Zwischen Normalität und Lockdown: Studieren in der Pandemie

Jedes Jahr starten Tausende deutsche Studierende ihr Semester im Ausland. Doch die Corona-Krise stellt sie aktuell vor ganz neue Herausforderungen: Quarantäne, Lockdown, Isolation und das tausende Kilometer von Freunden und Familie entfernt. Vier Perspektiven auf eine weltweite Ausnahmesituation.

Ein Semester in Südkorea

Jeden Abend ertönt eine Durchsage im Wohnheim mit Hinweisen zum Coronavirus SARS-CoV-2. Wie sehen die Symptome aus und wie verhalte ich mich im Falle einer Infektion? Fragen, die uns seit Monaten beschäftigen. So auch Nadja, die ein Auslandssemester in Busan, einer Hafenstadt im Süden Südkoreas macht. Die 24-Jährige studiert normalerweise Betriebswirtschaft an der FH Münster. Aktuell ist sie über 8.000 Kilometer von ihrer Studienstadt entfernt.

„Ich hatte das Gefühl, dass Südkorea das Virus gut händeln kann“, sagt Nadja heute. 2015 hat das Land auf der südlichen Hälfte der koreanischen Halbinsel bereits Erfahrungen mit dem MERS-Virus gemacht und daraufhin sein Gesundheitssystem reformiert. „Mir kam der Gedanke, dass Corona früher oder später auch in Deutschland ankommen würde“. Ob sie in Korea oder Deutschland gewesen wäre, hätte keinen großen Unterschied gemacht. Auch der finanzielle Aspekt habe eine Rolle gespielt: „Mein Zimmer war untervermietet, die Flüge waren gebucht und ich habe mich für über 800 Euro impfen lassen. Der Aufwand war zu groß, als dass ich alles zurücknehmen wollte.“

Ich war überrascht wie normal das Leben ist

Am 13. März ist die Bachelorstudentin in Seoul, der Hauptstadt Südkoreas gelandet. Zu diesem Zeitpunkt war Südkorea nach China am stärksten von der Ausbreitung des Virus betroffen. Gespürt habe sie davon wenig: „Hier ist niemand, der Panik hat. Die Stadt war ein bisschen leer, aber die Menschen sind rausgegangen – zwar mit Masken, überall stand Desinfektionsmittel und oft wurde Fieber gemessen, aber hätte ich nicht gewusst, dass gerade Corona ist, wäre es mir vielleicht gar nicht negativ aufgefallen.“ Grund für den rasanten Anstieg der Fallzahlen war ein Corona-Ausbruch in einer christlichen Sekte. Eine Anhängerin hatte trotz Symptome einen Gottesdienst besucht und so das Virus verbreitet. Und genau dieser Fall hätte dazu geführt, dass sie ihren Hinflug um zwei Wochen verschoben hat, berichtet Nadja.

Zwei Wochen nach ihrer Ankunft, musste Nadja in Quarantäne. Eine Maßnahme auf Anweisung ihrer Austauschuniversität, der Pusan National University. „Das war wirklich bedrückend“, erzählt sie rückblickend. Danach habe sich alles normalisiert: Abends würden sie oft Bier trinken gehen, Karaoke singen, an den Strand oder in die Berge fahren. „Wandern ist hier Nationalsport“, erzählt Nadja. Und durch das Online-Semester seien sie so flexibel, dass sie auch während des Semesters wegfahren konnten: „Wir waren auf Jejudo – Koreas größter Insel. Im Hostel wurden wir überschwänglich begrüßt, weil sie so lange keine Ausländer mehr gesehen hatten. Für die war das ein Zeichen, dass der Tourismus wiederbelebt wird.“

Kaum Kontakt zu Einheimischen

Etwas würde ihr Leben vor Ort aber dennoch einschränken: „Man bekommt kaum Kontakt zu den Einheimischen. Das ist wirklich Corona geschuldet“, so Nadja. Die meisten koreanischen Studenten seien nach Hause gefahren, um sich die Miete im Wohnheim zu sparen. Ein weiterer Grund sei die Sprachbarriere: Koreaner würden Englisch lernen, aber aus Angst Fehler zu machen, würden sie es vermeiden Englisch zu sprechen, sagt sie.

Im Kampf gegen das Virus setzt Südkorea auf Massentests und digitale Maßnahmen. Das hat auch Nadja bereits erfahren: Nach ihrer Einreise habe sie etwa zwei Wochen lang in einer App angeben müssen, ob sie Symptome einer Infektion spüre. Zusätzlich bekomme sie jeden Tag rund 15 SMS mit Warnungen über die Corona-Situation. „Ich war überrascht, dass ich die bekomme. Ich habe dem nie zugestimmt.“ Nadja nutzt auch eine Website, auf der die aktuellen Infizierten-Zahlen zu Busan veröffentlicht werden: „Da kann ich mir angucken, was das für eine Person ist, wie alt sie ist und welche Nationalität sie hat. Das wäre in Deutschland so nicht denkbar“, weiß sie. Hier habe damit niemand ein Problem: Die Koreaner hätten großes Vertrauen zu ihrer Regierung. Wenn eine Maßnahme erlassen wird, werde das einfach akzeptiert.

Was wir von Südkorea lernen können

„Ich bin sehr froh sehen zu können, wie andere Länder und Regierungen das Virus händeln“, sagt Nadja abschließend. „Diese Mentalität, dass man auch andere Leute schützen muss, nicht nur sich selbst – das muss in Deutschland noch ein bisschen ankommen.“

Ein Semester in Polen

Quelle: Katharina Massold und Marie Schwemin
Quelle: Katharina Massold und Marie Schwemin

Wie unterschiedlich die Corona-Krise von Land zu Land gehandhabt wird, zeigen die Erfahrungen von Marie und Katharina. Die beiden Freundinnen studieren Architektur im Master an der Bergischen Universität Wuppertal. Am 20. Februar sind sie mit dem FlixBus nach Polen gefahren, um ihr Auslandssemester an der Gdansk University Of Technology in Danzig zu beginnen.

Am 21. Februar sind die beiden Architekturstudentinnen in Polen angekommen. Dass etwa drei Wochen später die Grenzen schließen würden, konnten sie zu dem Zeitpunkt nicht ahnen: „Als wir eingereist sind, gab es überhaupt keine Beschränkungen“, sagt Marie. Zwei Wochen lang seien sie sogar in die Uni gegangen, bis diese dann geschlossen wurde. Danach folgten ein paar Wochen Leerlauf: „Am Anfang hieß es, dass die Uni in zwei Wochen wieder öffnet. Aber das wurde alle zwei Wochen verschoben, bis zwei Monate um waren. Irgendwann waren wir dann sicher, dass wir nicht mehr in die Uni zurückkommen“, ergänzt Katharina. Deshalb habe die Umstellung auf Online-Kurse sehr lange gedauert.

Wir sind mit die Einzigen, die noch hier sind

Etwa zur selben Zeit wurde in ganz Polen für zwei Wochen ein Lockdown eingeleitet. „Das hat sich ein bisschen apokalyptisch angefühlt. Die Polizeipräsenz war enorm, überall waren Streifen unterwegs.“ Am Wochenende vor dem Lockdown seien auch viele Studenten zurückgeflogen. „Wir wären wahrscheinlich auch nach Hause gefahren, hätten wir uns nicht gehabt“, sind sich beide einig.

Einzige Ausnahme der Ausgangssperre war das Einkaufen. Besonders hierbei: In den Supermärkten gab es Zeiten nur für Senioren. Von zehn bis zwölf wurde niemand unter 65 reingelassen. Selbst Spaziergänge im Wald, Park oder am Strand waren verboten. „Wir haben dann ‚Pseudo-Spaziergänge‘ gemacht. Aus Angst erwischt zu werden, haben wir immer eine Tasche mitgenommen, damit wir zur Not hätten sagen können, dass wir einkaufen gehen“, so die 24-jährige Katharina.

Mittlerweile fühle sich das Leben aber fast wieder normal an. Nur in den öffentlichen Verkehrsmitteln und in Geschäften müsse noch eine Maske oder ein Schal getragen werden. Doch über die Lockerungen würde auf der Straße viel spekuliert: „Viele der Menschen hier vermuten, dass hinter den Lockerungen eine politische Motivation steckt“, erklärt die 23-jährige Marie. Die Wahlen seien verschoben worden und die Maßnahmen würden gelockert, um die Wahlen durchzusetzen – nicht, weil die Lage sicher sei, heißt es von Seiten der Bevölkerung.

Den Ernst der Lage früh begriffen

„Dass der Lockdown früh eingeführt wurde, war die richtige Entscheidung“, sind sich die beiden Studentinnen einig. Und gerade am Anfang, hätten die Menschen Corona sehr ernst genommen: „Viele hatten wirklich Angst sich anzustecken, weil das Gesundheitssystem nicht so gut ist, wie wir es aus Deutschland kennen“, erzählt Marie. Die Menschen hätten deshalb von sich aus angefangen Masken zu tragen. „Als die Maskenpflicht dann kam, war es kaum eine Umstellung“, spricht Katharina weiter. „Deshalb fühlen wir uns auch sicher, aber es ist schon seltsam.“

Ein Semester in Kroatien

Quelle: Marco Matthias
Quelle: Marco Matthias

Jährlich starten etwa 30.000 deutsche Studierende ihr Erasmus-Semester in mehr als 30 europäischen Ländern. Einer davon ist Marco, er studiert Raumplanung im Master an der TU Dortmund. Gerade ist er mit dem Bus unterwegs nach Šibenik, einer Stadt im Süden Kroatiens.

Am 14. Februar ist der Masterstudent von Dortmund nach Zagreb, der Hauptstadt Kroatiens gefahren. Eine Woche später begann seine O-Woche wie geplant. An Corona dachte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht: „Die Krise war nicht wirklich spürbar“, sagt der 26-Jährige. Doch das änderte sich für ihn Mitte März: Museen, Theater, Universitäten und Einzelhandel wurden geschlossen, nur noch Supermärkte, Tankstellen und Apotheken durften öffnen. Gruppen über drei Personen wurden verboten und Abstandsregeln eingeführt. Damit war das Virus offiziell in Kroatien angekommen. „Als die Maßnahmen aufkamen, wurde meine ganze Erwartungshaltung getrübt. Ich hatte direkt ein negatives Gefühl“, erinnert sich Marco an seine ersten Wochen auf der Balkanhalbinsel. Nach Deutschland zurückkehren, wollte er dennoch nicht. „Ich habe mich vor Ort viel sicherer gefühlt. Kroatien hat rechtzeitig reagiert, sodass die Infektionszahlen gering blieben.“ Die Chance sich zu infizieren sei nicht so hoch gewesen wie in Deutschland, führt er aus.

Erdbeben trifft Kroatien in der Corona-Krise

Neben dem Coronavirus hatte Kroatien auch mit den Folgen eines Erdbebens zu kämpfen. Am Morgen des 22. März erschütterten mehrere schwere Erdstöße mit einer Stärke von bis zu 5,4 die Hauptstadt. Es war das schwerste Beben seit 140 Jahren. Auch Marco war zu diesem Zeitpunkt in Zagreb. „Das war ein Schock für die ganze Bevölkerung und hat dem Land nochmal zusätzlich zugesetzt“, erzählt er. Auch wirtschaftlich sei das Land schwer getroffen worden. „Kroatien ist ein Land, das sehr auf den Tourismus ausgebaut ist. Und weil dieser durch die Grenzschließung ausbleibt, ist das natürlich ein riesiges Problem.“ Einige Firmen müssten nun dauerhaft schließen, sagt Marco.

Digitale Lehre auch an der Universität

Marco studierte an der Sveučilište u Zagrebu, der Universität in Zagreb. Wie bei Nadja, Marie und Katharina fand die Lehre digital statt. Doch viele Kurse wurden auf das nächste Semester verschoben. „Dadurch hatte ich nicht die Chance, die nötigen Credits zu erreichen“, sagt Marco. Doch er hatte Glück: Sein Erasmus-Koordinator und das Referat für Internationales kamen ihm entgegen: „Sie sagten, dass es nicht problematisch ist, dass ich nicht die vollständige Anzahl an Credits erreiche. Immerhin zwei Kurse konnte ich online machen.“

Am 9. Juni hat Marco seine letzte Prüfung abgelegt. Die verbleibende Zeit bis zu seiner Rückreise, verbringt er nun mit Reisen. Das war nämlich lange nicht möglich: Zwei Monate hätte er die Hauptstadt nicht verlassen dürfen.

Ich war quasi gefangen. Ich konnte mich zwar innerhalb der Stadt bewegen, aber die Atmosphäre war trostlos

An jedem Stadtausgang hätte es Kontrollen gegeben. Dabei seien vor allem die Autofahrer kontrolliert worden. Fußgänger und Fahrradfahrer hingegen nicht, erinnert sich Marco. Trotz der Einschränkungen würden alle sehr solidarisch und hilfsbereit miteinander umgehen: „Man sieht sich zusammen als Bevölkerung und will zusammen die Krise durchstehen. Das finde ich wirklich super.“

Mittlerweile würde sich der Alltag wieder normalisieren. Anfang Mai seien die Maßnahmen Schritt für Schritt gelockert worden. Insgesamt scheint Marco zufrieden mit seinem Auslandssemester zu sein: „Ich bin froh, dass ich hiergeblieben bin und sich alles zum Guten gewendet hat. Dass ich zumindest das Beste aus dem Auslandssemester noch rausholen konnte.“

Ein Semester in Kanada

Quelle: Muriel Grabert
Quelle: Muriel Grabert

Ein Semester im Ausland zu verbringen ist eine einmalige Erfahrung. Die wollte auch die 24-jährige Muriel machen. Sie studiert Informatik im Master an der FH in Dortmund. Im September begann ihr Semester an der Brock University in der kanadischen Provinz Ontario. Zu dem Zeitpunkt war die Corona-Krise noch fern.

„Im Endeffekt kam die Corona-Krise recht plötzlich“, sagt Muriel heute. Mitten im Semester, etwa zwei Wochen vor der Prüfungsphase sei die Universität geschlossen worden. Eine Woche hätten Dozenten und Studenten gehabt, um sich auf die neue Situation einzustellen. Die kanadischen Studenten seien in der Zeit aus dem Wohnheim wieder zurück zu ihren Familien gezogen. Denn als der Campus geschlossen wurde, mussten sie aus den Wohnungen ausziehen. „Die meisten internationalen Studenten haben dann panikartig das Land verlassen. Sie wären zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zurückgekommen“, sagt sie. „Ich bin das Risiko eingegangen in Kanada zu stranden.“

Muriel lebte Off-Campus, in einem Basement Apartment zusammen mit einem anderen Studenten. Ausziehen musste sie deshalb nicht. Doch bei einem längeren Aufenthalt hätte sie keine Krankenversicherung mehr gehabt: „Alle Auslandskrankenversicherungen aus Deutschland haben gesagt, dass die Verträge nicht verlängert werden, wenn sie auslaufen. Das war meine Hauptsorge.“ Doch Muriel hatte Glück: Zwar wurde der Flugverkehr eingeschränkt, doch nach Frankfurt am Main flog jeden Tag ein Flieger.

Trotzdem hatte sie mit den negativen Auswirkungen der Corona-Krise zu kämpfen: Ihren geplanten 8.000 Kilometer Roadtrip an die Ostküste und nach Vancouver musste sie absagen. Denn Reisen über die eigene Region hinaus waren verboten. Hinzu kam der Lockdown:

Im Endeffekt war alles verboten, was nicht die eigenen vier Wände betraf

„Man konnte nur noch einkaufen und allein spazieren gehen. Man durfte keine Freunde mehr treffen. Selbst die Nationalparks waren geschlossen.“ In der Zeit habe sie nur noch in der Wohnung gesessen und den richtigen Zeitpunkt abgewartet, um zu gehen.

Mittlerweile ist Muriel wieder in Deutschland. Nach ihrer letzten mündlichen Prüfung Ende April flog sie zurück. Die letzte Prüfungsleistung erbrachte sie in Dortmund: „Das letzte Paper habe ich hier geschrieben und dann nach Kanada geschickt.“

Beitragsbild: Nadja Kosanke

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