Historische Filme: Diese Menschen restaurieren den Ku‘damm zurück in die 50er

Modernde Verkehrsschilder, Stromkästen oder modernisierte Altbauten können zum Problem werden, wenn ein historischer Film entstehen soll. Denn bei historischen Filmen muss alles so aussehen wie damals. Aber es gibt Menschen, die sich darum kümmern: Ein Locationscout und ein Macher von “Visual Effects” erzählen, wie sie die Zeitreise vor dem Fernseher möglich machen.

Altbauten säumen die Straßenseiten, eine Litfaßsäule steht vor den Häusern, Oldtimer fahren auf den Straßen und ein Mittelstreifen erstreckt sich über den Kurfürstendamm. Im Hintergrund läuft Don Cornell, ein amerikanischer Musiker aus den Fünfzigerjahren. Währenddessen steigt die Hauptfigur des Films “Ku’damm 56”, Monika, die Treppen der U-Bahn-Station des Kurfürstendamms hinauf.

Den Ku’damm gibt es zwar heute noch, aber von Oldtimern ist nichts mehr zu sehen. Deshalb wurde die Richard-Wagner-Straße im Berliner Stadtteil Charlottenburg für den Dreiteiler “Ku‘damm 56” und dessen Fortsetzungen “Ku‘damm 59” und “Ku’damm 63” zum Kurfürstendamm der Fünfzigerjahre.

 

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Oft gibt es das Problem, dass Produktionen an Originalschauplätzen nicht mehr drehen können. Entweder sehen die Orte mittlerweile anders aus oder es gibt sie gar nicht mehr.

Orte zu finden, an denen sich dennoch drehen lässt, ist die Aufgabe von Locationscouts wie Roland Gerhardt. Er und seine Kolleg*innen sind gefragt. Serien, die von der Vergangenheit erzählen, boomen. Prominente Beispiele sind “Vikings”, “Outlander”, “The Crown”, “Babylon Berlin” oder eben “Ku‘damm 56”. Und diese spielen dort, wo sich der historische Ort am besten nachstellen lässt. Locationscouts schauen, wo das möglich ist.

Das Historische habe schon immer eine gewisse Popularität genossen, sagt Medienwissenschaftler Gregory Mohr von der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz.

“Der Hauptreiz ist die Möglichkeit, eine Welt zu erschließen, die zwar unsere ist, die wir aber selbst nicht miterlebt haben”

In die Vergangenheit abzutauchen, funktioniert allerdings nur, wenn alles authentisch aussieht: Modernisierte Altbauten, Straßenschilder, Stromkästen oder Werbeflächen werden bei historischen Formaten oft zum Problem.

Roland Gerhardt ist Locationscout. Filme, die in der Vergangenheit spielen, sind für ihn eine besondere Herausforderung. Foto: privat

Roland Gerhardt hat gerade für einen großen historischen Spielfilm Locations gesucht, eine Literaturverfilmung von Robert Harris‘ “Munich”. Die Suche startete schon früh, da war der Film gerade erst projektiert. Schließlich kann es lange dauern, bis die passende Location gefunden ist. Wenn Gerhardt seine Arbeit macht, ist der Film also oft noch nicht komplett finanziert. Die Rollen müssen zum Teil noch besetzt werden und die letzte Drehbuchfassung liegt nicht immer vor. Hauptmotive wie etwa der Kurfürstendamm der Fünfzigerjahre bei “Ku‘damm 56” sind oftmals schon klar. Nachdem Gerhardt das Drehbuch gelesen hat, setzt er sich mit Szenenbildner*in und oftmals Regisseur*in zusammen. Sie reden darüber, in welcher Welt der Film sich eigentlich bewegt. “Da gibt es dann oft irgendwelche Originaldokumente, die ich mir anschauen kann, um zu wissen: Welcher Baustil ist gefragt? Wie sehen die Räume aus? Welches Gefühl sollen sie vermitteln?”, erzählt der Locationscout.

Spärlich renoviert? – “Ein Glücksfall!”

Die Literaturverfilmung “Munich” spielt in der Zeit des Münchner Abkommens von 1938. Damals bestimmten Adolf Hitler und andere europäische Staatschefs, dass die Tschechoslowakei Teile ihres Landes an das Deutsche Reich abzutreten habe. Von den meisten Motiven von damals gibt es noch viele Fotos. So ist ziemlich klar, wie alles ausgesehen und wo es stattgefunden hat.

Hier wird der Film “Munich” gedreht. In dem Führerbunker ist heute eine Musikhochschule. Foto: Roland Gerhardt

Den Führerbunker, in dem das Münchner Abkommen unterzeichnet worden ist, gibt es noch. Dort befindet sich heute eine Musikhochschule. Alles sei recht spärlich renoviert worden, sagt Gerhardt. “Einen Glücksfall”, nennt er das. Man fände noch eine ganze Menge an originalen Oberflächen in dem Gebäude. Es gäbe aber auch den anderen Fall: Relativ viele Szenen sollen im ehemaligen Auswärtigen Amt in Berlin spielen. Das Auswärtige Amt war ein Palais-Gebäude an der Wilhelmstraße in Berlin aus dem 18. Jahrhundert. Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Zwar sei einigermaßen bekannt, wie es drinnen ausgesehen hat. Viele Fotos gebe es aber nicht.

Gerhardt muss also überlegen: Gibt es die Möglichkeit, die Architektur in einem anderen Gebäude zu finden? Viele palaisartige Verwaltungsgebäude aus dem frühen 19. Jahrhundert seien in Berlin nicht mehr erhalten. Entweder sind sie im Krieg zerstört oder mittlerweile so stark durch Renovierungen und Umbauten verändert worden, dass die ursprüngliche Struktur kaum zu erkennen ist. “In diesem Fall muss ich kreativ und flexibel werden”, sagt Gerhardt. Die Filmemacher*innen können zum Beispiel in den Fluren eines Gerichts gut drehen. Dort gibt es jedoch das Problem, dass hinter den Türen Verhandlungsräume sind. Im Film sollen dort Büros sein. Dort, wo tatsächlich Büros sind, seien diese zu klein und modernisiert. Damit könne man eigentlich nichts mehr anfangen. Eine Option wäre es, den Flur in dem einen und die Büros in einem anderen Gebäude zu filmen. Die Büros könnten zum Beispiel in einem leer stehenden Verwaltungsgebäude gedreht werden. Andere Alternativen wären, die Produktion in eine andere Stadt zu verlegen oder drei Büros im Studio nachzubauen. Das alles seien Entscheidungen des Regisseurs, so Gerhardt. Dieser*diese muss entscheiden, bis zu welchem Punkt er*sie sich der historischen Wahrhaftigkeit verpflichtet fühlt.

Alles muss authentisch sein

Um einen realistischen Eindruck einer Zeit zu vermitteln, müsse man diese so abbilden, wie sie tatsächlich war. Andernfalls müsse die Vorstellung repräsentiert werden, die wir heute von einer vergangenen Zeit haben, sagt Medienwissenschaftler Gregory Mohr.

Gregory Mohr ist Medienwissenschaftler. Manche Marker müssen in den Vordergrund, damit alles authentisch ist, sagt er. Foto: Julia Mohr

Damit wir uns auf unserer Couch richtig in die Vergangenheit befördern lassen können, muss also ein möglichst authentisches Bild der Zeit entstehen. “Die Serie muss in einer Zeit verortet werden, die wir als Zuschauer möglichst schnell als historisch einordnen”, erklärt Mohr. Das könne natürlich passieren, indem am Anfang eine Jahreszahl eingeblendet werde. Die Ausstattung sei auch sehr wichtig: Gebäude, Fahrzeuge oder die Kleidung der Darsteller*innen. Auch Redeweisen, konkrete Ausdrücke oder Musik, die wir mit einer bestimmten Zeit assoziieren, sollen Zuschauer*innen in die Vergangenheit reisen lassen. Um einen Film bis ins letzte Detail einer Zeit anzupassen, wäre der Aufwand jedoch zu groß. Deshalb könne es Abweichungen geben, meint der Medienwissenschaftler. “Das heißt, man braucht wesentliche Marker: Gebäude, Fahrzeuge, Personen oder Ausdrucksweisen, die dieses Gesamtbild von einer konkreten Historie begünstigen”. Die Marker müssen im Vordergrund stehen, damit die Zuschauer*innen sie sich schnell einprägen können.

Visual Effects erleichtern die Locationsuche

Für das Innere von Gebäuden wie das Auswärtige Amt in Berlin finden sich meist Alternativen. Draußen sei das schwieriger, sagt Gerhardt. Da komme es noch darauf an: Was befindet sich nebenan? Was steht gegenüber? Gerade hier spielen Visual Effects eine immer größere Rolle. Dank diesen kann Gerhardt mittlerweile Locations vorschlagen, deren Nachbarhaus gar nicht passt, weil es zu neu ist oder andere Sachen stören.

Robert Pinnow ist der Mann für die Nachbearbeitung: Am PC entfernt und ergänzt er Details, das auch alles genau so aussieht wie damals. Foto: RISE Visual Effects Studios

“Visual Effects sind im Großen und Ganzen die Veränderung von Bildern von dem, was man gedreht hat, hin zu dem, was man am Ende sehen will”, erklärt Robert Pinnow, Chef der Visual Effects Firma “Rise”. Er verändere Bilder, indem er etwas hinzufüge oder wegnehme. “Manchmal malen wir ein Seil aus einem Bild, wodurch eine ganz andere Wirkung entsteht, oder wir erzeugen komplett digitale Welten”, sagt Pinnow.

Vor allem bei der dritten Staffel der Serie “Babylon Berlin” habe sich die Produktion wenig durch Straßen bewegt, sondern viel vor Hauswänden gefilmt und Innenräume gezeigt. Nachdem die ganze Serie fertig geschnitten war, befanden sich ein paar schwarze Bilder darin. Für diese schwarzen Bilder war das Visual Effects Team zuständig. Das waren die Außenaufnahmen.

“Wir haben das Berlin-Feeling eingebaut”

“Unsere Aufgabe war es, dass die Zuschauer ein Stück Berlin sehen. Dass sie eine gewisse Weite sehen, einen Blick über die Hausdächer und die ganzen großen Plätze haben.”

Die Herausforderung bei Filmen und Serien, die in der Vergangenheit spielen, ist: “Es ist alles ein bisschen schmutziger”, sagt Pinnow. Etwas schmutziger zu machen, sei etwas aufwendiger, als etwas modern und kantig zu machen. In den Zwanzigerjahren gab es beispielsweise keine Waschmaschine. Die Menschen mussten alles per Hand waschen. Heute wäre es kein Problem, den Mantel des*der Schauspieler*in jedes Mal frisch gewaschen zu verwenden. Aber das wäre unrealistisch, also bekommt er ein paar Flecken. “So etwas Ähnliches machen wir halt auch: Eine Patina draufmachen im Prinzip”, sagt Pinnow, „Wenn wir ein Haus einsetzen, dann muss dieses Haus alt und kaputt sein: Der Putz bröckelt ein bisschen ab, die Steinstufen sind vielleicht ein bisschen abgenutzt, ebenso der Türgriff.”

Die Aufgabe eines historischen Films oder einer historischen Serie sollte es sein, Zuschauer*innen darüber aufzuklären, wie es war, in einer bestimmten Zeit zu leben. Dies habe letztlich zu weiteren Entwicklungen beigetragen, die uns mitunter heute noch prägen, meint Mohr. “Zum Beispiel in der Serie ‚Mad Men‘, die in den Fünfzigerjahren spielt und uns ganz klar vorführt, wie das Frauenbild in dieser Zeit war und dass die Zuschauer daran erkennen, welche Mühen und Anstrengungen dahinterstanden, dass sich das Ganze so entwickelt hat, wie wir es heute kennen”, sagt der Medienwissenschafter.

Beitragsbild: ZDF/Stefan Erhard

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