Seit Jahrzehnten streiten sich das Ruhrgebiet und die Bundeshauptstadt Berlin um eine Frage: Wer hat die bessere Currywurst? Die Frage ist völlig überflüssig. Das Ruhrgebiet gewinnt – nicht nur, wenn’s um die Wurst geht.
Von Renée Severin und Denise Friemann
Sie ist länglich, knusprig und schmeckt besonders gut mit einer fetten Portion Pommes: Die Currywurst. Bei den Meisten verschwindet sie schnell im Magen. Und obwohl ihr Genuss eigentlich recht kurzweilig ist, dreht sich um sie schon lange eine Frage, die zwei Regionen spaltet: Wo schmeckt sie besser? In Berlin oder im Ruhrgebiet? In der Hauptstadt steht mitten in Kreuzberg ein Laden, der fett deklariert, die beste Currywurst Deutschlands zu verkaufen – im Pott stechen sie währenddessen kräftig in die Wurst, schieben sie in den Mund, beißen beherzt zu und genießen. Profilieren? Das brauchen sie nicht.
Berlin zusammengefasst: Low carb, no sugar, vegan
Die Menschen im Ruhrgebiet sind bodenständig. Bling-Bling braucht hier niemand, Gelsenkirchener Barock ist angesagt. Zum Frühstück gibt es kein Porridge mit Apfel-Zimt-Chiasamen-Topping, ein Käffken und eine Knifte tun’s auch. Für die Hipster in Berlin unvorstellbar, ist ja auch nicht glutenfrei. Leckere, bekannte Lebensmittel werden in Deutschlands Hauptstadt ersetzt durch ganz sicher laktosefreie und auf jeden Fall vegane Alternativen: Ob mit Hafer-, Reis- oder Mandel. Hauptsache es steht nicht einfach nur “Milch” auf der Verpackung. Stinknormale Kaffeebohnen? Überflüssig. In Berlin gibt’s Matcha. Offenbar auch im Kopf: Denn wirklich lecker sind diese Dinge nur mit viel Fantasie. Viel drin ist ja auch nicht – alles ist low carb, no sugar und auf jeden Fall vegan. Und wenn es nicht mindestens 7,50 Euro kostet, dann kann es eigentlich gar nicht schmecken. Die neue Berliner Küche, wie man sie aus hippen Vierteln wie Friedrichshain kennt, will individuell sein. So individuell, dass sie in der Masse untergeht und sich zu einem Klischee entwickelt hat – das zu stimmen scheint, wenn man nur mal über den Kiez schlendert.
Denn in Berlin gilt vor allem eins: Auffallen um jeden Preis. Egal ob durch ausgefallene Fortbewegungsmittel wie Einräder oder Rollschuhe, durch Haustiere in allen Größen und Farben, gerne auf der Schulter getragen oder an der Leine geführt, oder durch eine von Neologismen und Anglizismen überflutete Sprache, die man selbst als “Millenial” kaum versteht. Ja, in Berlin darf man alles sein, nur eben nicht normal.
Alle feiern Berlin, aber nicht alle dürfen es
Leider wird dieser Wettbewerb der Individualität zum Bumerang und die Berliner zu einem Einheitsbrei aus verwaschenen Jeans aus den Neunzigern, viel zu weiten Pullovern und ungekämmten Haaren. Streetstyle nennen sie das. Im Pott ist es der Look an einem harten Morgen. Wenn der Wecker mal wieder zu spät geklingelt hat, für Käffken keine Zeit mehr ist und die Lieblingsklamotten gerade noch im Wäschekorb verweilen. Aber Städte wie Bochum lieben den Pott auch “ohne Schminke”, wie Herbert Grönemeyer es treffend formuliert. Egal, ob die Nacht im Bermuda Dreieck zu lang war oder das ein oder andere Bier am Ende dann doch zu viel ist. Zu viel sind eher die immer gleich klingenden Techno-Sounds im Berliner Berghain. Niemand hört die Mukke privat, aber im Berghain feiern sie’s als wäre Michael Jackson wieder auferstanden. Und warum? Weil’s alle in Berlin feiern. Alle feiern Berlin.
Aber hey! Wehe du kommst nicht wirklich aus Berlin – wehe die Urgroßmutter der Großmutter deiner Mutter ist noch nicht in Berlin geboren. Dann hast du Berlin nur von außen zu feiern. Dann darfst du nicht dabei sein. Denn in der ach so weltoffenen Metropole gilt: Du bist kein Berliner, wenn du nicht mindestens in der siebten Generation dort lebst. Im Ruhrgebiet gehörst du dagegen dazu, sobald du das erste Mal das passende Bier zur Stadt getrunken hast. In Bochum ein Fiege, in Essen das Stauder, in Dortmund das Kronen.
Bier ist im Pott Kultur: Es zeigt deinen Charakter – ob rau und herb wie Fiege oder süffig und mild wie Kronen – und manchmal zeigt es sogar, zu welchem Fußballverein du gehörst. Ein BVB-Fan würde wohl niemals Veltins trinken. Und trotzdem: Wenn nach dem Derby der Mann mit dem Schalke-Schal zur Trinkhalle kommt und den tätowierten Opa mit der BVB-Kappe und der Fluppe im Mund fragt, ob er die Flasche öffnen kann, wird der bestimmt nicht nein sagen. Und Zack hat man wieder jemanden kennengelernt. Die Leute im Pott sind eben offen und ehrlich, egal wer vor ihnen steht. In Berlin sind dagegen alle viel zu sehr mit sich selbst und der Frage, in welchem Second-Hand-Shop sie die nächste ausgeblichene Cordhose kaufen werden, beschäftigt. Da bleibt keine Zeit um mal “Guten Tag” zu sagen, die Tür aufzuhalten oder gar ein Paket vom Nachbarn anzunehmen.
Ruhrgebiet liebt alle
Das Ruhrgebiet braucht keinen Karneval der Kulturen – im Melting-Pott werden jeden Tag die verschiedenen Kulturen gefeiert. Nirgends in Europa leben so viele verschiedene Menschen auf einem Fleck, wie im Ruhrgebiet. Kein Wunder, dass hier die verschiedensten Kulturen aufeinander treffen. Was aber zusammenschweißt ist eins: Die Kultur der Kumpel. Auch wenn mittlerweile Schicht im Schacht ist, zeichnet die Menschen hier vor allem Zusammenhalt und Hilfsbereitschaft aus. Kommst du nicht von hier? Jemand hilft dir schon. Bist du knapp bei Kasse? Kennen viele, stört niemanden. Trägst du nur ne Jeans und ein T-Shirt? Geht den meisten so. Das Ruhrgebiet ist wie eine gute Currywurst: Es ist egal, woher du bist – Hauptsache das Innere stimmt.
Beitragsbild: Renée Severin