Kommentar: Die Corona-Lockerungen gehen zu schnell

Am Mittwoch gab es eine neue Bund-Länder-Konferenz. Thema: Wie kommen wir wieder halbwegs raus aus den Beschränkungen? Einer, der immer ganz vorne mit dabei ist, wenn es um Lockerungen geht, ist unser NRW-Landesfürst Armin Laschet. Nach der ersten Konferenz am 15. April konnte er es kaum abwarten, die Läden und die Schulen wieder aufzumachen. So schnell, dass viele freiwillig erst später geöffnet haben, um noch ein Mindestmaß an Hygienestandards einführen zu können. Nach dem jetzigen Datenstand ist das, trotz teilweise langer Schlangen, vor allem vor Möbelhäusern, gut gegangen. Deshalb soll es bald die nächsten Lockerungen geben. Aber das geht zu schnell.

Die Daten, auf die sich die Beratungen am Mittwoch gestützt haben, sind nämlich schon wieder zwei Wochen alt. Das liegt vor allem an der langen Inkubationszeit. Bis ein Mensch eine Ansteckung überhaupt bemerkt, vergehen durchschnittlich etwa fünf bis sechs Tage, es können bis zu 14 Tage sein. Viele Infektionen verlaufen auch ganz ohne Symptome, man merkt also gar nichts, ist aber eventuell ansteckend. Die umstrittene Heinsberg-Studie geht von etwa jeder fünften Infektion aus, die ohne Symptome verläuft. Wenn die Infektion dann aufgefallen ist, muss man getestet werden. Dieser Test geht dann per Paketdienst ins Labor und wird dort aktualisiert, dann kommt das Ergebnis per SMS, es vergehen wieder mehrere Tage. Anschließend muss das Gesundheitsamt die Daten über eine lange Meldekette bis hin zum Robert-Koch-Institut (RKI) übermitteln, das kann bis zu zwei Tage dauern. Das RKI nimmt in seine Statistik nur die Daten auf, die bis 0 Uhr am jeweiligen Tag übermittelt wurden, im schlimmsten Fall schlummert die Infektion also nochmal einen Tag im Postfach des RKI. Alles in allem braucht es also 10-14 Tage, bis ein erhöhtes Infektionsrisiko auffällt. Kurz: In den Zahlen machen gerade die Geschäfte auf.

Da ein Mensch vor allem am Tag vor dem Ausbruch der Symptome besonders ansteckend ist, birgt aber jede Lockerung auch das Risiko, dass Infizierte das Virus unabsichtlich und ohne es zu wissen, weitergeben. Sollte sich beispielsweise herausstellen, dass die Auflagen für die Friseure nicht ausreichend sind, oder die öffentlichen Verkehrsmittel wieder voller Pendler*innen sind, zeichnet sich der Bedarf für weitere Beschränkungen erst bis zu zwei Wochen später ab.

https://twitter.com/Kids_CoKG/status/1252943209988227073

Zur Erinnerung: Am Montag haben die Friseure und die Zoos aufgemacht, viele Büros und Rathäuser sind auch wieder minimal besetzt. Ab Donnerstag ist kontaktloser Sport im Freien wieder erlaubt. Obwohl all diese Lockerungen unter den bekannten Sicherheitsmaßnahmen stattfinden, etwa zwei Meter Abstand und mit Alltagsmasken und Desinfektionsmittel, bergen sie alle immer noch ein gewisses Restrisiko. Das liegt vor allem an uns selbst: Ich habe nach der Öffnung der Schulen von vielen Bekannten gehört, sie hätten die Maßnahmen eingehalten – so lange, bis die Lehrerin weg war. Auch die Snapchat-Stories meiner Freunde, die immer noch zur Schule gehen, waren voller Gruppenfotos und gemeinsamer Filmabende. „Wir sitzen doch in der Schule auch dicht beieinander, warum dann nicht auch zuhause?“ Wer kann es ihnen verdenken? Menschen halten diese Isolation nicht aus, sie brauchen Nähe. Aus diesem Grund öffnen auch die Pflegeheime ab Sonntag wieder – für eine*n Angehörige*n und eine Stunde am Tag. Und wer kann es Opa dann verdenken, dass er sich, wenn er Oma sechs Wochen nicht gesehen hat, die Maske abnimmt und ihr einen Kuss gibt? Und schon ist unter Umständen das ganze Pflegeheim angesteckt, solche Fälle gab es bereits zu Hauf, oft mit vielen Toten. Zu schnelle und zu viele Lockerungen bergen also nicht nur die direkte Gefahr, sondern sie suggerieren auch eine falsche Sicherheit.

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