, er und seine Frau hätten von der Strangulationsmutprobe nichts gewusst. Er dachte, seine Tochter mache bei einer Tanz-Challenge mit.
Expertin: Schutzprogramme allein reichen nicht
Die Psychiaterin schlägt daher ähnliche Präventivmaßnahmen wie Knabenschuh vor: Eltern sollten regelmäßig mit den Kindern die Handys kontrollieren, die Apps durchschauen und mit den Kindern darüber sprechen. Sie sollten aufmerksam werden, wenn sich das Kind mit Challenges befasst. „Natürlich gibt es auch Schutzprogramme, die auf das Handy installieren werden können.“ Diese seien aber wenig alltagstauglich, denn dann funktioniere nicht einmal mehr Whatsapp. Eltern müssten also selbst aufpassen.
Teaser- und Beitragsbild: flickr.com/Solen Feyissa, lizenziert nach CC.
Wo bleibt hier unsere Regierung. Das gehört komplett verboten.