Reformiert SoWi!

SoWi soll es  in Zukunft an Gymnasien in NRW in Zukunft nicht mehr geben. An dessen Stelle soll das Fach Wirtschaft-Politik treten. Der Grund, so die Landesregierung: Die Schulbildung vernachlässigt ökonomische Inhalte. Das stößt auf Kritik. Viele fordern: SoWi bleibt! Doch für das eigentliche Problem ist beides keine Lösung. Ein Kommentar.

Schüler*innen zu mündigen Bürger*innen zu bilden – das ist ein wichtiges Ziel der Schule. Das sieht auch das Bildungsministerium NRW so. Im Kernlehrplan des zukünftigen Faches Wirtschaft-Politik steht: „Ziel ist es, die Schülerinnen und Schüler zu befähigen, ihre Interessen in der heutigen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft mündig zu vertreten, sachkundig zu urteilen und verantwortungsvoll sowie demokratisch zu handeln.“ Aber was heißt das konkret in der Umsetzung? Was brauchen Schüler*innen jetzt genau, um „mündig“ zu werden?

Es fehlt die Zeit

Der Wirtschaft-Politik-Anhänger antwortet auf diese Frage mit einem beherzten „Ökonomie!“. Und der SoWi-Bleiber entgegnet genauso entschlossen „Soziologie!“ Aber: Recht haben sie beide nicht. Für mündige Bürger*innen braucht es sowohl Ökonomie als auch Soziologie und Politik –  die Schule muss also das gesamte Dreieck der Sozialwissenschaftenlehren. Und egal, ob man Wirtschaft oder dem klassischen SoWi den Vorzug gibt, einen Schenkel des Dreiecks vernachlässigen beide Gruppen. Aber gibt es überhaupt eine Lösung für dieses Dilemma?

Wir erinnern uns zurück: der Grund, weshalb die Diskussion über SoWi aufgetreten ist, ist Zeitmangel. Es steht einfach nicht genug Zeit zur Verfügung, um Politik, Wirtschaft und Soziologie ausreichend zu behandeln. Wenn ein Feld mehr Raum bekommt, muss also ein anderes gekürzt werden. Die erste Idee wäre, einfach andere Fächer zu kürzen. Das würde aber wieder zum gleichen Problem führen, das es jetzt schon bei SoWi gibt. Dann eben nur mit Musik, Sport oder einem beliebigen anderen Fach. Keine sehr zielführende Diskussion.

SoWi und Wirtschaft sollen bleiben

Eine andere Idee: SoWi interdisziplinär unterrichten. Wissensfelder aus Politik, Ökonomie und Soziologie sollten nicht gegeneinander abgewogen werden müssen — vielmehr sollten sie im Lehrplan verknüpft werden. Das gesellschaftliche Leben ist ja auch nicht trennscharf in Unterrichtseinheiten unterteilbar. Im Klartext: Jeder Themenblock im Lehrplan sollte von politischer, wirtschaftlicher und soziologischer Seite betrachtet werden. Es würde also nicht in Feldern gedacht, sondern in Perspektiven. Ein Beispiel: Im aktuellen Lehrplan gibt es die Themen „Globalisierte Strukturen und Prozesse in der Wirtschaft“ und „Globalisierte Strukturen und Prozesse in der Politik“. Das ließe sich durchaus verknüpfen. Das würde die Zeit nicht nur effizienter nutzen, sondern auch die Verflochtenheit aller Bereiche der globalisierten Welt für die Schüler*innen verdeutlichen.

Inhalte aus der Politik und Soziologie ließen sich zusätzlich auch mit anderen Fächern, etwa Deutsch, kombinieren. Im Lehrplan Deutsch heißt es jetzt schon: “Eine mündige und sozial verantwortliche Persönlichkeit“ solle durch interdisziplinäre Verknüpfungen geschaffen werden. Mehr Texte über aktuelle Themen wie Rassismus, Wahlen oder die Auswirkungen des Klimawandels könnten hier Inhalte aus den Sozialwissenschaften mitvermitteln. Im sozialwissenschaftlichen Unterricht selbst könnten dann der/die Lehrer*in weitergehende Hintergründe zu diesen Themen aufgreifen.

Diese Idee gemeinsame Faches Sozialwissenschaften  unterstützt auch die Mehrheit der Didaktiker*innen aus den jeweiligen Bereichen.  Allerdings geben viele dieser Experten auch zu bedenken: Wirkliche Interdisziplinarität müssen zukünftige Lehrer*innen schon an der Hochschule lernen. Und genau da fehlen immer noch ausgereifte Konzepte. Beispiel TU Dortmund: Bereits 2006 hat das Hochschuldidaktisches Zentrum der Technischen Universität Dortmund ein Konzept zu interdisziplinären Lehrveranstaltungen und forschendem Lernen vorgelegt. Einzelne Teile davon wurden zwar bereits in den Lehrbetrieb integriert, aber bei weitem nicht alles. Das zeigt: Interdisziplinarität mag ein guter Ansatz sein, wirklich tragfähige Konzepte zu entwickeln ist aber durchaus komplex und zeitintensiv.

Nicht kürzen, reformieren!

Also, liebe FDP, liebe CDU, wenn ihr euch bei einem neuen Schulfach von einem Tweet leiten lasst, dann denkt euren Vorschlag zu Ende. Zur Erinnerung:

Die Schulkritik des Jahres Quelle: focus.de, Screenshot/Twitter

Davon, für die Steuererklärung soziologische Inhalte aus dem Lehrplan zu werfen, ist nirgendwo die Rede. Das zeigt eindrücklich, wie sich die Debatte im Kreis dreht. Egal, ob Ökonomie oder Soziologie, irgendwo wollen sowohl Landesregierung als auch Kritiker kürzen. Und dieser Fehlschluss ist das Problem. Um den zugrundeliegenden Zeitmangel aufzulösen braucht es kein neues Fach. Die Reform muss tiefergehen als die derzeitige Smybolpolitik.

Lliebe FDP, liebe CDU, wenn euch die Mündigkeit junger Bürger*innen so sehr am Herzen liegt, verabschiedet euch davon die Symptome zu bekämpfen und fokussiert euch auf das eigentliche Problem. Den neuen Lehrplan mit  zweiseitiges Statement des Bildungsministeriums und ein Live-Video der FDP auf Instagram zu verteidigen, mag zwar einfach sein — hilfreich ist es aber nicht. Ordentliche Konzepte zu finden, das Fach interdisziplinärer zu unterrichten — das würde helfen. Das geht aber nicht von heute auf morgen und ist nicht leicht — aber dafür es lohnt sich. Denn die Frage, die hinter der Debatte steht, lautet nicht ob SoWi bleibt oder nicht. Die Frage lautet: Was sind wir bereit für mündige Bürger*innen zu investieren.

Teaser- und Beitragsbild: pexels.com/MaxFischer

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