Durch Atmen zum Rausch – wie psychedelische Atmung das Bewusstsein verändert

„Mein ganzer Körper hat sich schwer angefühlt. Meine Arme und Beine sind eingeschlafen und ich konnte sie nicht mehr richtig bewegen“, erzählt Laura* von ihrer ersten Erfahrung mit psychedelischem Atmen. Dabei wird versucht, durch bloßes Atmen eine Art Drogentrip zu durchleben. Der Körper soll dabei durch bestimmte Atemtechniken in einen anderen Bewusstseinszustand versetzt werden.

Es fühlt sich zunächst etwas beklemmend an, als Laura den engen Yoga-Raum in Berlin betritt. Mit 20 anderen Teilnehmern macht sie einen Kurs mit, um psychedelisches Atmen auszuprobieren. Auf dem Boden sind bereits Matten verteilt und der Geruch der Duftstäbchen erfüllt den Raum. Schulter an Schulter mit den anderen Teilnehmern setzt sich Laura hin. „Am Anfang war es schon komisch, so nah beieinander mit komplett fremden Menschen zu sitzen“, erinnert sie sich. Die Gruppe startet mit einfachen Atemübungen, die Laura bereits aus Yoga-Kursen kennt. Dabei ginge es zunächst darum, zu sich selbst zu kommen.

Nach der Einführung startet die Kursleiterin mit der Anleitung zum psychedelischen Atmen. Die Teilnehmer sollen zunächst mit gekrümmtem Oberkörper einatmen, die Arme und Beine sind dabei nach vorne gestreckt. Dann in einer komplett aufrechten Haltung wieder ausatmen. Die Übung wird sehr schnell wiederholt, die Teilnehmer beginnen zu hyperventilieren. Nebenbei dröhnt elektrische Musik aus den Boxen. Für Laura ist das zunächst ein unwohles Gefühl: „Ich habe mich die ganze Zeit gefragt: Mache ich das gerade richtig? Mache ich irgendetwas falsch?“

Physiologe Jens Rettig warnt vor psychedelischer Atmung

Für den Physiologen Prof. Dr. Jens Rettig ist dieses Verfahren sehr bedenklich. „Mit Hyperventilation ist grundsätzlich nicht zu spaßen, wenn man es falsch macht, kann das zum Tod führen.“ Durch die Hyperventilation wird eine Sauerstoffarmut im Körper provoziert. Da das Gehirn am meisten Sauerstoff benötigt, machen sich die Folgen dort zuerst bemerkbar. „Das Gehirn gerät in eine Unterversorgung und es fallen erste Funktionen aus. Die Person erlebt dadurch eine Grenzerfahrung, dabei kann das Gehirn nicht mehr zwischen Realität und Reaktion abgleichen. Es beginnt einem Streiche zu spielen“, erklärt Rettig. Bei den Atemtechniken wird mit genau diesem Zeitpunkt gespielt, in dem sich das Gehirn in diesem Ausnahmezustand befindet. Dabei können Sekunden entscheidend sein: „Wenn man es zu lange macht, kann das zu irreparablen Hirnschäden führen.“

Nach dem ersten Unwohlsein fühlt Laura langsam, wie sich ihre Körperwahrnehmung ändert. Sie fühlt sich nicht mehr wirklich anwesend. „Ich bin dann als erstes in einen ganz melancholischen und traurigen Zustand geraten. In mir kamen Erinnerungen an früher hoch, an die ich schon ewig nicht mehr gedacht habe.“ Zwischen den einzelnen Atemphasen macht die Gruppe immer wieder kurze Pausen. In denen gibt die Kursleiterin den Teilnehmern Denkanreize durch Fragen wie: „Was beschäftigt euch gerade?“ Laura vermutet, dass dadurch die Erinnerungen an ihre Vergangenheit in ihr hochgekommen sind. Insgesamt habe der Kurs etwa 90 Minuten gedauert, meint Laura sich zu erinnern. Aber wirklich sicher sei sie sich nicht mehr. „Nach einiger Zeit habe ich alles um mich herum vergessen. Ich habe gar nicht wahrgenommen, dass noch andere in dem Raum waren, und mein Zeitgefühl habe ich auch total verloren.“

Wenn man es falsch macht, kann das zum Tod führen.

– Physiologe Jens Rettig

Auf den melancholischen Zustand folgt bei Laura eine euphorische Phase voller Glücksgefühle. Wie es zu dem Gemütswechsel gekommen ist, kann sie sich nicht wirklich erklären. Als die Teilnehmer wieder aus ihrer eigenen Welt erwachen, findet sich die Gruppe zu einer Abschlussbesprechung zusammen. Wer möchte, meldet sich zu Wort und erzählt von seinen Erlebnissen. Dabei erfährt Laura, dass einige Teilnehmer echte emotionale Ausbrüche erlebt haben. Sie ist sich sicher: Das möchte sie nochmal machen. „Ich glaube, wenn man es öfter macht, wird es noch intensiver.“

Jens Rettig sieht ein regelmäßiges Ausüben der Atemtechniken deutlich kritischer. Das Verfahren spielt nicht nur mit dem Gehirn, sondern auch mit den Hormonen im Körper. Im Prinzip steuern Hormone die Funktion jeglicher Organe des Menschen. „Wenn ich jetzt den Vorgang der Hyperventilation ständig wiederhole, versetze ich mich immer wieder in diesen Grenzzustand. Dadurch werden bestimmte Hormone häufiger ausgeschüttet“, erklärt Rettig. So kommt es zu einer Art Überdosis an bestimmten Hormonen, wie zum Beispiel Adrenalin. Durch diese Überdosis kann es im Prinzip an jedem Organ im Körper zu Schäden kommen. Mögliche Folgen wären Nierenversagen oder Herzstörungen.

*Name von der Redaktion geändert

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2 Kommentare

  1. says: Jakob

    Wir genau wird durch mehr Atmen eine Sauerstoffarmut erzeugt?
    Das Gegenteil sollte der Fall sein und dazu führen das sich der PH Wert des Blutes ändert und das führt zu den Zuständen immer Gehirn.

    1. says: Hugo

      Beim hyperventilieren wir durch den Bohreffekt der Sauerstoff nicht mehr abgegeben, deshalb entsteht der Sauerstoffmangel.

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