Holen wir uns die Straße zurück!

Die Große Heimstraße in Dortmund auf höhe der Stadtbahn-Haltestelle Kreuzstraße. Das Bild zeigt einen E-Scooter Fahrer der die rote Fahrbahn überquert.

Seit etwas mehr als 80 Jahren nimmt das Auto den größten Raum in der Öffentlichkeit ein. Das muss nicht sein. Die Forschung weiß das seit Jahren, nur ist die städteplanerische Umsetzung oft schwierig. Ein Essay.

Kreuzviertel. 17 Uhr. Ich steige aus der U42 und fahre die Rolltreppe hoch. Oben erstreckt sich die Möllerstraße und überall fahren Autos. Es ist laut, hektisch und irgendwie fühlt es sich schmutzig an. Die Ampel für die Autos wird rot, die für die Fußgänger*innen grün. Endlich etwas Ruhe. Auf der Möllerbrücke funktioniert das Zusammenleben von Auto und Fußgänger*innen ganz gut. Trotzdem hetzen sich am Ende die Fußgänger*innen.

Gefühlt stimmt die Ampel ihnen zu. Rot. Schon geht das Gestaube und Geheule der Autos wieder los. Ich mittendrin. Wenn ich es geschafft habe, langsam dem Lärm der Autos zu entkommen und das Gehupe fast nicht mehr höre, frage ich mich doch hin und wieder: Muss das sein? Kann ich mich irgendwann mal darauf freuen, in einem Cafe draußen zu sitzen, ohne dass alles von parkenden Autos blockiert ist? Kommen wir jemals weg von einer Stadt, die nur für Autos geplant wurde?

Denn das Ampelphasen oft auf das Auto und nicht auf den Menschen ausgelegt sind, ist klar. Die wenigsten Ampeln sind auf das Verkehrsabkommen abgestimmt, sondern schalten Grün, egal ob da ein Auto steht oder nicht. Dass Außenbereiche von Cafes oder Kneipen oft Parkplätzen weichen müssen, oder nicht so groß sind wie sie eigentlich sein könnten, ist eigentlich eine riesige Ungerechtigkeit. Der öffentliche Raum gehört uns allen und nicht nur denen, die am lautesten sind.

Nichts ist unmöglich!

Matthias Cremer-Schulte meint, das Umdenken weg vom Auto kann kommen. Er ist Doktorand an der TU Dortmund und forscht zu Themen wie Autoabhängigkeit und Verkehrsplanung. „Wir müssen davon wegkommen, gegen das Auto zu argumentieren. Wir müssen für die anderen Verkehrsmittel argumentieren.“ Und das funktioniert. In München zum Beispiel wurde für einige Monate eine Straße für den Autoverkehr gesperrt. Am Ende des knapp ein Jahr langen Versuchs bekam das Konzept überwiegend gute Noten. Die Kundschaft besuchte die Läden weiterhin, die Anwohner*innen waren zufrieden. Das zeigt: Menschen wollen von sich aus einen Umstieg weg vom Auto, oder lassen sich wenigstens davon überzeugen. Manche dieser Versuche bleiben und werden das neue Normal. Oft aber verlaufen sich dieVersuche irgendwo zwischen Bürokratie und wenig echtem Interesse.

Man müsse Menschen aber auch anders das Auto abgewöhnen, sagt Cremer-Schulte. Verkehrsforscher*innen sprechen dabei von Push- und Pull-Maßnahmen: Auf der einen Seite geht es darum, Menschen das Leben mit Auto möglichst unattraktiv zu machen. Das funktioniert zum Beispiel durch Einschränkungen für den Autoverkehr, wie in München. Auf der anderen Seite brauchen die Menschen gute Alternativen. Dies gelingt, indem der öffentliche Nahverkehr attraktiver wird, zum Beispiel durch ein Deutschlandticket oder durch mehr Verbindungen. Anderes Beispiel: Nur mit sicheren Fahrradwegen in einer Stadt fahren Menschen Rad. Fahrradstraßen oder breite Radwege, losgelöst vom Autoverkehr, motivieren manche Menschen das Fahrrad zur Arbeit zu nehmen. Bestes Beispiel dafür ist Paris. Die Stadt stellt hier infrastrukturell die Weichen für mehr Radverkehr, die Pariser*innen nehmen das sichtbar an.

Stadt der kurzen Wege
Die Stadt der kurzen Wege, auch 15-Minuten-Stadt, ist ein städtebauliches Leitbild, das es Menschen möglich machen will, Arbeit, Wohnen, Dienstleistungs-, Freizeit- und Bildungsorte fußläufig zu verbinden. In der 15-Minuten-Stadt soll Autoverkehr vermieden werden und Rad- und Fußwege sowie der ÖPNV sollen ausgebaut werden. Erreicht werden soll das vor allem durch die Durchmischung der Viertel, also keine reinen Wohn- oder Arbeitsviertel. Studien zeigen, dass es neben diversen Vierteln auch andere Verkehrskonzepte braucht als in herkömmlichen Städten.

Was passiert in Dortmund?

Münster, Freiburg und auch München sind best-practice-Beispiele für nachhaltige Stadtplanung. Was dort passiert, muss doch auch in Dortmund möglich sein, oder? Zum Beispiel im Kreuzviertel. Überall parken Autos. Dabei liegt die Lösung doch auf der Hand: das Auto rausnehmen. Auf dem Papier ist das Viertel perfekt für Verkehrsversuche. Die Wege sind kurz und die Anwohner*innen interessiert an neuen Konzepten, jedenfalls lassen die dutzenden Lastenrädern darauf schließen, die die Fahrradstellplätze im Kreuzviertel zieren.

Die Große Heimstraße ist zum Beispiel schon eine Fahrradstraße. Ein kleiner Anfang. Jedoch sind sich die Verkehrsplaner*innen laut Cremer-Schulte einig: Man kann nicht nur einzelne Straßen zu Fahrradstraßen machen und dann erwarten, dass tausende Menschen sich begeistert aufs Fahrrad schwingen. Vor allem nicht, wenn die Fahrradstraße schlussendlich in der Möllerstraße mündet, einer vierspurigen Straße, die zwar einen Radweg hat, der aber nicht sonderlich gut ausgebaut ist. Noch ein großer Punkt, wenn es um Fahrradstraßen geht: Die Autofahrer*innen wissen oft nicht, dass hier Fahrräder vorrang haben.

Was ist eigentlich eine Fahrradstraße?
Fahrradstraßen sind, wie der Name schon sagt, Straßen auf denen Fahrräder Vorrang haben. Autos oder andere Verkehrsmittel sind nur auf Fahrradstraßen erlaubt, wenn das explizit ausgeschildert ist. Höchstgeschwindigkeit auf der Fahrradstraße sind 30 km/h, Fahrräder dürfen hier nebeneinander fahren, auch wenn dadurch Autos ausgebremst werden.
Das Bild zeigt ein 'Verkehrsberuhigter Bereich zu Ende' Schild, dahinter ist die Lindemannstraße zu sehen.
Oft kommt man direkt von der Spielstraße auf eine Hauptstraße. Unschön gerade für Fahrradfahrer*innen. Foto: Noah Brack

Wo bleiben in Dortmund aber die Verkehrsversuche über die Fahrradstraße hinaus? Am Phönixsee in Hörde wurde die Faßstraße umgestaltet, das Bindeglied zwischen dem Phönixsee und dem Zentrum Hörde. Eine Autospur, eine genauso breite Fahrradspur, Bäume, ein breiter Fußgängerweg und einige Zebrastreifen bilden nun die Straße.

Eigentlich ein gutes Konzept, das von Bürger*innen gut angenommen wird. Nur reicht das leider nicht. Eine Transformation hin zu einer „sozialen Stadt“, wie die Stadt Dortmund das Projekt selbst nennt, kann eben nicht nur in einem keinen Teilstück existieren. Als ich die Stadt Dortmund frage, was weitere geplante Projekte hin zu einer „sozialen Stadt“ sind, werde ich auf eine Website verwiesen. Konkret wird die Stadt nicht. Schade. Denn gerade die Planung des öffentlichen Raums ist etwas, was wirklich uns alle etwas angeht. Gerade da sollten Städte auf ein transparentes Konzept setzen.

Das ewige Problem: Geld

„Ich glaube, die größten Baustellen liegen tatsächlich im bürokratischen Aufwand und in der Finanzierung von Maßnahmen“, sagt Cremer-Schulte. Gerade ärmere Kommunen oder Städte können sich den Luxus nicht leisten, Millionen in neue Stadtkonzepte zu investieren. Im Vergleich zu Kinderarmut, Obdachlosigkeit oder Arbeitslosigkeit erscheint mehr Menschen für den öffentlichen Nahverkehr zu begeistern und vom Auto auf Fahrräder umzusatteln eher wie ein geringfügiges Problem. Aber gerade ärmere Städte, wie Gelsenkirchen oder auch Dortmund, brauchen Investitionen in den öffentlichen Raum. Denn: „Verkehrswandel ist nicht einfach nur Klimaschutz. Es geht um soziale Verträglichkeit, um das Leben miteinander besser zu gestalten“, sagt Cremer-Schulte.

Matthias Cremer-Schulte, Doktorand an der TU Dortmund in der Fakultät RaumplanungFoto: Uwe Grützner
Matthias Cremer-Schulte forscht zu Themen wie Autoabhängigkeit und nachhaltigen Städten. Foto: Uwe Grützner

Verträge wie zum Beispiel das Pariser Klimaabkommen sollten genau dem entgegenwirken und ein langfristiges Ziel darstellen. „Wir haben europäische Ziele, aber wir brauchen auch Ziele für uns selbst“, erklärt Cremer-Schulte. Es gibt zum Beispiel das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045, im Vergleich zu 1990 seien die Abgaben des Verkehrssektors allerdings nur minimal gesunken. „Und dann sagen wir einfach, die Treibhausgasneutralität muss nicht mehr nur im Verkehrssektor erreicht werden, sondern über alle Sektoren hinweg, sodass der Landwirtschaftssektor die Versäumnisse des Verkehrssektors ausgleichen kann.“ Das könne nicht die Lösung des Problems sein, sagt Cremer-Schulte. Es fehlen kleinschrittige Ziele, an die wir uns in Deutschland auch wirklich halten.

Wandel in den Köpfen

Als Kind habe ich einen Autoteppich gehabt und bin darauf mit meinen Spielzeugautos herumgefahren. Kein Radweg, kein Zebrastreifen, keine Fußgängerzone, logisch. Natürlich bleibe ich da erstmal unsensibel für die Bedürfnisse von Radfahrer*innen und Fußgänger*innen.

Studien zeigen, dass Verkehrsverhalten quasi vererbt wird. So wie meine Eltern oder meine Großeltern im Verkehr sozialisiert sind, so werde ich mich wahrscheinlich auch im Verkehr verhalten. Es muss also erst eine neue Generation für ein neues Verkehrsverhalten sensibilisiert werden. Matthias Cremer-Schulte sagt auch: „Ein Wandel in den Köpfen ist etwas, was nicht von heute auf morgen passiert.“

Wie wandeln wir?

Wie kann er aber passieren? Einfach Städte neu entwerfen, die Leute gewöhnen sich schon daran? Nein. Cremer-Schulte meint, man müsse Menschen durch Beteiligungen oder kleine Verkehrsversuche mit einem Konzept der Stadt vertraut machen, das komplett anders ist als das, was seit dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland vorherrscht. Die Menschen müssen selbst erkennen, dass es ihnen besser ginge mit anders geplanten Städten.

Als ich für meine Recherche durch das Kreuz- und Unionsviertel laufe und Menschen nach ihren Wünschen frage, höre ich ganz oft: Mehr Grünflächen. Weniger Autos. Mehr Straßenlaternen. Neue Bus- und U-Bahn-Haltestellen. Viel mehr soll fußläufig gut zu erreichen sein. Als ich weiter frage, ob die Anwohner*innen bereit sind, ihre eigenen Autos nicht mehr bis vor die Haustür zu fahren, bekomme ich viele verdutzte Blicke. In der Stadtplanung heißt das das „nimby-Phänomen“. Nimby steht für „not in my backyard“ und beschreibt das Phänomen von Personen, die sich Änderungen wünschen, bloß aber ihr eigenes Verhalten nicht verändern wollen.

Bis dahin…

Matthias Cremer-Schulte ist dennoch überzeugt davon, dass Ampelschaltungen irgendwann menschenfreundlich und nicht autofreundlich designt werden. Er glaubt, dass ich mich irgendwann darauf freuen kann, in einem Cafe draußen zu sitzen, weil eben nicht mehr alles von parkenden Autos blockiert sein wird und die Straße das wird, was sie einmal war: ein Ort der Begegnungen und nicht ein Ort des Autos.

Bis dahin braucht es noch Zeit. Vermutlich sogar eine Menge Zeit. Lasst uns in dieser Zeit nicht tatenlos herumsitzen: Lasst uns mit dem Fahrrad fahren, lasst uns den Stadtrat nerven mit neuen Ideen für unsere Viertel oder sogar unsere Bundestagsabgeordneten. Geht auf die Straße, denn die gehört immer noch uns!

 

Beitragsbild: Noah Brack

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