Künstliche Intelligenzen, Algorithmen und Bots entscheiden womöglich über deine nächste Bewerbung. Die technologische Entwicklung macht auch vor den Personalabteilungen nicht Halt. Doch Bewerber und Unternehmen sind darauf nur zum Teil vorbereitet.
Stellt euch vor, bei eurer nächsten Bewerbung chattet ihr als erstes mit einem Bot. Stellt euch vor, euren sorgfältig und formal perfekten Lebenslauf liest nicht der Personalchef zuerst, sondern ein Algorithmus bewertet ihn. Was nach einem Szenario aus der Zukunft klingt, ist bei einem der größten Arbeitgeber in der Region schon Realität. Thyssenkrupp hat bereits seit 2013 begonnen, sich mit dem Einsatz von KI und Algorithmen in der Personalauswahl zu beschäftigen. Die zukünftigen Bewerber rechnen offenbar größtenteils damit. Das zeigt eine Studie von viasto, Anbieter von Video-Recruiting-Lösungen, und vom unabhängigen Marktforschungsinstitut respondi zur Akzeptanz von KI in Bewerbungsprozessen.
Knapp 80 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die KI in der zukünftigen Personalauswahl prägend sein wird. Auf diese Entwicklung fühlen sich die Studienteilnehmer aber nur dürftig vorbereitet. Fast zwei Drittel (67 Prozent) fühlen sich eher schlecht (51 Prozent) oder überhaupt nicht (16 Prozent) auf die mit der Technologie einhergehenden Bewerbungsprozesse eingestellt.
Befragt wurden 1008 Menschen zwischen 18 und 69 Jahren, die in den vergangenen drei Jahren mindestens einen Bewerbungsprozess durchlaufen haben. Vielen Befragten fehlt der konkrete Nutzen von KI in den Bewerbungsabläufen. So ist knapp die Hälfte skeptisch gegenüber der Beteiligung von KI. Ein Viertel steht Bewerbungverfahren mit dieser Technologie jedoch positiv gegenüber. Auch auf dem Campus der TU gehen die Meinungen auseinander.
Zwischen beängstigender Technologie und intelligentem Jobhelfer
Einige Studierende wollen nicht, dass Algorithmen über ihre Bewerbung entscheiden. “Ich finde den Gedanken beängstigend, dass KI über mein berufliches Leben entscheiden kann”, findet Paula, 26, Studentin der Literatur- und Kulturwissenschaften. Sie glaubt, dass Menschen mit Erfahrungen in dem Bereich solche Entscheidungen besser fällen können. Lehramtsstudentin Karolin, 20, hat sich noch nicht mit dem Thema auseinandergesetzt und fragt sich: “Wie soll sowas funktionieren?”
Es gibt aber auch Studierende, die KI eine Chance geben wollen. “Vielleicht können Algorithmen helfen, Berufe für Leute zu finden, die sich schwer bei der Berufswahl tun”, meint Rogar, 23, Student der Raumplanung. Für Maschienenbaustudent Julian, 24, kann KI als Unterstützung eingesetzt werden, eigene Entscheidungen von Algorithmen findert er aber unrealistisch.
Wenn die Bewerber wissen, um welche Verfahren zur Personalauswahl die KI eingesetzt werden, steigt die Akzeptanz laut der Studie deutlich. So geben zwei Drittel (67 Prozent) an, den Einsatz von Algorithmen zu befürworten, wenn dieser dabei hilft, den passenden Job zu finden. In der Altersklasse der 18- bis 29-Jährigen sind es sogar 78 Prozent. Auch zur Suche nach dem passenden Arbeitskollegen oder Vorgesetzten könnten Künstliche Intelligenzen Lösungen anbieten, so ein Ergebnis der Studie.
Viele Unternehmen zurückhaltend
Die informierten Bewerber sind also zum Großteil offen für Bewerbungsverfahren mit KI-Einsatz – wie sieht es aber auf der anderen Seite, der Seite der Unternehmen aus? Auf Nachfrage bei den größten Unternehmen im Ruhrgebiet fallen auch hier die Antworten in beide Richtunge aus: Für die Continentale, Deichmann und die Signal Iduna ist der Einsatz von KI in der Personalauswahl noch kein Thema, auch für die Zukunft ist in den Unternehmen noch keine Änderung in dem Gebiet angedacht oder sie haben sich noch keine Gedanken gemacht.
Die Menschen müssen zumindest prinzipiell verstehen, wie die Maschine zu ihren Vorschlägen kommt
Andere Unternehmen finden es interessant, KI in Zukunft einzusetzen, für sie soll aber der Mensch im Mittelpunkt der Entscheidungen stehen. “Grundsätzlich spricht nichts gegen die Nutzung von automatisiert verarbeiteten Informationen in der Eignungsdiagnostik, es bleibt aber dabei, dass die Entscheidungen von Menschen getroffen werden müssen. Und diese Menschen müssen zumindest prinzipiell verstehen, wie die Maschine zu ihren Vorschlägen kommt”, sagt Heiko Friedrichs, Leiter Personalentwicklung bei RWE. Das Unternehmen verwendet aktuell in seiner Personalauswahl keine Diagnostik, hinter der eine KI sitzt. Bei Tedi wären laut der Pressestelle die technologischen Voraussetzungen für den Gebrauch gegeben, doch auch hier sollen der Bewerber und dessen Bewerbungsunterlagen individuell betrachtet werden.
Thyssenkrupp ist fortschrittlich
Der Industriekonzern Thyssenkrupp ist einer der Vorreiter in dem Bereich und setzt bereits Algorithmen in verschiedenen Abschnitten der Personalauswahl ein. So nutzt das Unternehmen Algorithmen bei der Anwerbung von Bewerbern, beim Auswerten von Lebensläufen, der Auswahl bzw. Entwicklung von Führungskräften und teilweise beim Auswerten von Tests während des Bewerbungsverfahrens. Als Grund für den breiten Einsatz nennt das Unternehmen die Verbesserung der Entscheidungsqualität und die erhöhte Transparenz in Auswahl- und Entwicklungsprozessen durch datenbasierte Unterstützung durch Algorithmen.
Weitere Vorteile seien die Reduzierung von Streuverlusten und die Möglichkeit, mit den Kandidaten immer wieder in Kontakt treten zu können. Auch Algorithmen von externen Anbietern wie Google, Indeed, KornFerry und Predictive Index werden eingesetzt. Diese Technologie soll in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden. Der Konzern entwickelt aktuell innerhalb einer Kooperation einen Chatbot, der Bewerbungsinteressenten als erster Ansprechpartner zur Verfügung stehen soll.
Dass KI und Algorithmen sich noch nicht überall bewährt haben, zeigt ein aktuelles Beispiel des US-Konzerns Amazon. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, arbeitete seit 2014 ein Entwicklerteam an einem Programm, welches die Bewerber in einer Rangliste ordnet. Ähnlich dem Amazonbewertungssystem wurden die Bewerbungen mit Null bis Fünf Sternen bewertet. Im Entwicklungsprozess fiel den Entwicklern jedoch auf, dass ihr Programm weibliche Bewerber benachteiligte. Da dem Algorithmus die erfolgreichen Bewerbungen der vergangenen zehn Jahre zugrunde lagen und in diesem Zeitraum mehr Männer in den betreffenden Positionen eingestellt wurden, bewertete das Programm Bewerbungen von Männern besser. Daraufhin stoppte Amazon das Projekt Anfang des Jahres 2017.
Es gibt also noch einiges zu tun für die Unternehmen. Aber eines steht fest: Allzu weit weg liegen Bewerbungsprozesse mit künstlichen Intelligenzen nicht mehr.