Die Dortmunder Tuning-Szene: Wie das Raser*innen-Problem ein Hobby zugrunde richtet

Die Dortmunder Polizei will Raser*innen den Kampf ansagen. Die Konsequenzen sind Geschwindigkeitskontrollen und Straßensperrungen. Dennoch kommt es immer wieder zu illegalen Rennen und Unfällen. Doch auch die Tuning-Szene in Dortmund leidet unter den Polizeimaßnahmen: Aufgrund ihrer getunten Autos werden Tuner*innen häufig mit Raser*innen gleichgestellt und bekommen keine Möglichkeit mehr, ihr Hobby auzuleben.

Motoren röhren, Auspuffe knattern, Autohupen spielen ein Konzert. Das Geräusch von quietschenden Reifen hallt durch den Abendhimmel über dem Dortmunder Wall. Der Geruch von verbranntem Gummi liegt in der Luft. Wie Cheerleader befeuert eine Gruppe junger Leute den Start eines illegalen Rennens am Südwall in der Nähe des Straßenverkehrsamts. Mit hohem Tempo heizen die Fahrer über die Straße, vor roten Ampeln bremsen sie stark ab, nur um bei Grün wieder davonzubrausen. So sah es an einem Freitagabend im Juni in der Dortmunder Innenstadt aus.

Die Folgen dieses Imponiergehabes können fatal sein: An einem Samstagabend im gleichen Monat wurden vier Menschen bei einem mutmaßlichen Autorennen schwer verletzt. Zwei Raser lieferten sich laut einer Pressemitteilung der Polizei Dortmund ein Straßenrennen, das an einer Kreuzung an der Nordseite des Dortmunder Hauptbahnhofs endete. Der beteiligte Fahrer eines Audis kollidierte beim Überholen mit einem unbeteiligten Fahrzeug. Durch den Zusammenstoß wurde der Audi gegen eine Hauswand geschleudert und hinterließ dort ein riesiges Loch. Verletzt wurde die 35-jährige Fahrerin des unbeteiligten Fahrzeugs sowie der Fahrer des Audis und zwei weitere Autoinsass*innen.

Unter solchen Vorfällen leidet auch das Image der Dortmunder Tuner*innen, die häufig verdächtigt werden, ebenfalls Raser*innen zu sein. Einer von ihnen ist Daniel Walter.

Leidenschaft statt Posing

Daniel bereitet sich auf seine Arbeit vor. Foto: Daniela Arndt

Daniel erklärt, warum beide Gruppen oft verwechselt werden: „Weil sich Raser häufig an Tuner anhängen und sich viel von unseren Autoeingriffen abgucken, ähnelt sich oft das äußere Erscheinungsbild der Autos.“ Das heiße aber nicht, dass Tuner*innen sich an den illegalen Rennen beteiligen würden.

Im Gegenteil: „Tuning hat nichts mit Rasen oder Fahren zu tun oder damit, irgendwelche Differenzen auf der Straße auszuleben.“ Daniel vergleicht die Treffen der Szene eher mit einer Modellbaumesse: Die Tuner*innen präsentieren ihr Können und tauschen sich aus. „Wie, wenn man ins Stadion geht und zusammen Fußball schaut.“ Deshalb sei aber jeder Dortmunder Fußballfan noch lange kein Hooligan, sagt Daniel.

Auch andere Tuner*innen wollen nicht mit Raser*innen gleichgesetzt werden. Viele Tuner*innen haben sich bereits an Medien gewandt oder ihre Position auf Social Media-Plattformen wie Facebook kundgetan. Sie haben dabei eine gemeinsame Botschaft: „Tuner sind keine Verbrecher!“

Das Raser*innen-Problem: der Tuning-Szene ein Dorn im Auge

Auch der Verband der Automobil Tuner hat sich bereits mehrfach dazu geäußert, dass Tuner*innen strikt von Raser*innen zu trennen seien. Mehr als einhundert Firmen der Tuning- und Autozubehörindustrie gehören zu der Organisation. „Tuner sind Autoenthusiasten, die im Rahmen der geltenden Regeln ihrem Hobby nachgehen, dem individuellen Gestalten von Serienfahrzeugen mit zulässigem Zubehör”, sagt Geschäftsführer Harald Schmidtke. Als Poser*innen bezeichnet er Autofahrer*innen, die ihr Fahrzeug illegal manipulieren, es extra laut machen und unbedingt auffallen wollen.

Daniel während eines Tuning-Eingriffs. Foto: Daniela Arndt

Sowohl Tuner*innen als auch Raser*innen führen Leistungssteigerungen an ihren Autos durch. Die Innenräume und Außenflächen der Fahrzeuge werden auffällig dekoriert. Tuner*innen deshalb unter Generalverdacht zu stellen, sie mit Raser*innen in Negativschlagzeilen zu erwähnen und ständig zu kontrollieren, findet Daniel aber unfair.

Ein*e Tuner*in lasse das Auto stehen oder fahre nur irgendwo hin, um sich mit jemanden zu treffen. Nur so könne überhaupt jemand bewundern, was der*die Schrauber*in technisch erreicht habe, erklärt Daniel. „Warum will ein stolzer Künstler das Risiko eingehen, sein Kunstwerk an die Wand zu fahren?“, fragt Daniel.

Selbst eine neue Soundanlage einzubauen, Sportsitze zu montieren, Spoiler anzubringen: Das unterscheide Tuner*innen von Raser*innen. Viele Raser*innen und Poser*innen gingen nämlich den einfacheren Weg und würden vorgefertigte Fahrzeugteile kaufen und diese einbauen lassen.

Polizeiliche Eingriffe: ein notwendiges Übel?

Für die Polizei gehören auch ordnungsgemäß getunte Autos potenziell der Raser*innen-Szene an, erklärt Peter Bandermann, Pressesprecher der Polizei Dortmund. Solche Autos zu kontrollieren, sei notwendig, denn die Zahl der Verkehrsunfälle sei seit 2020 zwar auf einem niedrigen Stand, in mehreren deutschen Städten käme es aber noch immer zu vielen Raser*innen-Unfällen. Bandermann erklärt zudem, dass mit diesen Kontrollen oft die Richtigen gefunden würden: Denn viele Tuner*innen würden sich als Raser*innen herausstellen. „Ohne diese Erkenntnisse wäre die Polizei nicht gezwungen, diese Kontrollen durchzuführen“, berichtet Bandermann.

Daniels Werkstatt ist mit zahlreichen Utensilien ausgestattet. Foto: Daniela Arndt

Dass die Polizei auch Tuning-Treffen überprüft, kann Daniel verstehen. Nur so könnten die Behörden das eigentliche Problem in den Griff bekommen. Denn da, wo Menschen stehen, kommen meistens auch Ordnungsstörer*innen hinzu. So hingen sich Poser*innen und Raser*innen häufig an Tuning-Treffen, um Aufmerksamkeit von einem möglichst breiten Publikum zu bekommen. Anfangs hätten die Tuner*innen diese „schwarzen Schafe“ noch bei der Polizei gemeldet, aber die Einsatzbereitschaft, diese Leute „anzuschwärzen“, habe nach und nach abgenommen, sagt Daniel. Die Tuner*innen hätten ihr Ziel damit nicht erreicht. Denn die Polizei hätte auch sie bei allgemeinen und unangemeldeten Treffen kontrolliert und des Platzes verwiesen – genauso wie die Raser*innen. „Verachtung“, sagt Daniel eindringlich, sei das, was Tuner*innen gegenüber Raser*innen und Poser*innen empfänden.

Öl und Wasser schwitzen

Seine Leidenschaft für das Tuning hat Daniel mit 16 Jahren entdeckt. Damals half er einem Freund, eine Musikanlage in dessen Auto einzubauen und Felgen zu montieren. Nachdem Daniel mit 18 Jahren seine Ausbildung abgeschlossen hatte, schenkten ihm seine Eltern ein Auto. Ab diesem Zeitpunkt konnte er seine Handwerksträume voll ausleben.

In Daniels Werkstatt riecht es nach Stahl, Öl und Gummi. Schraubendreher, Inbusschlüssel und Schrauben liegen geordnet auf mehreren Werkbänken. Felgen in verschiedenen Farben und Größen hängen an einer Mauer zum Verkauf bereit. Sowohl auf als auch unter einer Hebevorrichtung stehen Autos, an denen Daniel derzeit tüftelt. Die Motorhaube des unteren Fahrzeuges ist offen. Daniel hat einen getunten Motor eingebaut.

Daniel konnte sich bei vielen Tuning-Wettbewerben als Sieger behaupten. Foto: Daniela Arndt

„Eine derartige Innenausstattung könnte man so niemals vorgefertigt kaufen“, sagt Daniel stolz. Jede Schraube, jedes Kabel ist behutsam an dem Motor montiert. Durchschnittlich werkelt Daniel an fünf Autos pro Monat. Der Tuner fertigt nach Maß an, demontiert und montiert Fahrzeugteile und verbessert diese: Das Zubehör wird abgeschliffen und lackiert. „Viele Leute sehen immer nur das Resultat eines Tuning-Eingriffs. Aber die Arbeit, die dahintersteckt, das wissen die wenigsten zu würdigen“, ergänzt er. Eine Arbeit, die viel Geld kostet: Mehrere tausend Euro hat Daniel allein für sein Werkzeug ausgegeben. Mit dem, was er macht, konnte er schon auf zahlreichen Tuning-Veranstaltungen Preise gewinnen.

Kein Ort, um das Hobby auszuleben

Die Tuner*innen haben sich früher oft in der Dortmunder Innenstadt und auf dem ehemaligen Industriegelände Phoenix-West versammelt. Daniel konnte dort viele Kontakte knüpfen, die bis heute bestehen. Auch seine Frau hat er auf einem Treffen kennengelernt. Mit ihr leitet er heute seine Werkstatt. Auf den Treffen präsentierte Daniel, was er in seiner Werkstatt ertüftelt hatte. Außerdem konnte er sich dort stets neue Tricks aneignen.

Weil sich zu diesen Treffen jedoch auch Poser*innen und Raser*innen gesellt haben, gingen Stadt und Polizei immer öfter dagegen vor, indem sie zum Beispiel Platzverweise aussprachen. „Wir waren einfach nirgendwo mehr geduldet. Die Polizei hat regelrecht auf die Szene gezielt und sie kontrolliert zerschlagen mit der Begründung ‚präventive Maßnahmen‘.“ Es habe eine Art Katz- und Mausspiel begonnen: Die Tuner*innen seien von Parkplatz zu Parkplatz gefahren, nur um aufs Neue verscheucht zu werden. Deshalb gibt es – wenn überhaupt – nur noch unangemeldete Treffen mit wenigen Teilnehmenden. Zu häufig habe die Polizei die Treffen aufgelöst und sie auf öffentlichen Plätzen schließlich komplett verboten.

Die Tuning-Szene taucht unter

Daniel wünscht sich einen Ort, um sein Hobby ausleben zu können. Foto: Daniela Arndt

Aufgrund der Corona-Pandemie, der fehlenden Freizeitmöglichkeiten und sozialen Kontakte habe die Raser*innen-Szene stark an Zuwachs gewonnen, erklärt Bandermann. Deshalb sei eine „Null-Toleranz-Strategie“ der Polizei notwendig. „Die Tuner-Treffen in Dortmund haben zudem eine nicht unproblematische Historie“, erklärt Bandermann. Die Teilnehmenden würden die Nachtruhe stören, Anwohner*innen durch Lärm belästigen und die Versammlungsorte mit Müll verschmutzen. Aufgrund zahlreicher Beschwerden hätten die Behörden immer wieder mit Kontrollen reagieren und Straßen sperren müssen. Für jedes Hobby gebe es Regeln, die einzuhalten sind. Größere Treffen an öffentlichen Orten müssten Polizeibeamt*innen zudem überwachen und kontrollieren. „Es ist der ausdrückliche Wunsch der Polizei, dass die negativen Begleiterscheinungen auf dem Wall, am Phoenix-See, am Hafen und in anderen Bereichen ein Ende finden“, sagt Bandermann.

Daniel geht es vor allem um eine Chance, akzeptiert zu werden. Dafür müsse es mehr Aufklärung darüber geben, was Tuner*innen von Raser*innen und Poser*innen unterscheidet. Die Bemühungen der Tuning-Szene, sich von Raser*innen zu distanzieren, seien nämlich nicht immer erfolgreich. Deshalb fordert Daniel Orte, an denen sich Tuner*innen ohne Raser*innen treffen können. „In der Regel bekommt jedes Hobby in Deutschland einen Ausübungsort, um sich irgendwo zu entfalten. Aber die Tuner*innen bekommen diese Möglichkeit nicht – und das kann nicht sein.“

 

Beitragsbild: Daniela Arndt

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