Kommentar: Die Corona-Lockerungen gehen zu schnell

So birgt jede Lockerung das Risiko, dass sich die Krankheit wieder ausbreitet. Schaut man nun auf die Zahlen, ist die Öffnung der Läden und der Schulen vorerst gut gegangen. Jetzt wäre es also an der Zeit, über weitere Lockerungen zu diskutieren. Aber Moment, die Friseure haben seit Montag wieder offen. Hätte sich das Virus durch die Öffnung der Schulen also stark verbreitet, wäre es durch die Friseurläden ab Montag noch stärker verbreitet worden, weil Infizierte dort weitere Menschen anstecken könnten. Der erste Ausbruch wäre aber erst jetzt bekannt geworden – viel zu spät. Dieses Mal ist noch alles gut gegangen. Schauen wir nun also, wie sich die Zahlen nach den Friseurbesuchen entwickeln. Zwei Wochen später, also am 18. Mai, hätten dann, wenn die neuen Zahlen bekannt sind, neue Branchen aufmachen können. Das Problem: Das tun sie schon vorher. Bis zum 18. Mai, zwei Wochen nach Friseuröffnung, haben in NRW unter anderem schon wieder geöffnet: Sportvereine im Freien & 4. Klassen der Grundschulen (7. Mai), Pflegeheime (10. Mai), Gastronomie, Freizeitparks, Fitnessstudios, Ferienwohnungen, Grundschulen und die restlichen Schulen außer die Unterstufen der Gymnasien (11. Mai). Hm, ein bisschen viel in kurzer Zeit. Wenn sich eine der Lockerungen als Fehler herausstellt, ist hier aber Armageddon.

Anstatt also erst einmal abzuwarten, welchen Schaden die ersten Lockerungen anrichten, werden direkt die nächsten Lockerungen verkündet. Das mag seine Gründe haben. Natürlich geht uns allen der Allerwerteste auf Grundeis. Viele haben ihren Job verloren, die Wirtschaft bricht ein. Es ist also nicht die Frage nach dem ob, sondern nur die Frage nach dem wann. Natürlich können wir nicht die Entwicklung eines Impfstoffes abwarten, das könnte noch Jahre dauern. So lange hält es niemand zuhause aus und dem Staat geht auch irgendwann das Geld für Staatshilfen aus, das ist klar und verständlich. Trotzdem finde ich, wir sollten uns nicht zu sehr beeilen. Jede Lockerung wird Neuinfektionen nach sich ziehen, früher oder später. Deshalb haben Bund und Länder am Mittwoch einen Richtwert festgelegt: Ab 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche müssen die Lockerungen wieder zurückgenommen werden. Derzeit liegt der Wert bei etwa 8,5.

Da sich die Krankheit aber exponentiell verbreitet, kann dieser Grenzwert schnell überschritten werden und wir müssen wieder mehr schließen. Ob es sich wirtschaftlich also lohnt, jetzt zwei oder drei Wochen Kohle zu scheffeln und dann wegen einer zweiten Welle alles wieder schließen zu müssen, ist fraglich. Und jede Infektionswelle kostet wieder Menschenleben.

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Die Kanzlerin hat also Recht mit ihrer Kritik an den „Öffnungsdiskussionsorgien“. Wir sollten jetzt nichts überstürzen, sondern in kleinen Schritten die wichtigsten Bereiche zuerst öffnen. Ob dazu jetzt der Friseursalon, das Touristenhotel oder die Schule gehört, ist eine ganz andere Diskussion. Auch wenn die derzeitigen Zahlen gut aussehen und ich mich nach Wochen der Anspannung endlich einmal entspannen kann, habe ich vor allem Sorgen vor den anstehenden Lockerungen, die für so eine ansteckende Krankheit und die gleichzeitig langen Meldeverzüge bei den Statistiken doch viel zu schnell gehen.

 

 

Beitragsbild: Julian Beuter 

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