Vier weiße deutsche Prominente entscheiden in lockerer Stammtisch-Atmosphäre darüber, ob man rassistische Beleidigungen wie das Z-Wort oder das N-Wort benutzen darf. Herzlich willkommen beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Die Kritik zur WDR-Sendung “Letzte Instanz” war laut. Und das zurecht. Doch die standardmäßige Diskussion reicht nicht, meint unsere Autorin.
Ausgerechnet zwei Tage nach dem Holocaust-Gedenktag strahlte der WDR eine Wiederholung der ursprünglich im November erschienenen Talkshow “Die letzte Instanz” aus. Nach der Sendung hagelte ein regelrechter Shitstorm, insbesondere in den sozialen Netzwerken auf die geladenen Gäste, den Moderator sowie den WDR ein. Zurecht.
Trotzdem ist es in diesem Fall nachhaltiger, von einer Nulldiskussion Abstand zu nehmen, die nach einer Woche so schnell abebbt, wie sie gekommen ist. Es bringt wenig, immer nach dem gleichen Schema zu handeln: Ein „Fehler“, wie WDR-Unterhaltungschefin Karin Kuhn ihn nennt, passiert, es wird darüber gesprochen und nach einer Woche ist der Zorn und die Wut wieder verflogen und es wird dem nächsten Skandal nachgejagt. Hier ist es jedoch wichtig, nicht nur das Symptom, sondern den Auslöser der Krankheit zu benennen: die interne, durch eine weiße Mehrheitsbevölkerung geprägte Struktur in den Redaktionen deutscher Medien.
WDR – Der Vorreiter der Diversität?
Für viele war es erschreckend, dass diese Folge im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgestrahlt wurde. Man muss jedoch beachten, dass auch hier Großteils alte, weiße Männer und Frauen Entscheidungen treffen. Eine Studie zur „Diversity im deutschen Journalismus“ vom Mai 2020 bestätigt die These, dass es in den Redaktionen an Empathie und Verständnis mangelt, da wenige selbst von Rassismus betroffen sind. 93,6 Prozent der Chefredakteur*innen haben keinerlei Migrationshintergrund. Erstaunlich ist dann jedoch, dass in der Studie der WDR als Vorreiter der Diversität dargestellt wird. Wenn dem Vorreiter der Diversität höchstpersönlich also noch solche „Missgeschicke“ passieren, haben wir noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten.
Die Studie besagt, dass sich Chef*innen in Deutschland zwar vielfältigere Teams in den Redaktionen wünschen, sich jedoch vor notwendigen Diversity-Maßnahmen scheuen. Auch wenn die meisten Chefredakteur*innen sagen, sie wollen mehr dafür tun, konkrete Zahlen zu erheben und darauf basierende Maßnahmen einzuleiten, lehnen die meisten von ihnen jedoch ab. Aber hey: Immerhin fragt der WDR inzwischen anonym bei Neueinstellungen nach dem Migrationshintergrund. Doch nur bei Neuanstellungen darauf zu achten, reicht nicht. Ein Großteil der aktuellen Redaktionsmitglieder wird nie selbst von Rassismus betroffen sein. Deswegen sind umfangreiche Schulungen zu diesem Thema, die für ein Bewusstsein sorgen, essenziell. Ebenso essenziell ist die Umstrukturierung von weiß dominierten Redaktionen und die Rekrutierung neuer Mitarbeiter*innen mit Migrationshintergrund.
Lasst uns bitte nicht weiter im Kreis drehen
Erschreckend an der Debatte ist jedoch, dass erneut Social-Media-User das Korrektiv sind. Insbesondere öffentlich-rechtliche Medienanstalten haben eine gesellschaftliche Aufgabe: Nämlich respektvolle und tolerante Beiträge für die Gesellschaft zu leisten. Das gilt auch für Unterhaltungsformate.
Es wäre also sinnvoll, wenn informierende, sensible und respektvolle Sendungsformate wie der „KARAKAYA TALK“, in denen Betroffene diskutieren, nicht nach der ersten Staffel abgesetzt werden. Genau diese Formate sollten im landesweiten Fernsehen laufen. Denn einschließlich Betroffene können über Rassismus entscheiden und urteilen. Nur ihre Meinung, Wahrnehmung und Entscheidung zählt. Und nicht die einer weißen Frau, die Kommentare zu ihren großen Brüsten mit Rassismus vergleicht.