Wie die kleine Dortmunder Bergmann Brauerei neben Dr. Oetker besteht

In den 1970ern gab es in Dortmund zahlreiche kleine Brauereien. Heute werden die meisten Biermarken in der Kronenbrauerei hergestellt. Ausnahme ist die Bergmann Brauerei auf Phoenix West, die seit 2008 für ihr Kultbier bekannt ist und als kleine Brauerei im Dortmunder Biermarkt überlebt.

Verärgert zieht Marcel Koch seine Augenbrauen zusammen. Der Arbeitstag des Brauers droht, zum Fiasko zu werden. 100 Liter Märzenbock soll er heute herstellen. Doch nach vielen Stunden Arbeit ist der Zuckergehalt des Biers viel zu niedrig. „Wir müssen den Zielwert erreichen, sonst können wir alles wegkippen“, sagt Marcel. Für seinen Arbeitgeber, die Bergmann Brauerei, wäre das bitter. Um auf dem Dortmunder Biermarkt zu bestehen, kommt es für sie auf jeden Brautag an.

Dieser startet für Marcel neun Stunden zuvor um sieben Uhr morgens. Eigentlich nicht die Zeit, um an ein kühles Blondes zu denken. Der 30-Jährige hat aber keine Wahl. Im Sudhaus auf dem Phönix West-Gelände ist er umringt von metallisch funkelnden Tanks, die vom Boden bis unter die mit Neonlicht bespickte Decke ragen. Verchromte Rohre winden sich an den Wänden entlang. Marcel stellt eine lange Aluminiumleiter an die Wand und kraxelt hoch zum Kornspeicher. Darin befinden sich aufgetürmte Malzsäcke. Der Brauer öffnet einige davon und schüttet das Malz in einen Trichter. Noch ein Knopfdruck – und mit einem tuckernden Geräusch beginnt die trichterförmige Mühle, die Körner zu zerkleinern. Der Boden vibriert und der leicht süßliche Geruch von Malz steigt in die Nase, während feines, mehliges Pulver umherfliegt. Marcels Arbeit ist eine besondere. Seit 2016 braut der Essener für Bergmann – und somit für das Exoten-Angebot in Dortmunds Bierwelt. Marcel muss mit dafür sorgen, dass dieses Angebot auf Dauer Bestand hat. 

Der Unterschied von Bieren ist wie bei Pizza 

Da im Laufe der Geschichte alle kleinen Dortmunder Brauereien verschwunden sind, ist Marcels Arbeitgeber ein lokales Unikat. Nach einem Wirrwarr aus etlichen Fusionen ist Bergmann die einzige autonome Hausbrauerei in der Stadt. Die anderen Biere wie Kronen, Hövels, DAB und Brinkhoffs werden alle unter einem Dach in der Nordstadt gebraut. Sie gehören zur Dortmunder Actien-Brauerei (DAB), die wiederum Teil der Radeberger Gruppe ist. Radeberger mit Sitz in Frankfurt am Main gehört letztlich zum Lebensmittel-Giganten Dr. Oetker. Laut Deutschem Brauer-Bund hat Dr. Oetker einen Anteil von 12,9 Prozent am deutschen Biermarkt und ist somit Marktführer der Branche. Trotzdem hat sich Bergmann neben dem Großkonzern in Dortmund einen Namen gemacht und ist an Kiosks sowie Getränkeläden etabliert. Auf diese Weise ist die Brauerei des Bergmann-Gründers Thomas Raphael seit ihrer Gründung 2006 stetig gewachsen.

Neben seinem Betrieb auf Phoenix West braut Bergmann heute im Stadtteil Oespel. Die kleine Brauerei produziert 50 Hektoliter pro Jahr. Zum Vergleich: An der Steigerstraße in der Nordstadt werden jährlich 150.000 Hektoliter Bier gebraut. Auch darüber hinaus gibt es extreme Unterschiede: Während das Pils der Bergmänner, das Handwerksbier, etwa vier bis sechs Wochen lagert, stellt die Industrie ihr Produkt innerhalb von elf Tagen fertig. Das liegt vor allem an der ständigen, auf Wachstum ausgelegten, Optimierung der Industrie. Dort kommen Hefen und Hopfensorten zum Einsatz, die den schnellstmöglichen Brauerfolg generieren.

„Der Bergmann Kiosk am Wall ist unser Aushängeschild.“

Thomas Raphael setzt für seinen Erfolg auf das Brauhandwerk und auf die persönliche Verbindung zu den Dortmunder*innen: „Der Bergmann Kiosk am Wall ist unser Aushängeschild.“ Das exotische Handwerksbier hat allerdings seinen Preis und ist rund einen Euro teurer als ein industrielles Brinkhoffs. Markus Maurer ist selbstständiger Diplom-Biersommelier und bietet in Dortmund Seminare zum Thema an. Er vergleicht die Bierqualität mit Pizza: „Industriebiere sind gut und wichtig. Es ist dennoch ein Unterschied, ob ich eine Tiefkühlpizza esse oder zum Italiener nebenan gehe.“ 

In seiner Bierküche schöpft Brauer Marcel eine Probe aus der Maische, dem Frühstadium des Biers, und bringt sie zum Labortisch. „Wir vermischen jetzt die Maische mit Jod“, sagt Marcel, „Wenn sie sich schwarz färbt, ist der Zuckergehalt noch nicht hoch genug.“ Nach zwei Tests verfärbt sich nichts mehr und der Zuckergehalt ist grob bestimmt.

Brauer Marcel Koch testet den Zuckergehalt des Bieres. Wenn der nicht stimmt, ist das Bier kein Bier. Foto: Magnus Terhorst

Mittlerweile überträgt sich der süße Geruch der Maische auf die Zunge. Es schmeckt nach Malzbier. Der Brauer nimmt nun eine genauere Probe und misst mit einem Gerät, dem Sacharimeter, erneut den Zuckergehalt. Der Zuckerwert ist zu niedrig. Er liegt bei 16,5 Prozent. Das Starkbier muss aber Zuckergehalt von 17,5 Prozent haben. Ein Starkbier, das kein Starkbier ist, lässt sich nicht verkaufen. Eine Situation wie diese kurz vor Brauschluss ist ein großes Problem. Marcel ist plötzlich ganz still, schaut mit starrer Mimik geradeaus. Er wirkt angespannt, denn eine Lösung muss her. Auch das ist Handwerk. Obwohl bei Bergmann wie in der Industrie vieles per Computer gesteuert und gemessen wird, macht Marcel einen erheblichen Teil per Hand. Genau das mag er an seinem Beruf: „Die Arbeit hier ist nicht nur persönlicher, sondern auch handwerklicher als in der Großindustrie. Dort passiert wirklich alles maschinell“, sagt der Brauer. 

David gegen Goliath – die Industrie beherrscht den Biermarkt 

In Großmengen werden bei der DAB die verschiedenen Biersorten wie Kronen, Gilden- und Dom Kölsch, Guinness, Hansa, Brinkhoffs und Hövels gebraut. Die Kronenbrauerei hat zudem ihren Brauprozess bis aufs kleinste Detail perfektioniert, sagt Sommelier Markus Maurer: „Die Industrie verwendet eigene Hefen und Hopfen, die perfekt auf ihre Produktion gezüchtet wurden. Zudem wissen sie genau, wann sie ihr Bier um einen halben Grad erhitzen oder runterkühlen“. Das minimiert auch Fehlerquellen, wie einen zu niedrigen Zuckergehalt. 

„Es wäre schön, unser Bier in den Gastronomien verkaufen zu können. Dort kauft einen die Industrie aber schnell raus“

Thomas Raphael ist Inhaber der Bergmann-Brauerei. Dr. Oetker macht ihm keine Konkurrenz, sagt er. Foto: Magnus Terhorst

Bergmann hat es schwer, außerhalb der Kioske und des eigenen Hauses Fuß zu fassen. Die Industrie ist in der Lage, viel größere Mengen zu kleineren Preisen zu produzieren. Für die Gastronomie ist das Angebot lukrativer. Das erinnert an die Geschichte von David gegen Goliath. Nur, dass David in manchen Bereichen des Biermarkts keine Chance hat. Wie können kleine Ruhrgebietsbrauereien wie Bergmann, Fiege, Stauder dennoch bestehen? „Wir setzen auf unsere Qualität und das Heimatgefühl, was die Menschen mit unserem Bier verbinden“, sagt Raphael. Er möchte mit Bergmann nicht mehr viel größer werden, sagt er, sondern ein Kultbier fernab der Industrie bleiben. Mit dem Bergmann Kiosk am Dortmunder Wall hat Raphael einen außergewöhnlichen Status, ähnlich wie Fiege für den VfL Bochum oder Stauder für Rot-Weiss Essen. Bergmann wird zwar nicht im Stadion ausgeschenkt, zumindest ist es aber in den Zapfhähnen des Konzerthauses Dortmund zu finden. Der Bergmann-Gründer will die Unterlegenheit auf dem Dortmunder Biermarkt nicht überbewerten. Kleine Brauereien wie seine könnten mit der Industrie nicht mithalten und hätten deshalb auch nicht den Anspruch zu wetteifern. Das hat sogar Vorteile, sagt Raphael: „Anders als die Industrie haben wir keinen Druck zu wachsen. Damit bleibt uns der Spaß an der Arbeit erhalten.“ Dennoch: Ein bisschen mehr Bergmann darf es schon noch sein, findet er. So plant er einen weiteren Bergmann Kiosk am Hafen. Dort

Ein Maischebottich der Bergmann Brauerei auf dem Phönix West Gelände. Foto: Magnus Terhorst

sollen in den nächsten Jahren neue Cafés, Bars und Start-up-Büros entstehen. Wenn ein Szeneviertel wächst, möchte Raphael mit seinem Bier vertreten sein. 

100 Liter Bier – alles für die Tonne?

Bis das von Marcel gebraute Bier am Dortmunder Hafen zum Verkauf steht, dauert es noch eine Weile. Erstmal muss Marcel das heutige Märzenbock retten. Er läuft zum gefüllten Kessel und drückt eine Taste am Computer: „Ich fülle die Maische noch einmal um. In der Hoffnung, dass etwas Flüssigkeit verdampft. Wenn wir weniger Flüssigkeit haben, steigt der prozentuale Zuckergehalt“. Und tatsächlich: Marcels Idee funktioniert und das Bier erreicht den gewünschten Wert. Die Flüssigkeit wird in einen Lagertank gefüllt. Überall in dem Sudhaus liegen dicke, blaue Schläuche, durch die die Würze fließt. Es rauscht und die Pumpen tönen mechanisch in der Halle wider. Nach vier bis fünf Wochen Lagerzeit lässt sich das Märzenbock in Flaschen abfüllen. Dann geht es zu den Dortmunder*innen.

Beitragsbild: Magnus Terhorst

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