Zwischen Outing, Beziehungen & Sex – zwei Facetten der Asexualität

Asexuelle Menschen haben keinen Sex? – Ein verbreitetes Vorurteil, das nicht immer zutreffen muss. Denn es gibt verschiedene Facetten im asexuellen Spektrum. Zum Beispiel Asexualität oder Demisexualität. Lukas und Annika räumen mit Vorurteilen auf und erzählen uns etwas über Repräsentation der queeren Community und ihre Wünsche für die Zukunft. 

Ein schwarzer Ring am rechten Mittelfinger und ein weißer Ring am linken Mittelfinger. Das sind Zeichen für Lukas Asexualität und Aromantik. Der schwarze Ring steht für Asexualität und der weiße für Aromantik. Auf die Symbolik und den Begriff Asexualität ist Lukas selbst erst vor ungefähr zwei Jahren durch eine Kommilitonin aufmerksam geworden: “Ich habe sie auf ihren schwarzen Ring am rechten Mittelfinger angesprochen und sie gefragt, was das denn zu bedeuten hat. Dann hat sie erzählt: ‘Ich bin asexuell und das ist unser subtiles Erkennungszeichen’.”

Nach dieser Begegnung hat Lukas gemerkt: “Das passt doch eigentlich ganz gut zu mir.” Trotzdem hat er sich erstmal nicht weiter damit beschäftigt, weil er in einer Beziehung war. Erst nach der Beziehung wurde ihm endgültig klar, dass er asexuell (ace) ist. Später wurde ihm bewusst, dass er auch aromantisch (aro) ist.

Lukas studiert Informatik an der TU Dortmund. “Obwohl Technik dazu neigt, bei mir nicht zu funktionieren oder kaputtzugehen”, sagt er lachend. Seine Leidenschaft sind Karten. Genauer gesagt das Sammelkartenspiel “Magic: The Gathering”. Im Gespräch holt der 23-Jährige einen umfunktionierten  Werkzeugkoffer raus und zeigt seine vielen Karten. Auf die Frage, wie viel Geld er für sie schon ausgegeben hat, antwortet er: “Mehr als ich rückblickend eigentlich hätte tun sollen.”

Verschiedene Facetten der Asexualität

Für Lukas bedeutet seine Asexualität, dass er keine sexuelle Anziehung empfindet. Oft wird auch von einem Mangel oder Fehlen von sexueller Anziehung gesprochen, aber das findet er falsch. Er betont: “Mir fehlt nichts.” Seine Aromantik heißt für ihn, dass er keine romantische Anziehung empfindet. Ihm ist aber wichtig zu sagen: “Man muss noch unterscheiden zwischen romantischer Anziehung und Liebe. Es gibt aromantische Personen, die verlieben sich nicht. Und es gibt welche, die sich verlieben, dazu gehöre ich. Für mich persönlich bedeutet das, dass ich diese Gefühle habe, aber absolut kein Verlangen habe, damit irgendwas zu tun.” Generell gibt es im Spektrum der Asexualität, sowie der Aromantik, viele verschiedene Abstufungen.

Hinweis: Diese Grafik bildet nur eine kleine Auswahl von verschiedenen Ausprägungen der Asexualität beziehungsweise Aromantik ab.

Auch Annika findet sich im asexuellen Spektrum wieder. Sie ist demisexuell. Sie definiert ihre sexuelle Anziehung so: “Sexuelle Anziehung existiert für mich nicht zu irgendwelchen willkürlichen Personen, sondern ich brauche eine starke emotionale Bindung.” Den Begriff hat sie durch diverse Videos auf YouTube entdeckt. Schon vorher hat sie aber gemerkt, dass sie nicht allosexuell ist, also eine sexuelle Anziehung in einer Intensität verspürt, die in der heteronormativen Gesellschaft als Standard angesehen wird.

Annika studiert Lehramt an der TU Dortmund. Die 22-Jährige mag alles, was mit Sport zu tun hat. Vor allem Handball. Sie spielt schon seit der zweiten Klasse. Erst in ihrer Heimat Bergkamen und heute auch weiterhin in Dortmund. In Bergkamen ist sie in einem eher konservativen Umfeld aufgewachsen. Sie ist katholisch und früher öfter mit ihrer Familie in der Kirche gewesen. Sie war sogar Messdienerin. Mittlerweile ist sie aber nicht mehr in der Kirche engagiert. “Das passt einfach nicht mehr in mein Leben”, sagt sie. Aus zeitlichen Gründen, aber auch, weil es nicht mehr zu ihren Interessen passt.

 

“Alle reden von Tinder, Bumble und One Night Stands – damit konnte ich mich absolut nicht identifizieren”

 

Geoutet hat Annika sich in Bezug auf ihre Demisexualität erst nach zwei Jahren und auch nur im engsten Freundeskreis. “Es spielt nicht so eine große Rolle, dass ich das vielen Leuten mitteilen müsste.” Wichtiger war ihr, dass sie sich in Bezug auf ihre romantische Orientierung outet. Sie ist homoromantisch, fühlt sich also zu weiblichen Personen romantisch hingezogen. Ihr Umfeld hat ihr Outing gut aufgenommen. Gegenüber ihren Eltern lief das so ab: “Ich hab meine Freundin einfach mitgebracht. Ohne Ankündigung oder so.” Das war vor ungefähr eineinhalb Jahren.

Als Lukas herausgefunden hat, dass er asexuell und aromantisch ist, war das für ihn ein befreiendes Gefühl. „Ich habe allen Leuten in meinem Umfeld davon erzählt, weil ich so glücklich war, dass ich endlich wusste, was mit mir los war.” Das war aber nur am Anfang so, jetzt sei das Thema nicht mehr so präsent für ihn. Zuerst hat er sich als asexuell geoutet, weil das sehr klar definiert sei und er sich dort schnell sicher war, dass das auf ihn zutrifft. Bei der Aromantik hat das länger gedauert, weil romantische Anziehung für ihn sehr schwammig sei. In seiner Familie hat er sich zwar vor seiner Mutter geoutet, vor anderen Familienmitgliedern mit weniger gutem Verhältnis aber nicht. “In manchen Teilen der queeren Community wird gesagt, du musst dich vor allen Leuten outen. Aber nein, musst du nicht. Es geht darum, dass man selbst glücklich ist.”

Amatonormativität – Der Druck hinter der Romantik

Lukas hat bis jetzt zwei Beziehungen geführt. Aber bevor er seiner sexuellen und romantischen Orientierung bewusst war. In denen hat er auch sexuelle Erfahrungen gemacht. Doch schon in seinen letzten Beziehungen habe er sich nicht so wohlgefühlt. Nicht wegen seiner Partnerinnen, sondern weil er sich oft selbst Druck gemacht hat, um den gesellschaftlichen Bildern von Beziehungen zu entsprechen. Er hat versucht jemand zu sein, der er nicht wirklich war. Das lag vor allem daran, dass er aromantisch ist. Jetzt nach seinem Outing ist ihm klar, dass er auch keine Beziehung führen möchte.

Doch in der Gesellschaft wird das oft nicht akzeptiert. Lukas wirft den Begriff Amatonormativität, also den Druck romantische Beziehungen führen zu sollen, in den Raum. Er hat schon öfter Situationen erlebt, wo Männer zu ihm sagten: “Und für dich finden wir bald auch noch ne Freundin!” Obwohl er gar kein Interesse hat, eine Freundin zu finden. Er glaubt, dass das auch etwas mit dem gesellschaftlichen Bild vom Männerideal zu tun hat. Ein gutes Beispiel ist da für ihn James Bond. Da ginge es vor allem um Aggressionen und Sex. Es gibt das Bild in unseren Köpfen, dass Männer immer “ran wollen müssen”. Er ist sich inzwischen bewusst, dass er diese Erwartungen nicht erfüllen muss und kommt gut damit klar.

Bei Annika ist das anders. Sie ist homoromantisch und momentan in einer Beziehung mit einer Frau. Zu ihr hat sie eine emotionale Bindung, also auch eine sexuelle Anziehung.

Asexuell = Kein Sex?

Weil man asexuell ist, muss das aber nicht heißen, dass man nie Sex hat. Auch dort gibt es verschiedene Abstufungen. Lukas hat das anhand des Hungergefühls und dem Essen erklärt. Zur Abstufung sexzugeneigt erklärt er: “Du hast keinen Hunger, aber wenn dir was angeboten wird, dann isst du es gerne” oder zu sexabgeneigt: “Du hast keinen Hunger und du willst auch nichts essen, weil es für dich unangenehm ist.” Ähnlich kann man das auch in Bezug auf Aromantik anwenden. Er selbst ist sich noch unsicher, wo er sich einordnen würde. Wahrscheinlich bei romantikabgeneigt und sexneutral.

Hinweis: Diese Grafik bildet nur eine kleine Auswahl von verschiedenen Ausprägungen ab.

Vorurteile sind weniger das Problem, sondern das Unwissen

Neben dem Vorurteil, dass asexuelle Menschen keinen Sex haben, gibt es nur wenige weitere, mit denen Lukas und Annika konfrontiert worden sind. Annika kann sich vorstellen, dass ein Vorurteil sein kann, dass sie sonst einfach niemanden “abbekommen würde”. Sie sieht es aber als Vorteil an, dass Demisexualität von außen nicht wahrgenommen wird. Wenn sie mit ihrer Freundin durch die Stadt läuft, denken einfach alle sie wäre homoromantisch. Sexuelle Anziehung lässt sich von außen nicht erkennen.

Lukas meint das Problem seien weniger die Vorurteile, sondern dass einfach zu wenig Wissen vorhanden ist. Er erzählt von einer Situation mit seinem Onkel, der über das Zölibat, also das Versprechen im Christentum ehelos und enthaltsam zu leben, gesprochen hat. Lukas entgegnete darauf “es sei denn man ist asexuell, dann hat man damit kein Problem”, doch sein Onkel sagte, das würde es nicht geben. Lukas erste Reaktion darauf war: “Doch, ich bin das!” Danach wurden ihm zwar respektvoll viele Fragen gestellt, durch die Intimität der Fragen waren sie aber dennoch sehr unangenehm.

Ein generelles Vorurteil gegenüber der queeren Community ist es, dass sie ständig alles labeln müssen. Der Satz “Ihr habt jetzt für alles einen Begriff” ist vielen schon begegnet. Annika sieht sich selbst schon als der Typ für Labels. Sie hätte für ihre sexuelle Anziehung nicht unbedingt eins gebraucht, aber es gehöre halt zum gesellschaftlichen Schubladendenken. In Bezug auf ihr Geschlecht ist sie aber mit keinem Label zufrieden. Die Labels seien zu klar formuliert, da jeder direkt eine klare Vorstellung hat von einer cis-Frau, also eine weiblich gelesen geborene Person, die sich auch als weiblich identifiziert. Damit tut sie sich schwer.

“Ich will mich nicht mit Lord Voldemort identifizieren müssen”

Die Repräsentation der queeren Community in Filmen und Serien ist sehr gering. Vor allem im asexuellen Spektrum (Acespec). Annika erinnert sich noch gut an die Stelle in der Serie Sex Education, als eine asexuelle Figur eingeführt wurde. Sie hatte ein Gespräch mit der Sexualtherapeutin Jean Milburn und wurde dort ihrer Asexualität bewusst. “Ich fands mega gut, weil es super klar formuliert wurde. Es wurde erklärt, was das ist und dabei dann auch mit dem Mädchen von nebenan.” Queere Repräsentation in Filmen und Serien hält sie für sehr wichtig. Für Menschen, die sich als queer identifizieren, aber auch für die gesamte Gesellschaft.

Angebote für queere, junge Menschen in Dortmund
  • Autonomes Schwulenreferat der TU Dortmund
  • LeBiQ der TU Dortmund
  • queerblick
  • Sunrise
  • umgequeert
  • TrIQ-AG Dortmund

Diese Auflistung stammt von dem Dachverband SLADO & garantiert keine Vollständigkeit

Das sieht auch Lukas so: “Hätte es schon vorher mehr Repräsentation gegeben, dann wäre ich mir meiner sexuellen und romantischen Anziehung vielleicht nicht erst mit 21 bewusst geworden.” Oft kommt es vor, dass sich Menschen, die sich zum Beispiel als asexuell identifizieren, dann nach Figuren mit ähnlichen Anziehungen suchen. Dazu gehören zum Beispiel Data aus Star Trek, Todd von BoJack Horseman oder Lord Voldemort. Das Problem ist, dass es sich dabei meist um Bösewichte handelt oder die Figuren nicht menschlich sind. Außerdem wurden die Figuren von den Autor*innen nicht beabsichtigt so dargestellt. Deswegen sagt Lukas: “Ich will mich nicht mit Lord Voldemort identifizieren müssen.”

“Ich würde mir wünschen, dass sich niemand mehr outen muss”

Ein Wunsch von ihm für die Zukunft ist deswegen, dass es zumindest mehr als ein oder zwei asexuelle Personen in der Fiktion geben wird. Das würde auch bei seinem Wunsch helfen, dass Wissen über das gesamte asexuelle Spektrum weiter verbreitet in der Gesellschaft ist. Außerdem sollen im Sexualkundeunterricht auch queere Identitäten behandelt werden und nicht nur die Anatomien und Sexpraktiken von Mann und Frau in einer heteronormativen Gesellschaft abbilden.

Annika sagt: “Ich würd mir wünschen, dass sich niemand mehr outen muss. Nicht nur das Abweichen von der gesellschaftlich vorausgesetzten Norm sollte benannt werden, sondern auch Menschen, die eine sexuelle Anziehung empfinden, also allosexuell sind, sollten das benennen. Einfach damit die Begriffe mehr aufgenommen werden und sich niemand rechtfertigen muss.” Um das Problem mit der fehlenden Aufklärung zu lösen ist für Annika Bildung am wichtigsten. Und das am besten so früh wie möglich. Dazu trägt sie selbst auch jetzt schon bei. Sie arbeitet bei SCHLAU, einem Antidiskriminierungsprojekt, welches vor allem in Schulen aktiv ist. Dort versuchen sie schon im jungen Alter den Kindern geschlechtliche und sexuelle Vielfalt näherzubringen.

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