Psychische Erkrankungen im Profifußball: Noch immer ein Tabu?

 

Teil 1: Zwischen Schule und Leistungssport: Ein beschwerlicher Weg

Ziel Profifußball: Hunderttausende starten mit dem Ziel, mal ganz oben anzukommen.

 

Am Anfang, da war der Traum Profifußballer zu werden unvorstellbar weit weg. Martin Amedick ging wie jeder andere zur Schule, in der Freizeit kickte er ein wenig beim SC Delbrück, einem Amateurklub in seiner Heimat Ostwestfalen. Und am Wochenende fuhr Amedick zu Heimspielen von Borussia Dortmund, seinem Lieblingsverein.

Er und seine Kollegen nahmen dann einen Bus und machten sich auf zur Arena, die damals noch ganz offiziell Westfalenstadion genannt wurde. Amedick wünschte sich, dort auch einmal spielen zu dürfen – genau wie viele andere Jugendliche.

Als ihn Arminia Bielefeld für die Jugendabteilung verpflichtete, wurde aus dem Spaß irgendwann Ernst. Jahr für Jahr rückte Amedick näher an den Profibereich, arbeitete später nebenbei noch an seinem Abitur. Schon damals, erzählt er, sei der Spagat zwischen Schule und Leistungssport anstrengend gewesen. Seitdem allerdings hätten die Anforderungen noch einmal massiv zugenommen.

„Immense Belastung“

Amedick, der in Bielefeld wöchentlich „vier Einheiten und ein Spiel“ parallel zu den schulischen Verpflichtungen absolvieren musste, rechnet vor, dass „die A-Jugendspieler heute häufig drei Vormittagseinheiten und vier Nachmittagseinheiten plus die Partie“ zu leisten hätten. Diese Belastung sei immens.

Ein 20-Jähriger, der seit dieser Saison bei einem Bundesligisten zum Stammpersonal gehört und im vorvergangenen Sommer seinen Schulabschluss machte, erzählt darauf angesprochen: „Als ich mich nicht voll auf den Sport konzentrieren konnte, war der Stress riesig – Freiraum hatte ich kaum mehr.“ Trainierte er nicht im Nachwuchsleistungszentrum eines großen deutschen Bundesligisten, arbeitete er meist für die Schule. Seinen Namen sollen wir hier nicht nennen.

Weil seine sportliche Perspektive letztlich äußerst vielversprechend war, brach der Youngster das Abitur ab, vollendete schließlich das Fachabitur. „Ich kam einfach nicht mehr hinterher – neben dem Verein und den Nominierungen vom DFB hat das nicht mehr gepasst.“ Er wollte seinen Fokus richtig legen – und hatte damit Erfolg. Beim Bundesligisten, das hat sein Trainer erst kürzlich gesagt, gehöre dem Verteidiger die Zukunft.

Widerwilliger Schulgänger

Ein anderer Spieler, der hier namentlich auch nicht erwähnt werden soll, hat ebenfalls einen Profi-Vertrag. Allerdings wartet er noch auf seinen ersten Einsatz in Deutschlands Elite-Klasse, stand bislang nur ab und an bei Pflichtterminen im Profi-Kader. Innerhalb des Vereins wird ihm dennoch eine erfolgreiche Zukunft zugetraut, aktuell durchläuft er ein sportliches Lehrjahr.

Dass er es erfolgreich abschließen wird, gilt als sehr wahrscheinlich. Ebenso, dass er irgendwo in den höchsten beiden Fußballligen eine Anstellung findet. Für den äußersten Notfall hat der 19-Jährige allerdings vorgesorgt – auf Anraten seines Vaters, der darauf bestand, dass sein Sohn das Abitur vollendet.

Dem Youngster gelang das im vergangenen Sommer, mit einem Notendurchschnitt von 3,4 und eher widerwillig. „Ich hatte darauf überhaupt keinen Bock“, sagt er und erzählt von einer „harten Zeit“.

Beschwerlicher Weg zum Profi

Wegen der sportlichen Termine habe er „viele Schulstunden verpasst. Am Ende hatte ich die meisten Fehlstunden, die ein Schüler an meiner Schule je hatte. Als ich in eine Nachprüfung musste, wurde es noch stressiger. Dass ich nun damit fertig bin, ist eine große Erleichterung.“ Zumindest einen Stressfaktor ist er damit los. Der Weg zum Profi ist ein beschwerlicher.

Sportpsychiater wie Valentin Markser fordern nicht grundlos, dass die jungen Talente schon früh psychologisch betreut werden sollten. Die seit circa anderthalb Jahren geltende NLZ-Verordnung, die besagt, dass in jedem Nachwuchsleistungszentrum eine sportpsychologische Betreuung vorhanden sein muss, ist demnach zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Von allen jedoch wird sie nicht positiv gesehen.

Dr. René Paasch war bis Januar 2019 beim VfL Bochum angestellt. Und er wäre es wohl noch immer, hätte der Sportpsychologe nicht völlig frustriert selbst gekündigt. „Ich sollte zehn Juniorenmannschaften betreuen, außerdem die Trainer und die Profis“, sagt er. Ein „adäquates, langfristiges Arbeiten“ sei so überhaupt nicht möglich gewesen. Deswegen gab er entnervt auf.

„Wir sind auch Mittel zum Zweck“

„Das, was ich beim VfL Bochum machen durfte, war nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, erzählt Dr. Paasch. „Als Trainer kannst du auch nicht zehn Mannschaften gleichzeitig betreuen – das hat man aber von mir als Sportpsychologe gefordert.“

Die Zertifizierung gebe vor, „dass es uns Sportpsychologen geben muss“, sagt er. Häufig habe er aber ein anderes Gefühl: „Sportpsychologen sind nur geduldet. Wenn Sportpsychologen vorhanden sind, dann bekommt der Verein Geld. Wenn sie nicht vor Ort sind, bekommt der Verein kein Geld. Wir sind also auch Mittel zum Zweck.“

Michael Schirmer, der sportpsychologische Leiter im NLZ von Zweitligist FC St. Pauli, beschäftigt zwei Sportpsychologen für zwei bis vier Juniorenteams. Alle Mannschaften gleich zu behandeln, funktioniere so „natürlich“ nicht, gesteht er. „Wenn sich ein Verein den Luxus leisten könnte, alle Mannschaften mit Sportpsychologen zu besetzen, wäre es umso besser.“

Viele Stressfaktoren im Jugendbereich

Als Sportpsychologe im Nachwuchsleistungszentrum vom FC St. Pauli tätig: Michael Schirmer.

Je geringer die Anzahl von qualifiziertem Personal jedoch sei, desto klüger müsse man sich dann eben aufteilen, meint er. „Einzelne Spieler“ würden bei St. Pauli mehr umsorgt als andere, „und die Top-Talente haben wir sowieso immer noch gesondert im Blick.“ So sind die Stressfaktoren bei ihnen doch noch mal größer als beim restlichen Personal.

Laut Schirmer kann vieles Auswirkung auf die Psyche der Spieler haben: „Der Schulstress ist enorm, die Konkurrenzsituation im Fußball ebenfalls.“ Alljährlich geht es für die Junioren darum, sich zu behaupten und die Versetzung in den nächsten Jahrgang zu schaffen.

„Grundsätzlich hat der Verein Erwartungen an den Spieler“, erklärt Schirmer weiter. „Außerdem können Verletzungen schwer zu ertragen sein, zumal man im Fußball auch mal zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein muss. Beispielsweise, wenn jemand bei den Profis ausfällt“ – und der Jugendspieler die Chance hätte, unverhofft nach oben zu rücken.

Per se, sagt der Experte, wünsche sich jeder, dem obersten Team anzugehören. Nur wenige jedoch schaffen es letztlich. Wer nicht gut genug ist, wird irgendwann aussortiert. Das geht schon den Jüngsten so.

Unseriöse Berater melden sich früh

Hinzu kommt, dass (dubiose) Berater ihre Dienste immer früher den Eltern oder den talentierten Youngsters anbieten. Gescoutet wird ohnehin schon im Kindesalter. Schirmer sagt: „Der Hype um den Fußball wird immer stärker.“ Und die Kräfte, die an den heranwachsenden Fußballern zerren, damit fortwährend heftiger. „Die Spieler bringt das manchmal schon in ganz jungen Jahren aus dem Alltag heraus. Es lässt sie in anderen Sphären schweben und den Spaß am Fußball etwas vermissen“, erzählt Schirmer.

Adäquate professionelle Unterstützung anbieten zu können, sei deshalb dringend notwendig.

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