Joe Biden trat am Mittwoch als neuer US-Präsident ein schweres Erbe an. Trump hinterlässt ein gespaltenes Amerika und den sogenannte Trumpismus, der zuletzt im Sturm auf das Kapitol ausartete. Inwieweit betrifft dieser Rechtspopulismus auch uns in Deutschland? Darüber haben wir mit einem Politikwissenschaftler gesprochen.
Die ganze Welt schaut gerade kopfschüttelnd nach Amerika und fragt sich, wie es in einer Demokratie so weit kommen kann. Doch sollten wir da nicht lieber vor der eigenen Haustür kehren? Jan Schedler ist Experte an der Ruhr-Universität Bochum für Rechtspopulismus und hat mit uns über die politische Lage in Deutschland gesprochen.
Herr Schedler, inwiefern tragen zum Beispiel AfD, Neo-Nazis und Corona-Leugner*innen auch in Deutschland zu einer Spaltung der Gesellschaft bei?
In Deutschland lässt sich in den letzten Jahren eine stärkere Polarisierung der Gesellschaft und eine gewisse Lagerbildung beobachten. Bei den AfD-Wähler*innen und den Corona-Leugner*innen sieht man, dass ein Teil der Bevölkerung sich deutlich vom politischen System entfremdet. Nicht nur von der konkreten Regierung, sondern auch von der Rechtsform. Es macht sich ein anderes Verständnis von Demokratie breit. Da gibt es schon Parallelen zu den USA. Ich würde allerdings sagen, dass die Spaltung, die wir in Amerika über mehrere Jahre hinweg beobachten konnten, deutlich dramatischer ist.
Rechtsextreme Einstellungen gab es auch vor Gründung der AfD
Eine mögliche Ursache ist, dass die politische Entscheidungswege komplex sind – auch durch das europäischen Mehr-Ebenen-System. Eine Vielzahl von Entscheidungen kann mittlerweile nicht mehr von der Bundesregierung alleine getroffen werden. Da hängen oft andere Institutionen und Expertengremien dran. Es entsteht zum Teil der Eindruck – und das nicht zu Unrecht – dass man mit seiner Wahlentscheidung als Bürger*in nur zum Teil Einfluss nehmen kann.
Was muss gegen diese Entwicklung hin zu politischen Extremen getan werden?
Untersuchungen zeigen, dass bestimmte politische Einstellungen auch vor Gründung der AfD vorhanden waren. Menschen mit diesen Einstellungen hatten nicht unbedingt eine politische Heimat und haben sie mit der AfD jetzt gefunden. Andere sind von der Union beispielsweise rübergewechselt. Man muss also zuerst eine Ursachenanalyse betreiben.
Die Entwicklung in Deutschland ist zudem eine Nachholentwicklung. Wir haben ähnliche Entwicklungen in anderen europäischen Ländern. Ich empfehle immer zu gucken, wie diese damit umgehen. Was nicht zu empfehlen ist, was aber häufig passiert, ist Themen und Positionen der neuen Parteien einfach zu übernehmen. Da sollten sich die etablierten nicht von treiben lassen.
Nicht zuletzt muss man versuchen, politische Entscheidungen zu begründen und aufzeigen, warum vermeintliche Alternativen eben keine ernstzunehmenden Alternativen sind.
“Es gibt politische Positionen, wo es keine Toleranz geben darf.”
Man kann durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Man muss Dinge diskutieren können und beständig bestrebt sein, sich einzubringen. Unser politisches Gemeinwesen lebt davon, dass jede/r Einzelne sich einbringt.
Aber es gibt auch Dinge, die nicht zu diskutieren sind. Ich denke da an Artikel 1 unseres Grundgesetztes, also daran, dass alle Menschen gleiche Rechte haben sollten. Man muss klarstellen, dass es politische Positionen gibt, wo es keine Toleranz geben darf.
Wenn nichts passiert, haben auch wir hier bald amerikanische Verhältnisse?
Den Sturm auf den Bundestag haben wir ja gehabt in Berlin. Es gibt also auch jetzt schon starke Parallelen, da muss man nicht erst drauf warten. Dass es so weit kommt wie in Amerika, sehe ich aber nicht. Einfach weil wir ein anderes politisches System haben, ein anderes Wahlsystem. Es kristallisiert sich allerdings ein gesellschaftlicher Konflikt heraus zwischen denjenigen, die sich eine weltoffene Gesellschaft wünschen, und denen, die einen stärkeren Rückbezug aufs Nationale mit völkischen Komponenten wollen. Das beobachte ich mit Sorge. Es gibt aber auch durchaus Entwicklungen in die andere Richtung, Stichwort: Willkommenskultur. Wir hatten in den letzten Jahren nicht nur viele Fälle an rechter Gewalt, sondern auch viele Initiativen, die sich für eine Schlichtung starkgemacht haben.
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