Als Fahrradstadt hat Dortmund einen schlechten Ruf. Kein Grund zu nörgeln, meint Kurt-Autorin Paula. Sie begibt sich auf eine fantastische Reise auf Dortmunds Straßen.
Karl Marx, Das Kapital, der Klassenkampf – die alten Geschichten braucht in Zeiten von Youtube-Denkern und Klimanotständen niemand mehr. Der Kulturkampf unserer Zeit findet anderswo statt. Statt Proletariat gegen Bourgeoisie heißt es heute: Fahrradfahrer gegen Autofahrer. Wem gehört die Straße? Ich bin sicher: Na, meinem Fahrrad und mir.
Dabei haben wir Radfahrerinnen und Radfahrer es ziemlich schwer. Wäre Dortmund ein Schulkind, hieße es: Versetzung gefährdet. Zumindest in puncto Fahrradfreundlichkeit. Ich finde das nicht gut, dieser ganze Notendruck, das führt zu nichts. Man sollte Dortmund lieber seine Stärken zeigen, statt gleich alles schlecht zu reden.
Von Verkehrsveteranen und Fahrradklingeln
Genau das ist meine Mission. Also strample ich los und stelle fest: Mein Vorhaben ist kompliziert. Radfahren ist nichts für den Sommer. Mein Drahtesel hat keine Klimaanlage, der Asphalt brennt von unten und Fahrtwind gibt es bei meiner Geschwindigkeit auch nicht. Während ich mit der Kondition kämpfe, flitzt rechts ein Opi auf seinem E-Bike vorbei. Frustriert blicke ich dem Verkehrsveteran hinterher. Es muss wohl mehr passieren, als dass die Erde untergeht, bis die Deutschen ihre geliebten Motoren aufgeben.
Ich komme an eine Kreuzung. Der Opi ist sicher längst bis Bottrop geschossen. Die Ampel leuchtet rot und bremst mich aus. Grüne Welle für Radfahrer? Um Himmels willen, bloß nicht! Ich brauche die Zeit, um endlich durchzuschnaufen. Viel zu früh schaltet die Ampel wieder auf grün um und ich quäle mich weiter.
Amputation auf offener Straße
Schon folgt der nächste Schock: Der Radweg ist zu Ende. Doch Aufgeben ist keine Option, ich glaube fest an die Fahrradhauptstadt Dortmund 2025 oder 2035 oder 2095. Im Jetzt habe ich mich akklimatisiert und bin größenwahnsinnig geworden. Kühn stürze ich mich in den Verkehr, mitten zwischen die Autos. Kaum habe ich mich eingefädelt, hupt es hinter mir. Fröhlich stimme ich mit meiner Fahrradklingel ein. Musikalisch war ich schon immer.
Eine Weile kommen wir gut miteinander aus, die Autos und ich. Dann werde ich überholt. Muss ein Arzt sein, mit dem Kotflügel amputiert er mir beinahe das linke Bein. Spätestens jetzt steht fest: Kein Radweg? Kein Problem! Ich hänge mich einfach an den Außenspiegel des Autos, den es mir im Vorbeifahren so freundlich angeboten hat. Gleich bin ich zehnmal schneller; und endlich kühlt der Fahrtwind meinen Schweiß.
Stadtrundfahrt mal anders
Wie in allen Beziehungen gibt es doch Stress, als wir uns trennen wollen. Ich will an der nächsten Kreuzung abbiegen: nach links. Rabiat schneidet meine Mitfahrgelegenheit mir den Weg ab und beendet unsere Symbiose. Um nicht unter die Räder zu kommen, kann ich mich gerade noch in eine Seitenstraße retten. Ganz unerwartet erkunde ich eine neue Ecke der Stadt. Mensch, schön hier! Für Hop-On-Hop-Off-Touren zahlen andere Leute viel Geld.
Überhaupt muss das mein Glückstag sein. Als ich nach Hause komme, ist direkt vor der Tür noch eine breite Parklücke frei. Beschwingt stelle ich mein Rad dort ab. Schließlich gehört die Straße: mir.
Beitragsbild: Paula Protzen (Ressourcen: OpenClipArt-Vectors, Pixaline, Ricinator (#1 und #2) und Wild0ne von Pixabay)