Sexismus am Arbeitsplatz kommt häufiger vor, als man denkt: 41 Prozent der Frauen sind laut einer Studie des Familienministeriums davon betroffen. Das gilt auch für Mitarbeiterinnen bei der Feuerwehr, der Polizei und im Rettungsdienst. Zwei junge Frauen aus diesen Berufsfeldern erzählen, was sie alles erleben müssen. Und eine Rechtsanwältin gibt Tipps, wie sich Betroffene wehren können.
Sexismus in der Feuerwehr kommt nicht von Kolleg*innen
Corinna muss diskutieren. Sie sperrt gerade eine Straße ab, weil hinter ihr eine Hecke brennt. Die Einsatzfahrzeuge stehen direkt hinter ihr. Der wütende Familienvater sitzt im Auto vor ihr. Ihm ist der Kragen geplatzt. Er will diesen Weg fahren und lässt sich von Corinna nichts sagen. “Sie können hier nicht durch, deswegen stehe ich doch hier”, betont sie immer wieder.
Solche Diskussionen erlebt Feuerwehrfrau Corinna oft. Sie weiß, dass diese Situationen bei ihren männlichen Kollegen nie so ausarten. „Wenn meine Kollegen zeigen, dass es nicht weitergeht, drehen die Leute direkt um. Oder sie halten einmal an, ärgern sich kurz und fahren dann wieder. Mit einer Frau wird einfach mehr diskutiert. Die Wut kocht direkt hoch“, erzählt sie. Trotzdem fühlt sich Corinna bei der Freiwilligen Feuerwehr gut aufgehoben. Ihre Kollegen hätten sie nie schlechter behandelt, weil sie eine Frau ist, sagt die 20-Jährige.
Dieses kollegiale Verhalten bestätigen Feuerwehrbeamtinnen in einer Untersuchung der Stadt Bremen aus dem vergangenen Jahr. Sie fühlten sich von ihren männlichen Kollegen überwiegend akzeptiert. Die Autorin des Berichts merkt aber an, dass die Antworten der Frauen der öffentlichen Untersuchungssituation geschuldet sein könnten. Womöglich haben die Frauen Vorfälle verschwiegen, weil ihre Vorgesetzten während der Befragung daneben saßen.
Vorwurf: Ranghoher Polizeibeamter zwingt Kollegin zum Sex
Während es kaum bekannte Vorfälle von Sexismus bei Feuerwehrleuten gibt, sieht das bei der Polizei anders aus. Die neuesten Vorwürfe kommen aus Baden-Württemberg, wo ein hochrangiger Beamter eine Kollegin zum Sex gezwungen haben soll. Der beschuldigte Inspekteur hatte zuvor eine Aufklärungskampagne zu den Themen Rassismus, Diskriminierung und Sexismus geführt. Jetzt muss er sich gegen die Vorwürfe verantworten und ist aus dem Dienst entlassen worden.
Kein Einzelfall: In den vergangenen fünf Jahren soll es in der baden-württembergischen Polizei 27 sexuelle Übergriffe durch Vorgesetze gegeben haben. Das berichtet der SWR und beruft sich auf ein internes Schreiben des Landesinnenministeriums. Diese Vorwürfe spalten die Polizei. “Ich warne davor, dass man unter der Wertediskussion eine Metoo-Debatte hochzieht, die aus meiner Sicht schädlich für die Polizei ist”, sagt der Polizeigewerkschafter Ralf Kusterer gegenüber der Deutschen Presseagentur. Doch der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft Gundram Lottmann hält dagegen: Beamtinnen sollten die Vorfälle unbedingt melden, auch wenn diese für das Ansehen der Polizei katastrophal seien.
“Das ist ein primitives und machoartiges Verhalten.”
Aber nicht nur in Baden-Württemberg hat die Sexismus-Debatte die Polizei erreicht. In Hessen müssen sich einige Beamten beispielsweise verantworten, weil sie sexistische Posts in Social-Media-Gruppen geteilt haben. “Das ist ein primitives und machoartiges Verhalten”, sagte Engelbert Mesarec, hessischer Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, der Frankfurter Rundschau. Außerdem beklagt er, dass sich viele Beamte allgemein frauenverachtend verhielten.
Sexistische Kommentare sind im Rettungsdienst Alltag
Ähnlich auch im Rettungsdienst. “Von Ihnen lasse ich mich gern behandeln”, “Stell dich doch mal vor den Patienten, damit der auch was zu gucken hat.” Anzügliche Kommentare und sogar körperliche Übergriffe: Das sind nur einige Beispiele, die Frauen im Rettungsdienst sowohl von Patient*innen als auch von Kolleg*innen erleben.
Wie wenig einige Rettungsdienste dafür sensibilisiert sind, zeigt ein Fall aus dem Hochsauerlandkreis. Dort soll es neue Arbeitskleidung geben: gelbe Hosen, die nur am Hintern rot sind. Sexuelle Belästigung sei da gewiss, heißt es in einem anonymen Schreiben von Sanitäter*innen an den Landrat. Sie bitten darum, die Entscheidung zu überdenken. Der Brief ist bei den Verantwortlichen auf Unverständnis gestoßen. Alle Wachen seien in die Auswahl mit einbezogen worden und es habe bis dahin keine Einwände gegeben.
Rettungssanitäterin: Erniedrigende Spitznamen sind normal
Solche Sorglosigkeiten von Verantwortlichen ärgern Jana. Die 23-Jährige ist Notfallsanitäterin im Erzgebirge. Auf ihrem Instagramkanal @rettung.einssiebenundfuenfzig macht sie auf Sexismus im Rettungsdienst aufmerksam.
“Man kommt als Frau in den Rettungsdienst und man merkt, das ist anscheinend normal, weil alle anderen Frauen das auch einfach so mit sich machen lassen und sich da keiner so richtig wehrt.”
“Mäuschen”, “Kleine” oder “Süße” – das müssen sich viele Frauen im Rettungsdienst anhören. Aber auch solche Spitznamen seien diskriminierend, sagt Jana. “Die sind so richtig schön reduzierend. Ich finde es erniedrigend und respektlos und herabwürdigend. Wir sind alle erwachsene Frauen und sind gleichberechtigt in dieser Funktion”, erklärt sie. Sie selbst habe das noch nie erlebt, es aber schon von Beginn an bei Kolleginnen mitbekommen. “Es ist ein schmaler Grat zwischen Spaß, dem schwarzen Humor des Rettungsdienstes und ausgewachsenem Sexismus.” Jana meint, dass alle ihre Grenzen ziehen müssen.
Betroffene sprechen häufig nicht über Erlebnisse
Jana motiviert Frauen, sich zu öffnen und bietet ihre Hilfe an. Bei Umfragen, die sie in ihrer Story schaltet, geben erstaunlich viele Personen an, Opfer von Sexismus geworden zu sein. Der Großteil ihrer Follower*innen sind Rettungs- und Notfallsanitäter*innen.
“Ich bin durch die Nachrichten einiger Follower eher zufällig darauf aufmerksam geworden, dass Sexualisierung gerade im Rettungsdienst wohl ein größeres Thema ist als man denkt, das so totgeschwiegen wird. Das wollte ich ändern”, sagt sie.
Umfrage lässt Ausmaß von Sexismus erahnen
Wie groß das Problem ist, zeigt auch der Podcast Hundertzwoelf, der eine Online-Umfrage dazu gestartet hat. Die Ergebnisse liegen KURT vor und sind alarmierend: 75 Prozent der befragten Frauen geben an, Opfer von sexistischen Sprüchen geworden zu sein. 66 Prozent der Frauen erlebten demnach sexuelle Anmache. Über 30 Prozent wurden sexuell an Brust oder Hintern berührt, scheinbar “zufällig”.
Die Umfrage ist nicht repräsentativ, da nur um die 200 Frauen aus dem Rettungsdienst teilgenommen haben. Die Zahlen zeigen trotzdem: Sexismus im Rettungsdienst ist ein Problem. Jana und die Podcastmacher*innen wollen das Tabu brechen und mit Betroffenen öffentlich darüber sprechen. Doch das kostet Überwindung. Jana weiß, wie schwer das sein kann. “Aber die Betroffenen sind nicht allein und niemand muss sich schämen, um Hilfe zu fragen!”, betont sie.
Tipps für Betroffene: Diskriminierung klar ansprechen
“Es ist eine gute Idee, wenn man sich eine Vertrauensperson sucht, vielleicht eine Kollegin, mit der man gut klarkommt, und das mit ihr unter vier Augen bespricht. Dann kann man schonmal zu zweit eine Lösung finden”, rät die Notfallsanitäterin.
Manchmal kann es schon reichen, die Person, die sich sexistisch verhält, direkt anzusprechen. “Hey, mich beschäftigt die Situation in der … passiert ist. Hast du das so gemeint oder verstehe ich das falsch?” Oder auch: “Hey, ich wollte dir nur einmal sagen, dass ich dich als Person schätze und ebenso möchte ich auch behandelt werden, also respektiere bitte meine Grenzen. Das geht für mich nicht und ich erwarte, dass das nicht wieder vorkommt.” Das sind zwei Möglichkeiten, die Jana empfiehlt, ein solches Gespräch zu beginnen. “Die Diskriminierung anzusprechen, ist kein Anzeichen von Arroganz oder ‘sich zur Wehr setzen’, sondern ein deutliches Erkennen seines eigenen Wertes!”, stellt Jana klar. Der nächste Schritt ist ansonsten der Weg zu den Vorgesetzten. Außerdem kann man sich an den Betriebs- oder Personalrat wenden.
Besonders schwierig kann es für Männer sein, die sexuell belästigt werden. “Es können ebenso Kolleginnen sein, die den Kollegen auf sein Äußeres reduzieren, oder die ältere Dame im Pflegeheim, die den jungen Notfallsanitäter auf seine Kraft reduziert”, erklärt Jana. Dass es auch in diese Richtung gehen kann, werde häufig unterschätzt und noch stärker verschwiegen. Jana rät aber auch Männern, keine Angst zu haben, ihre Grenzen klar zu kommunizieren.
Rechtliche Möglichkeiten: Auch gegen sexistische Sprüche kann man vorgehen
Wenn alles nichts hilft, muss man rechtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Tanja Melzer ist Rettungssanitäterin und Rechtsanwältin und klärt Betroffene auf. Sie betont, dass sich niemand diskriminieren lassen müsse. Gegen einen erniedrigenden Spitznamen kann man rechtliche Schritte einleiten, dafür gilt §13 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Auf dieses Gesetz kann sich jemand berufen, der wegen seiner sexuellen Identität oder seines Geschlechts benachteiligt wird.
Gegen diskriminierende Sprüche können Betroffene §185 aus dem Strafgesetzbuch nutzen: die Beleidigung. “Um diesen Tatbestand geltend zu machen, ist es jedoch erforderlich, dass Verhaltensweisen über den sexuellen Bedeutungsinhalt hinaus das Opfer oder Dritte herabsetzen”, erklärt Melzer. Außerdem sei es nicht leicht, Schmerzensgeld zu bekommen. Dafür müsse man beweisen, dass die Beleidigung kein Einzelfall ist.
Sexuelle Übergriffe: Am wichtigsten ist die Dokumentation
Bei einem sexuellen Übergriff ist das Wichtigste, den Vorfall zu dokumentieren. Schon im Einsatzprotokoll sollten die Rettungssanitäter*innen das Geschehene aufnehmen und die übergriffige Person auf ihr Verhalten ansprechen. Danach führt der Weg zur Polizei, um Anzeige wegen sexueller Belästigung zu erstatten (§184i StGb).
“Um Schadenersatz geltend zu machen, ist die betroffene Person für die Umstände, auf die sie sich beruft, darlegungs- und beweispflichtig, was in den meisten Fällen schwierig werden dürfte”, erklärt die Anwältin. Trotzdem sei es wichtig, gegen solche Übergriffe vorzugehen. “Zu denken, dass es nichts bringt, ist falsch”, meint auch Jana. Für die Würde allein sei es schon wichtig, diese Schritte zu gehen und die Situation nicht einfach so zu akzeptieren.
Was muss sich ändern?
“Nur wenn wir als Gesellschaft offen und unvoreingenommen mit diesem Thema umgehen, kann auch ein Umdenken und damit auch ein Bruch des Tabus stattfinden”, erklärt Melzer. Respekt und Toleranz seien die wichtigsten Eigenschaften, um Betroffenen endlich ein Gehör zu verschaffen. Janas Tipp, wenn man sich nicht mit dem Thema auskennt: “Manchmal ist schon vielen geholfen, wenn man sich das einfach mal anhört und respektvoll mit den Betroffenen umgeht.”
Die Gesellschaft muss lernen, zuzuhören und sexuelle Diskriminierung nicht abzutun. Nur so können sich Frauen und auch Männer in jedem Berufsfeld trauen, offen zu sprechen und somit selbstbewusst für ihre Werte und Grenzen einzustehen.
Teaser- und Beitragsbild: Instagram/@rettung.einssiebenundfuenfzig