Ein sicherer Hafen? – Seenotrettung im Europawahlkampf

Foto: geralt/pixabay

2018 starben durchschnittlich sechs Menschen am Tag auf der Flucht im Mittelmeer. Das Thema Seenotrettung ist ein zentrales im Wahlkampf zur Europawahl. Wie kann und sollte in Not geratenen Geflüchteten geholfen werden?

Die deutschen Parteien, die am Sonntag zur Wahl des Europaparlaments antreten, gewichten das Thema ihren Wahlprogrammen unterschiedlich stark. Nichtregierungsorganisationen wie Sea-Watch sprechen derweil von einer “humanitären Frage”. Das Thema Seenotrettung polarisiert also – Regierungschefs, NGOs und Parteien sind sich uneinig, wie Menschen in Seenot geholfen werden soll und muss.

Rücktransport nach Libyen?

Nach Italiens Veto stoppte die EU im März 2019 ihre “Sophia”-Mission. Diese wurde eigentlich gestartet, um Menschen in Seenot vor Libyens Küste zu helfen und Aktivitäten von Schlepperbanden zu kontrollieren. Stattdessen werden diese jetzt nur noch aus der Luft beobachtet. Außerdem stärkt die EU die sogenannte libysche Küstenwache. Menschenrechtsorganisationen warnen dagegen ausdrücklich davor, Geflüchtete zurück nach Libyen zu bringen.

Franziska Wallner, Mitarbeiterin bei Sea-Watch spricht im KURT-Interview über die menschenverachtenden Zustände, die in dem nordafrikanischen Land herrschen. Flüchtlinge werden dort gefoltert und misshandelt, wie eine Studie der “Women’s Refugee Comission” zeigt.

“Die libysche Küstenwache bricht jeden Tag geltendes Recht. Und die Europäische Union unterstützt das”, sagt Wallner. Und spielt damit auf etwas an, was verschiedenste Hilfsorganisationen der Politik vorwerfen. Laut internationalem Seerecht müssen Menschen in Not nicht nur an Land, sondern in den nächsten sicheren Hafen gebracht werden. Libyen zähle aber nicht als sicher, so Wallner, dennoch werde diese Praxis betrieben.

Kritik: Blockade von ziviler Hilfe

Außerdem fordert Wallner, dass Kapitäne und Kapitäninnen und andere zivile Helfende nicht mehr für ihren Einsatz angeklagt werden. “Wir wollen retten, können es aber nicht”, sagt sie. Auch wenn die Solidarität in der Gesellschaft bereits groß sei, müsse sich vor allem in der Politik etwas ändern.

Wir wollen retten, können es aber nicht, wir werden blockiert.

Jüngstes Beispiel ist die Verurteilung des “Lifeline”-Kapitäns Claus-Peter Reisch, der in Malta zu einer Geldstrafe von 10 000 Euro verurteilt wurde. Sein Schiff, mit dem er im letzten Jahr 234 Migranten gerettet hatte, war nicht ordnungsgemäß registriert.

Franziska Wallner hat ein weiteres Beispiel: Eine Kapitänin von Sea-Watch ist in Italien angeklagt. Wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung. “Was läuft denn falsch, wenn man Zivilcourage zeigen muss, um Menschenleben zu retten?”, fragt sich die Österreicherin. Es sei menschliche und rechtliche Pflicht, Menschen in Not zu helfen. Organisationen wie Sea-Watch seien entstanden, weil die EU diese Aufgabe nicht erfülle.

Ein weiteres Problem sei, dass zivile Rettungsschiffen immer wieder das Anlegen in italienischen und maltesischen Häfen verweigert wird. So zum Beispiel auch die “Lifeline” von Claus-Peter Reisch, die nach der Rettung der Geflüchteten tagelang nicht in Malta anlegen durfte.

Die Besetzung der Sea-Watch 3 wechselt, während dem Schiff das Anlegen in einem maltesischen Hafen verweigert wird. 32 Gerettete sind an Bord. (Foto: Sea-Watch)

Seenotrettung in Wahlprogrammen

Die Wahlprogramme der großen deutschen Parteien zeigen einen unterschiedlich starken Fokus auf das, was sich in Zukunft an der Situation im Mittelmeer ändern soll. In Zukunft – das heißt in diesem Fall nach der Europawahl am 26. Mai 2019. Seenotrettung findet sich in vielen Parteiprogrammen, das Thema bewegt die Menschen offenbar.

DIE LINKE unterstützt viele Aussagen der NGOs grundsätzlich. Helge Meves sagt auf KURT-Anfrage: “Aus unserer Sicht ist klar: Das Sterben-Lassen der Menschen im Mittelmeer ist ein Verbrechen, und nicht, dass Menschenleben gerettet werden. Es ist eine genuin staatliche Aufgabe der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, das Sterben dieser Menschen zu beenden.”

Die Partei fordert eine gemeinsame zivile europäische Lösung, eine gerechte Verteilung von Geflüchteten in den EU-Staaten auf Basis derer finanziellen Mittel sowie sichere und legale Wege der Einreise. So soll der gefährliche Weg über das Mittelmeer überflüssig werden.

Es ist eine genuin staatliche Aufgabe der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, das Sterben dieser Menschen zu beenden.

Jamila Schäfer, stellvertretende Bundesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, spricht sich zudem für eine feste Verteilquote von Geflüchteten auf die einzelnen EU-Staaten aus. Das könne dazu führen, dass die maltesischen und italienischen Häfen wieder geöffnet würden, so Schäfer.

Die SPD vertritt ähnliche Positionen.  Im Wahlprogramm positioniert sich ebenfalls für eine stärkere europäische Zusammenarbeit: “Wir wollen, dass die EU die Seenotrettung stärker koordiniert und die Mitgliedstaaten dabei finanziell, technisch und personell unterstützt.”

Liberal versus konservativ

Die CDU/CSU, die erstmals mit einem gemeinsamen Programm zur Europawahl antritt, hält sich zum Thema Seenotrettung recht bedeckt. Die Union wolle illegale Einreise eindämmern, heißt es im Wahlprogramm. “Die Bekämpfung der illegalen Migration beginnt mit dem effektiven Vorgehen gegen Schlepperbanden und mit einem wirksamen Schutz der europäischen Außengrenzen”, erklärt die Union.

Sie setzt also auf  eine Stärkung der Außengrenzen und der europäischen Grenzagentur FRONTEX. Ähnliche Ziele sieht auch das Wahlprogramm der FDP vor: Eine starke Grenzschutzagentur sowie eine einheitliche Lösung für Europa.

Die AfD beschränkt sich in ihrem Programm auf den Außengrenzschutz und “Remigration statt Masseneinwanderung”. Die AfD positioniert sich gegen FRONTEX. Im Wahlprogramm heißt es: “Die aktuelle Praxis der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, auf See aufgegriffene Menschen mit Migrationsziel Europa in die EU weiter zu transportieren und damit Hilfsdienste für Schleuser zu verrichten, ist absurd und verkehrt den Zweck einer Agentur für Grenzschutz in sein Gegenteil.”

Laut UNHCR starben allein im Januar dieses Jahres 185 Menschen im Mittelmeer. Für Franziska Wallner sprechen diese Zahlen eine eigene Sprache: “Es muss sich noch sehr viel ändern. In der EU und bei den zuständigen Politikern.”

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