Zeitschenker – Ehrenamtliche im Kinderhospizdienst

Symbolbild

Verena ist Studentin und kümmert sich ehrenamtlich um eine lebensbedrohlich erkrankte 14-Jährige. Trauer, Tod und Leid – daran denken die Leute, wenn Verena ihre Arbeit beim Kinderhospizdienst erwähnt. Dabei geht es um das Gegenteil: Das Leben.

Gemeinsam spazieren gehen, Filme schauen oder einfach quatschen. Das sind die Dinge, die Verena und Lena* am liebsten zusammen machen. Einmal haben sie sich dafür sogar an selbstgemachte Chips gewagt. Etwa alle zwei Wochen verbringen Verena und Lena mehrere Stunden zusammen. Die Treffen sind mit dem Kinderhospiz festgelegt, aber nach Arbeit fühlen sie sich für Verena nie an: “Sie ist wie eine Freundin für mich. Wir telefonieren ab und zu, wir schreiben uns per WhatsApp und schicken uns irgendwelche lustigen Bilder. Es ist halt einfach nur ganz normal.”

Ambulanter und stationärer Kinderhospizdienst

Ambulanter Kinderhospizdienst: Kinder und ihre Familien können auf Wunsch eine Familienbegleitung erhalten. Diese kommt für drei bis fünf Stunden die Woche zu der Familie nach Hause. Sie helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Sie spielen mit den Kindern, machen Hausaufgaben mit den Geschwisterkindern, sie begleiten die Eltern zu Untersuchungen und übernehmen andere Aufgaben.

Stationärer Kinderhospizdienst: Eine Einrichtung, die die Familie ab der Diagnose der unheilbaren Erkrankung für eine begrenzte Zeit aufsuchen kann. Sie soll die Familie entlasten, indem die Kinder statt durch die Eltern von Kinderkrankenschwestern und -pflegern des Hospizes betreut werden. Stationäre Kinderhospize unterstützen während der oft langen Krankheitsverläufe, beim Sterben und in der Trauer.

Normalität ist genau das, was die Ehrenamtlichen beim ambulanten Kinderhospizdienst den Familien schwer erkrankter Kinder ermöglichen sollen. Denn das Familienleben wird mit der Diagnose auf den Kopf gestellt. “Wenn man sich vorstellt, man hat ein Kind, das im schlimmsten Fall sogar beatmet werden muss, dann ist das eine 24-Stundenbetreuung. Als Familie fährt man nicht in den Urlaub. Du kannst einfach nicht viel machen”, erklärt Verena. Deshalb versucht sie, Lenas Familie mit ihren Besuchen so gut wie möglich zu entlasten. Während Verena und Lena zusammen unterwegs sind, kann Lenas Mutter alltägliche Dinge wie das Einkaufen erledigen.

“Ich möchte Lena nicht auf ihre Krankheit reduzieren”

“Sie sind Zeitschenker und Alltagsbegleiter”, beschreibt Wilma Neuwirth die Aufgabe der Ehrenamtlichen. Sie ist Koordinatorin der Kinderhospizdienste in Oberhausen und Essen und ist im Beirat des Hospiz- und Paliativverbands NRW für den Schwerpunkt Kinder- und Jugendhospizarbeit verantwortlich. Wichtig sei zu wissen, dass “Kinderhospizarbeit in erster Linie keine Sterbebegleitung, sondern eine Lebensbegleitung ist”.

Über Lenas Krankheit sprechen Lena und Verena fast nie. Verena ist das aus einem bestimmten Grund wichtig: “Ich möchte Lena nicht auf ihre Krankheit reduzieren, weil ich finde, dass sie gar nicht so viel Platz einnehmen muss. Wenn wir uns treffen, soll das ein Ort für sie sein, an dem sie einfach ein ganz normales Mädchen ist – außer natürlich, sie möchte darüber sprechen”. Als die beiden sich das erste Mal getroffen haben, haben sie zusammen ausgedachte Geschichten geschrieben, erinnert sich Verena: “Lena ist total kreativ und denkt sich selber was aus. Es hat sich nicht gestellt angefühlt, sondern direkt freundschaftlich. Es sind total viele kleine Dinge, die sie macht, die mich daran erinnern, wie ich mit 14 war.” Die Treffen sind für Verena deshalb eine kleine Reise in ihre Vergangenheit, auf die sie sich immer aufs Neue freut.

Das Kinderhospiz – ein Ort voller Freude

“Es ist schade: Viele verbinden mit dem Hospiz-Begriff gleich schlimme Sachen”, ist Verenas Eindruck. Die erste Reaktion, wenn sie von ihrem Ehrenamt erzählt, ist oft: “Das könnte ich nicht”. Nicht nur Außenstehende, sondern auch die Familien der kranken Kinder ließen sich durch den Begriff abschrecken. “Sie denken, wenn sie sich an den Hospizdienst wenden, dass sie sich zwangsläufig mit dem Thema Tod auseinandersetzten müssen und das wollen diese Familien gar nicht. Dabei können die Kinder 40 werden. Man weiß es eben nicht”.

Auch bei Lena kann niemand sagen, wie lange sie leben wird. Sie hat ein infantiles Herz. Das bedeutet, dass sie nur eine Herzkammer und einen Vorhof hat. Kindgerecht erklärt Verena die Krankheit so: “Dein Herz-Kreislauf-System ist dann einfach ein bisschen anders als normal”. Verena kann die Krankheit auch mit Fachwörtern erklären. Sie hat Rehabilitationswissenschaften an der TU Dortmund studiert und macht gerade eine Ausbildung zur Kinderkrankenpflegerin. Gleichzeitig studiert sie noch einen Master in Berufspädagogik im Fernstudium. “Mein Ziel ist es, im Kinderhospiz zu arbeiten, weil mich die Arbeit immer so begeistert hat. Das ist irgendwie voll mein Herzensprojekt”, erklärt sie.

“Ich finde es toll, wenn ich in ihre strahlenden Augen sehe”

Ihre Leidenschaft für das Ehrenamt hört man in der Offenheit und Herzlichkeit, mit der sie darüber spricht. Vor allem die Begeisterungsfähigkeit der Kinder macht das Ehrenamt für sie besonders: “Das Kinderhospiz ist ein freudiger Ort voller Action. Die Kinder freuen sich total über Ponyreiten, oder wenn der Clown vorbeikommt. Ich finde es toll, wenn ich in ihre strahlenden Augen sehe.”

Es braucht junge Ehrenamtliche

Genau so wünscht es sich Wilma Neuwirth: “In dieses Ehrenamt sollen die Menschen gehen, weil sie das auch möchten und weil es ihnen Spaß macht”. Was Wilma Neuwirth und Verena außerdem gerne hätten: Mehr junge Ehrenamtliche. Verena ist Lena mit zehn Jahren Altersunterschied vom Lebensgefühl sehr nah. Das haben die beiden gleich beim ersten Treffen gemerkt als Lena Verena ausgefragt hat, ob sie Harry Potter, die Wilden Kerle und Schloss Einstein mag. “Wir haben immer was zu quatschen – über alles Mögliche. Dinge wie Schule, Freunde und was wir die letzten zwei Wochen gemacht haben”, meint Verena. Bei älteren Ehrenamtlichen ist das schwieriger. Viele Jugendliche und junge Erwachsene mit Erkrankung genießen es, Zeit mit Gleichgesinnten und ohne Eltern zu verbringen.

Deshalb brauche es mehr junge Menschen in der Kinderhospizarbeit. Das Problem dabei ist: Viele wissen gar nicht, dass so ein Ehrenamt möglich ist, oder fühlen sich nicht qualifiziert dafür. Dabei braucht es keine Vorkenntnisse. Alles, was Ehrenamtliche wissen sollten, bekommen sie vorher in einem Kurs beigebracht.

Kurs für Ehrenamtliche im Kinderhospizdienst

Motto: Niemand begleitet unbegleitet

  • Umfasst mindestens 80 Stunden
  • Durch die Teilnahme am Kurs entsteht keine automatische Verpflichtung zum Ehrenamt
  • Mischung aus Selbstreflektion (Aufarbeitung der eigenen Erfahrungen, individueller Umgang mit Trauer) und Input (Trauer bei Kindern, Gesprächsführung, Kinderhospitzgeschichte)
  • Hinterher: Weiterhin regelmäßige Treffen der Ehrenamtlichen auf freiwilliger Basis

Dort werden sie auch auf schwierige Momente im Ehrenamt vorbereitet. Wilma Neuwirth beschreibt die Beziehung zwischen Ehrenamtlichen und Familie so: “Sie sind nicht wie Freunde der Familie, aber auch keine professionellen Helfer*innen.” Es sei schwierig, zwischen diesen Rollen zu stehen. Vor allem, weil die Familien sich den Ehrenamtlichen stark öffnen. “Wenn jemand von uns da ist, wissen die Familien: Wir stehen für dieses Thema. Sie müssen nicht so vorsichtig damit umgehen.” Umgekehrt sollen auch die Ehrenamtlichen nicht zu vorsichtig mit den Familien umgehen.

“Kinder möchten keine Schonhaltung, sondern Normalität”

Verena und Lena haben auch schon miteinander gestritten. Das ist auch in Ordnung so, findet Wilma Neuwirth: “Warum eine Schonhaltung? Ich muss ja ich sein können. Da gehört dann auch Streit dazu. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Kinder eine Schonhaltung haben möchten, sondern Normalität.”

Weil die Ehrenamtlichen so ein fester Bestandteil der Familien sind, stellt sich immer neu die Frage, wie viel Nähe die Ehrenamtlichen zulassen oder wie viel Distanz sie wahren sollten. Verena hat für sich die richtige Balance zwischen Mitfühlen und Abschalten können gefunden: “Ich bin so ein Mensch, der kann sich eigentlich nicht so gut distanzieren. Ich finde es auch wichtig, dass man diese persönliche Ebene aufbaut und sich auf die Situation einlässt.” Gleichzeitig dürfe sie sich aber nicht alles zu sehr zu Herzen nehmen. In traurigen Momenten sei es trotzdem in Ordnung, wenn die Ehrenamtlichen mit den Familien weinen und trauern, so Wilma Neuwirth. Um sich nach den Treffen Gedanken zu machen, um abzuschalten und zu reflektieren sollten die Ehrenamtlichen zusätzliche Zeit in ihrem Alltag einplanen.

Abschied nehmen und Abstand finden

“Die Leute, die seit Jahren im Kinderhospiz arbeiten erleben immer wieder, dass Kinder sterben. Sie haben ihr eigenes Ritual gefunden damit umzugehen”, erzählt Verena. Manche zünden beispielsweise Zuhause eine Kerze für das verstorbene Kind an. Für Wilma Neuwirth ist es deshalb wichtig, dass niemand sofort in die nächste Begleitung geht. Erstmal heißt es stattdessen: Pause machen, Abschied nehmen, Abstand finden und sich dann auf die nächste Familie einlassen können.

Verena sucht noch nach dem richtigen Umgang mit dem Tod. Sie ist aber optimistisch, dass sie ihren Weg finden wird: “Natürlich kann es belastend sein, aber es ist gleichzeitig so viel mehr erfüllend. Ich schätze es einfach absolut wert, dass es das gibt. Ich denke, es ist eine superwichtige Arbeit.”

 

* Name wurde geändert

Foto: Privat

Ein Beitrag von
Mehr von Kirsten Pfister
Bundesregierung entschädigt homosexuelle Soldaten
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) will schwule Soldaten für ihre systematische Diskriminierung in...
Mehr
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert