So wichtig wird die Blockchain

Die Blockchain kann die Wirtschaft der Zukunft maßgeblich verändern. Ob als erfrischender Rückenwind oder als zerreißender Hurricane - das liegt an den Menschen, die sich mit ihr auskennen.

Die Blockchain kommt und sie kommt mit Wucht. Vor wenigen Jahren nutzten die Technik hinter dem Bitcoin nur Krypto-Händler für illegale Geschäfte im Darknet. Jetzt forschen der deutsche Staat und Banken an ihr. Ob die Blockchain für die Wirtschaft der Zukunft ein erfrischender Rückenwind oder ein zerreißender Hurrikan wird, liegt an den Menschen, die mit ihr umgehen können. Auf einer Veranstaltung in Essen trifft man sie: den klassischen Krypto-Händler, motivierte Startup-Gründer und einen Kioskbesitzer.

Der Bass wummert, das Licht ist gedimmt und überall stehen Männer mit Bierflaschen. Auf der Terrasse sitzen kleinere Gruppen an den Tischen und unterhalten sich, die meisten rauchen. Vor einem Mann liegt ein Feuerzeug mit der Aufschrift „Nerd“. Die Veranstaltung erinnert an eine Informatiker-Party. Glaubt man denen, die sich schon mit der Blockchain beschäftigt haben, werden die Menschen hier die Wirtschaft der Zukunft prägen. Keiner ist zum Feiern dort, in den Flaschen ist alkoholfreies Malzbier und die ersten setzen sich schon auf ihre Plätze, um im Essener „Blockchain-Hotel“ über den Handel mit Kryptowährungen zu sprechen.

Wie funktioniert eigentlich eine Blockchain?

Das erste Kind der Blockchain war die Digitalwährung Bitcoin. Mittlerweile gibt es unzählige verschiedene Kryptowährungen. Werden sich diese im Zahlungsgeschäft etablieren, wird das vermutlich Banken überflüssig machen. Bei Zahlungen mit klassischem Geld sind Banken noch unverzichtbar. Denn bei fast jedem größeren Geschäft handeln die Beteiligten über eine Bank. Diese ist dann also der Vermittler, dem die Beteiligten vertrauen. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist dabei die „zentrale“ Instanz, die die Geldpolitik leitet, also zum Beispiel neues Geld zur Verfügung stellt und den Leitzins festlegt. In unserer jetzigen Finanzwelt müssen Banken sich gegenseitig vertrauen, darauf basiert das ganze System. Tun sie das nicht mehr, bricht alles zusammen – wie bei der Finanzkrise 2008.

Die Blockchain braucht kein Vertrauen und auch keine übergeordnete Instanz. Die Beteiligten kontrollieren sich gegenseitig. Das Blockchain-Netzwerk können alle Rechner, die die Technologie nutzen, einsehen: Die Computer sehen also, wer an wen Geld überweist. Das können sie notieren und ihre Beobachtungen den anderen zur Verfügung stellen. Das kann man sich als ein Blatt beschriebenes Papier vorstellen, das die anderen dann gegenlesen. Sind alle einverstanden, wird das Blatt, der sogenannte „Block“, abgeheftet. Aus allen bestätigten Blocks entsteht die Blockchain. In ihr ist alles Notwendige dokumentiert, woraus sich die Kontostände der Kryptowährungsnutzer bilden. Alles wird automatisch und in Millisekunden berechnet.

Versucht jemand zu betrügen, also Coins oder Transaktionen zu fälschen, fällt das sofort auf. Wenn ein neuer Block gefälscht ist, erkennen ihn die anderen Rechner nicht an. Das Blatt wird also nicht abgeheftet und der Betrüger wird als solcher entlarvt. Wenn jemand versucht, alte Blocks zu manipulieren, fällt auch das sofort auf.

Was ist ein Miner?

An der Blockchain mitzubauen, also eigene Beobachtungen für die Blockchain aufzuschreiben und die Beobachtungen anderer gegenzulesen, ist freiwillig. Wer das macht, ist ein sogenannter Miner. Die meisten Nutzer von Kryptowährungen sind keine Miner.

Bevor ein Rechner den anderen sein eigenes Blatt zum Gegenlesen vorlegt, muss er eine Rechenaufgabe lösen. Ein Wettbewerb: Der Miner, der am schnellsten rechnet, baut an der Blockchain mit und bekommt eine Belohnung. Die anderen Miner prüfen nicht nur die Beobachtungen des schnellsten Rechners, sie überprüfen auch, ob der Gewinner die Rechenaufgabe überhaupt richtig gelöst hat.

Was Kryptowährungen für viele lukrativ macht, ihnen aber oft einen schlechten Ruf gibt: In der Blockchain läuft alles anonym. Die Nutzer müssen nicht – wie beim Eröffnen eines Kontos – ihren Namen angeben. Die Rechner können zwar die Geschäfte der anderen einsehen, sogar Betrüger entlarven. Welcher Mensch aber hinter den Zahlencodes sitzt und gerade etwas gekauft hat, bleibt geheim.

Im Essener Blockchain-Hotel möchte auch Captain Bitcoin seine Identität geheim halten. Seinen echten Namen will er nicht nennen, Fotos lehnt er ebenfalls ab. Das Finanzamt solle bei seinen Geschäften lieber nicht so genau hinschauen. Deswegen will er weder ein Bild von sich, noch seinen Namen im Internet sehen.

Captain Bitcoin ist das, was man sich unter einem typischen Krypto-Händler vorstellt: Gemütlich sitzt er auf einem Outdoor-Stuhl, den er mehr als ausfüllt. Seine Arme wirken wegen seines massigen Körpers zu kurz. Seine Haut ist blass – als würde er kaum Tageslicht sehen. Das muss er auch nicht, um Geld zu verdienen. Selbstsicher und gut gelaunt erzählt er, dass er vor rund drei Jahren in einer Zeitung gelesen habe, man könne mit Bitcoins rund 250 Euro im Monat verdienen. Das wollte er ausprobieren. Trotz seines selbstgewählten Namens hat der Mann nicht mit Bitcoin das meiste Geld verdient. Andere Kryptowährungen seien für ihn profitabler gewesen. „Bitcoin ist ja schon Mainstream“, sagt er großspurig.

Aus dem Darknet auf die Schreibtische der ganz Großen

Für die Besucher des Blockchain-Hotel-Meetups in Essen ist der Bitcoin auch kaum mehr ein Thema. Sie beschäftigen sich eher mit anderen Kryptowährungen. Der wesentliche Unterschied zum Bitcoin hierbei: Die Legalität soll gewahrt werden. Die Vortragenden deuten ab und zu feixend an, dass sich kaum jemand im Saal noch nicht strafbar gemacht hat. Die neuen Ideen der Teilnehmer zeichnen sich aber nicht mehr durch Steuervermeidung oder Vertuschungsversuche aus: Sie wollen den Zahlungsverkehr mit der Blockchain schneller, effektiver und verlässlicher machen. Die Blockchain ist kein Werkzeug der Kriminellen mehr, sie kommt aus dem Darknet, diente vor einiger Zeit Drogen, Waffen und Kinderpornos; mittlerweile wollen der Staat und Banken ihr Potential nutzen.

So will die Bundesregierung die Blockchain erforschen und anhand der daraus gewonnen Erfahrung Rechtsnormen zum Handel mit Kryptowährungen etablieren. Das steht im Koalitionsvertrag von Union und SPD.

Lea, Alex und Tobias wollen die Blockchain-Technologie in mittelständischen Unternehmen etablieren. Foto: Sven Lüüs
Lea, Alex und Tobias wollen die Blockchain-Technologie in mittelständischen Unternehmen etablieren. Foto: Sven Lüüs

Auf dem Treffen in Essen zeigt sich, dass die Blockchain-Technologie längst nicht nur Nerds anspricht: An einem Tisch stehen Alex, Lea und Tobias. Sie sind nicht die Sorte Mensch, die man sich unter einem Berg von Chipstüten und Energydrinks in illegale Internetgeschäfte verstrickt vorstellt. Sie machen Witze, lachen, haben eine jugendlich-professionelle Ausstrahlung – von fehlender Sozialkompetenz keine Spur. Die drei Endzwanziger sind im Moment dabei, ihre eigene Firma zu gründen. Diese soll Digitalisierungsstrategien für andere Unternehmen entwerfen. Dabei sei auch Wissen über die Blockchain-Technologie wichtig – vor allem für Firmen im Finanzsektor. Das Angebot von Alex, Lea und Tobias richtet sich jedoch vor allem an Mittelständler, die oft selbst zu wenig über Digitales wissen.

Die Dortmunder Volksbank braucht Alex, Lea und Tobias nicht, sie erarbeitet sich ihr eigenes Blockchain-Wissen: Carsten Jäger, Pressesprecher der Dortmunder Volksbank, schreibt auf KURT-Anfrage, dass die genossenschaftliche Bankengruppe, zu der die Dortmunder Volksbank gehört, mit der Blockchain-Technologie versuchen wird, Kosten einzusparen und Prozesse zu beschleunigen. Ein Experiment der Bankengruppe mit der Blockchain bezeichnet er als „wichtigen Meilenstein“.

Bald am Kiosk: Zahlen mit Kryptowährung

Kowan meint, dass sich bald alles auf die Blockchain-Technologie umstellen wird. Foto: Sven Lüüs
Kowan meint, dass sich bald alles auf die Blockchain-Technologie umstellen wird. Foto: Sven Lüüs

Die Blockchain: Sie ist schon Thema bei Banken, steht im Koalitionsvertrag; Alex, Lea und Tobias wollen sie in den Mittelstand bringen. In Frechen bei Köln gibt es sie bald sogar schon am Kiosk um die Ecke. Kowan ist Kioskbesitzer und gut getarnter IT-ler: klein, schmächtig, bärtig, Anfang vierzig; arabischer Akzent, zuvorkommendes Lächeln. Hinter der Kiosk-Theke fällt er sicher nicht auf. Die traditionell technikscheue Einstellung anderer Kioskbesitzer bringt ihn zum Schmunzeln. Er will mit der Zeit gehen, gemeinsam mit Bekannten hat er eine eigene Kryptowährung auf die Beine gestellt. Sie müssen sie nur noch beim Finanzamt anmelden. In den nächsten Wochen sollen die ersten Kunden von Kowans Kiosk dann in Xin, einer Kryptowährung, zahlen können. Kowan will mit der Blockchain-Technologie nicht nur Geld verdienen, er ist ein echter Blockchain-Fan: „Mit Bargeld kann man auch Scheiße bauen“, sagt er. Die Blockchain sei aber sicherer, sogar fairer: Eben weil es in der Blockchain keine „herrschende“ Instanz, etwa eine Zentralbank, mehr gibt.

Nicht jeder sieht die Blockchain so positiv wie Kowan. Die Technologie wird oft wegen ihres hohen Stromverbrauchs kritisiert. Außerdem bedrohe sie Arbeitsplätze – wenn Banken überflüssig werden, werden ihre Angestellten das auch. Aber das sind Kinderkrankheiten. Jobs werden an anderer Stelle wieder neu entstehen und um weniger Strom zu verbrauchen, muss die Technologie einfach noch verbessert werden.

Der Mensch gibt die Kontrolle an die Software ab

In der Debatte gerät das tiefer liegende Risiko der Blockchain in den Hintergrund: Der Mensch benutzt die Blockchain nicht einfach, er gibt die Kontrolle an die Software ab. Was einmal in der Blockchain ist, kommt dort kaum wieder raus. Selbst, wenn eine überwältigende Mehrheit der Nutzer dafür ist, einen tief liegenden Block in der Kette zu verändern – die Blockchain lässt das nicht zu. Damit ist sie einerseits unmanipulierbar, aber andererseits auch unkorrigierbar.

Die Blockchain ist jedoch keine künstliche Intelligenz, sie wird nicht zu der Horror-Vorstellung führen, in der Roboter einen eigenen Egoismus entwickeln und gegen den Menschen ankämpfen. Die Blockchain ist eher eine Art Software. Es wird wichtig sein, diese zu perfektionieren, bevor man sie im großen Rahmen nutzt. Wenn das gelingt, wird menschliches Handeln eben nicht mehr gebraucht. Damit fallen auch Risiken weg: Pfuscherei, falsches oder zu wenig Vertrauen, menschliche Fehler also, führten in die Finanzkrise 2008. Durch eine bedachte Einführung der Blockchain-Technologie lösen sich diese Probleme. Wenn sie den Finanzsektor aber unkontrolliert erobert, kann schon ein Software-Fehler in eine neue Krise führen.

KURT hat außerdem darüber berichtet, wie der venezuelanische Präsident sein Land mit einer eigenen Kryptowährung aus der Krise führen will und wie die Europäische Union anfängt, den Bitcoin zu regulieren.

Fotos und Beitragsbild: Sven Lüüs

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