Johnson kündigt Rücktritt an: Warum der zu spät kommt! Ein Kommentar.

Boris Johnson ist seit Juli 2019 im Amt – also schon drei Jahre. Bei seiner Karriere kann man wirklich von einem Auf und Ab sprechen. Immer wieder gerät Johnson in Kritik – zu Recht. Jetzt stimmt er einem Rücktritt zu, der für mich zu spät kommt. Ein Kommentar.

Am Donnerstag ploppt eine Push-Benachrichtigung nach der anderen auf dem Handy auf. Der britische Premier Boris Johnson habe Medienberichten des Senders Sky und der BBC zu Folge einem Rücktritt zugestimmt. Aber nur als Parteivorsitzender der konservativen Tory-Partei. Premierminister möchte er vorerst bleiben (Stand: 07.07.22; 14:30 Uhr). Für mich ist der richtige Zeitpunkt dazu schon lange vorbei.

Umstrittene Luxusurlaub und spendenfinanzierte Luxusrenovierung

Das erste Mal über ihn diskutiert wurde Ende 2019. Johnson macht einen Luxusurlaub mit seiner damaligen Verlobten, heute Ehefrau, Carrie Symonds. Die Kosten wurden von dem Geschäftsmann David Ross bezahlt. Der tätigt ebenfalls Spenden an die Tory-Partei. Komisch oder? Nach monatelanger Untersuchung kam der Parlamentsausschuss aber zu dem Ergebnis, dass Johnsons Angaben zur Finanzierung der Reise korrekt waren. Trotzdem kann man von der Reise an sich und von der Finanzierung der Reise halten, was man möchte. Für mich ist es nicht notwendig, dass der Premier von Großbritannien Luxusurlaub auf einer Privatinsel macht. Das hat einen faden Beigeschmack, weil der Premier nach meiner Ansicht hier seine Stellung ausnutzt.

Wir schreiben April 2021: Eine der nächsten Debatte rund um Boris Johnson spielt sich ab. Er hat seinen Dienstsitz in der Downing Street luxuriös renovieren lassen. Anscheinend steht Johnson auf Luxus. Er hatte vorher bestätigt, diese Renovierung persönlich gezahlt zu haben. Das stellte sich als Lüge heraus – schon frech, so dreist zu lügen. Die Renovierung wurde maßgeblich mit Mitteln aus einer Spende an die Tories, also seine Partei, finanziert. Von der Spende ist aber nur weniger als ein Viertel ordnungsgemäß deklariert worden, weshalb die Tory-Partei mit einer Geldstrafe von 20.000 Euro bestraft wurden. Da will man nur dem Chef einen schönen Arbeitsplatz ermöglichen, mogelt ein bisschen bei den Parteispenden und schon muss man 20.000 Euro Strafe zahlen, so ein Mist aber auch. Die Renovierungsarbeiten der Dienstwohnung haben im Endeffekt knapp 233.000 Euro gekostet. Erlaubt ist es allerdings nur jährlich rund 35.000 Euro an öffentlichen Geldern zu beanspruchen. Aber so groß ist da die Spanne jetzt auch nicht, es sind ja nur 200.000 Euro Unterschied.

Johnsons Corona-Politik

Die Corona-Pandemie hat Boris Johnson nicht gar nicht gutgetan. Im Mai 2020 geriet sein Top-Berater Dominic Cummings wegen mutmaßlicher Verstöße gegen Corona-Auflagen unter Druck. Johnson stellte sich trotz öffentlicher Empörung hinter ihn. Im November des gleichen Jahres kündigt Cummings dann seinen Rücktritt an – doof gelaufen für Johnson. Später kam es dann zum Streit zwischen den beiden – Cummings wirft dem Premier katastrophale Versäumnisse in der Corona-Politik vor. Und da ist er nicht der Einzige. Auch im Parlamentsbericht wurde Johnson ein schlechtes Zeugnis für seinen Umgang mit der Corona-Pandemie ausgestellt. Demnach war das Hinauszögern eines Lockdowns zu Beginn der Pandemie “eines der größten Versäumnisse im Bereich der öffentlichen Gesundheit” in der Geschichte des Landes. Für mich ist das schon Grund genug, als Premier zurückzutreten. Für Johnson anscheinend nicht.

Was erst Ende 2021 auffliegt, spielt sich wiederum bereits zur Vorweihnachtszeit 2020 ab: in Johnsons Regierungssitz sollen kurz vor Weihnachten mehrere Partys veranstaltet worden sein, während die Bürger*innen vom Großbritannien sich im Lockdown befinden und strenge Maßnahmen befolgen müssen. Menschen konnten damals Angehörige nicht im Krankenhaus besuchen oder sich nicht von ihren Liebsten, die im Sterben liegen, persönlich verabschieden. Und im Regierungssitz wird mit Käse und Wein gefeiert. Das geht gar nicht. Bereits nach diesem Vorfall wird im Parlament der Rücktritt Johnsons gefordert – ich kann das nur nachvollziehen. Boris Johnson muss wegen seiner Teilnahme an einer der Feiern eine Geldstrafe zahlen und ist damit der erste amtierende britische Premier, der wegen eines Gesetzesbruches bestraft wird. Ich finde das einfach nur krass und kann da nur mit dem Kopf schütteln.

Das Verhältnis zu seinen Kolleg*innen

Im November und Dezember des gleichen Jahres folgen die nächsten Schlagzeilen rund um Boris Johnson. Sein Parteikollege Owen Paterson musste im Dezember 2021 wegen einer Lobbyismus-Affäre zurücktreten. Einen Monat vorher mischte sich Johnson noch ein, versuchte das Disziplinarverfahren gegen Paterson zu stoppen. Das sorgte für Empörung in den eigenen Reihen, weswegen Johnson zurückziehen musste. Die Tories verloren daraufhin bei der Nachwahl den Wahlkreis von Paterson an die Liberalen.

Vor wenigen Tagen dann der nächste Schock für mich: Der stellvertretende parlamentarische Geschäftsführer der Tories Chris Pincher hat zwei Männer sexuell belästigt. Deswegen ist er zurückgetreten. Bereits in der Vergangenheit gab es Vorwürfe gegen ihn. Ein Regierungssprecher hatte dementiert, dass Johnson von dem Vorfall wusste. Nach Angaben eines ranghohen früheren Beamten von Johnson soll der aber bereits 2019 über einen entsprechenden Vorfall informiert gewesen sein. Trotzdem hat Johnson ihn in dieses Amt befördert! Zwar erklärt er, es sei rückblickend ein Fehler gewesen. Für mich ist das aber keine Entschuldigung. 

Das Misstrauensvotum

Die sogenannte “Partygate-Affäre” sorgte dann vor Kurzem, genauer gesagt im Juni 2022, erneut für Aufruhr. Boris Johnson muss sich wegen der Weihnachtspartys im Regierungssitz einem Misstrauensvotum stellen. Und: Der Premier überstand die Abstimmung. Allerdings sehr knapp. Mit 211 zu 148 Stimmen muss man allerdings auch sehen, dass sich circa 40% seiner Partei gegen ihn entscheiden. Auch das ist ein wiederholtes Zeichen an Johnson, wie sehr die Partei durch ihn gespalten wird und dass ein Rücktritt vielleicht die klügere Entscheidung wäre.

Und das sehe nicht nur ich so. Aus Protest gegen die Amtsführung des Premier häufen sich in den letzten Tagen die Rücktritte der Tories. Zuerst treten Finanzminister Sunak und Gesundheitsminister Javid zurück. Im Anschluss an diese Rücktritte folgten noch weitere, etwa von den beiden konservativen Staatssekretären Jonathan Gullis und Saqib Bhatti. Die Partei spaltet sich weiter. Javid erklärte in seinem Rücktrittsschreiben, er habe das Vertrauen in den Regierungschef verloren. Er fordert seine Kolleg*innen ebenfalls dazu auf, zurückzutreten. Im Laufe des gestrigen Mittwochs sind mehr als 35 Minister*innen und Staatssekretär*innen zurückgetreten.

Die Einsicht?

Trotz alle dem lehnte Johnson, bis zum heutigen Donnerstagmorgen, immer wieder einen Rücktritt ab. Am gestrigen Mittwochabend stellte er sich den Fragen von Abgeordneten. Auf die Frage, unter welchen Umständen er zurücktreten würde, antwortete Johnson, wenn er das Gefühl hätte, dass die Regierung nicht weitermachen könne. Dieses Gefühl hatte ich schon längst. Bei jedem der gerade genannten Ereignisse konnte ich nur mit dem Kopf schütteln und auf Johnsons Einsicht hoffen. Als Premier hat man große Verantwortung und vor allem eine riesige Vorbildfunktion. Da sollte man keine Partys im Lockdown feiern, seinen Dienstsitz nicht unnötigerweise luxuriös renovieren lassen und vor allem keine sexuelle Belästigung wissend unterstützen!

Dass Boris Johnson seinem Rücktritt zustimmt, ist gut. Für mich ist es nur zu spät. Die Partei ist durch ihn stark gespalten. Einerseits seine Unterstützer*innen und andererseits seine Kritiker*innen. Die Tories müssen wieder zueinanderfinden, auf einen Nenner kommen. Und das ohne Johnson – sowohl ohne ihn als Parteivorsitzender und gerade auch ohne ihn als Premier.

 

Bildquelle: Unsplash

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