Alles begann mit einem Haufen scheinbar wertloser Geigen, die Geigenbauer Moshe Weinstein entgegennahm. Er erhielt Geigen, die in einer Zeit gespielt worden waren, in der es wenig Hoffnung gab. Geigen, die einst von jüdischen Musikern in den Orchestern der Konzentrationslager gespielt worden waren – vor und nach der Zwangsarbeit und während andere in den Gaskammern ihrem sicheren Tod entgegen gingen. Jahrzehnte nach dem Holocaust hat Moshes Sohn Amnon Weinstein den Geigen wieder einen Wert gegeben: Sie sind zum Zeichen gegen das Vergessen geworden.
Wer das Konzentrationslager überlebt hatte, konnte es oft nicht mehr ertragen, wieder auf seiner Geige zu spielen. So brachten viele jüdische Musiker ihre größtenteils in Deutschland gefertigten Instrumente in Moshe Weinsteins Werkstatt in Tel Aviv, um sie zu verkaufen. Andernfalls würden sie ihre Instrumente kaputtmachen.
Obwohl der studierte Violinist selbst von Vilnius nach Israel hatte fliehen müssen und Angehörige verloren hatte, brachte er es nicht übers Herz, die Instrumente dem Verfall zu übergeben. Er kaufte jede Geige und bewahrte sie auf – nicht ahnend, dass daraus ein mittlerweile mehrere generationenübergreifendes Projekt entstehen würde.
Erst viele Jahrzehnte später, zu Beginn der 80er Jahre, entdeckte sein Sohn Amnon Weinstein die Instrumente und forschte nach. Von den Geschichten der Violinen gepackt, begann der ebenfalls gelernte Geigenbauer, weitere Geigen aus Konzentrationslagern, Ghettos und Partisanengruppen zu sammeln und zu restaurieren.
Heute werden sie auf Ausstellungen in der ganzen Welt gezeigt, auch in Dortmund waren schon einige der restaurierten Instrumente zu sehen. Amon Weinstein und inzwischen auch sein Sohn Avshalom bringen sie wieder zum Klingen – die Geigen und die Geschichten der Menschen, denen sie gehörten.
Die Geschichte von Feivel Wininger
Vielfach werden die Instrumente von Überlebenden des Holocaust oder deren Angehörigen zu den Weinsteins gebracht – so wie die Geige von Feivel Wininger aus Rumänien. Im Oktober 1941 wurden er und seine Familie sowie tausende weitere Juden gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.
Anschließend wurden sie nach Transnistrien, einer Region in der Nähe der Ukraine, gebracht, obwohl die rumänische Regierung wusste, dass es dort nicht genug Lebensmittel für alle geben würde. Nach zwei Wochen Reise konnte seine anderthalbjährige Tochter Helen vor Entkräftung nicht einmal mehr weinen.
Erinnere dich daran, dass du Geige spielen kannst.
Im ukrainischen Ghetto von Sharhorod angekommen, traf Feivel Wininger auf einen Richter aus seiner Heimatstadt, der ihm Mut machte: „Erinnere dich daran, dass du Geige spielen kannst.“ Und Feivel Wininger begann zu spielen. Erst auf der wertvollen Amati-Geige des Richters und, als ihm diese wenig später von der Regierung abgenommen wurde, auf einem einfacheren Instrument. Durch seine Auftritte bei Hochzeiten und anderen Festen erhielt er im Gegenzug Lebensmittel für sich und seine Familie und rettete so vielen Menschen das Leben.
Zu seinem 90. Geburtstag ließ seine Tochter Helen die Geige bei den Weinsteins reparieren. Obwohl er mittlerweile nicht mehr darauf spielen konnte, nahm Feivel Wininger sie jeden Tag aus ihrem Kasten, sprach mit ihr und behandelte sie wie einen Freund. Nach seinem Tod brachte Helen die Geige zurück zu den Weinsteins, die das Instrument und seine Geschichte seitdem mit auf Ausstellungen nehmen.
Violinen der Hoffnung
Die Geschichte von Feivel Wininger erklärt, warum Amnon Weinstein sein Projekt „Violins of Hope“ – „Violinen der Hoffnung“ nennt: Die Geigen haben den Menschen in den Konzentrationslagern ein Stück Hoffnung zurückgegeben. Während sie auf ihren Instrumenten spielten, konnten sie für kurze Zeit die Schrecken um sich herum vergessen.
- 1.Nigun“ von Ernest Bloch (Ausschnitt), gespielt von Akihiro Takeda auf einer der „Geigen der Hoffnung0:17
„In vielen Lagern haben eine Menge Menschen gespielt, aber wir haben die Geschichten derjenigen verloren, die nie darüber gesprochen haben. Manchmal aber finden wir die Geschichten der Menschen, die gesprochen haben, und manchmal sogar ihre Instrumente”, sagt Avshalom Weinstein, der zusammen mit seinem Vater Amnon Weinstein die Geigen restauriert.
Mittlerweile ist die Sammlung auf über 70 Geigen gewachsen. Aber nicht bei jedem Instrument ist seine genaue Herkunft bekannt, manchmal sind es nur Anhaltspunkte, die auf ihre ehemaligen Besitzer schließen lassen.
Eine der Geigen erreichte Amnon Weinstein in sehr schlechtem Zustand: Sie wurde offensichtlich im Freien bei Regen und Schnee gespielt. Das mit insgesamt fünf Davidsternen auf der Vor- und Rückseite ungewöhnlich verzierte Instrument wurde von Yacoov Zimermann, einem der wenigen bekannten jüdischen Geigenbauer, gefertigt. Nach anderthalbjährigen Restaurierungsarbeiten wird es heute wieder auf Konzerten gespielt. Wem die Geige gehört hat, lässt sich nicht mehr sagen.
Zeichen gegen das Vergessen
Inzwischen reisen die Geigen durch die ganze Welt – waren zuletzt auch kurz im Dortmunder Konzerthaus zu sehen und hören. Organisiert wurde die Ausstellung von Georg Borgschulte von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dortmund. Er hält das Projekt besonders für Kinder und Jugendliche wichtig: „Wir wollen die junge Generation erreichen, damit die Fehler, die die Großeltern und Urgroßeltern gemacht haben, nicht noch einmal passieren“. Denn mit den klingenden Zeitzeugen können die Geschichten ihrer Besitzer auch in Zukunft lebendig gehalten werden.
Beitragsbild: Avshalom Weinstein