„Jede Kilowattstunde hilft“ – Was die Gasknappheit für den Winter bedeutet

Wie wirkt sich die Gasknappheit im kommenden Winter aus? Dominik Möst ist Professor für Energiewirtschaft an der TU Dresden. Im Interview erklärt er, welche Alternativen es zu russischem Erdgas gibt und welche Folgen sie für das Klima und unsere Gasrechnung haben.

Ein Großteil der Menschen in Deutschland leidet aktuell unter den hohen Energiepreisen und der Gasknappheit. Was kommt im Winter auf uns zu?

Wenn Russland weiterhin wie in den letzten Tagen kein Gas mehr über Nordstream 1 liefert, ist es notwendig, die Nachfrage um etwa 20 Prozent zu reduzieren, um eine Gasmangellage zu vermeiden. Das hängt natürlich auch davon ab, wie langanhaltend kalt der Winter wird, da Erdgas in der Wärmeversorgung eine zentrale Roll spielt. Ob wieder Lieferungen aufgenommen werden und sich die Lage entspannt, ist in der aktuellen politischen Situation eher unwahrscheinlich, aber auch nicht undenkbar: Wir dürfen nicht vergessen, dass auch Putin ein Interesse daran hat, weiter Gas zu liefern, da ihm sonst die Einnahmen komplett fehlen. Meine Einschätzung ist, dass wir den gesamten Winter über immer in einer Unsicherheit gehalten werden, wir also nicht wissen, ob das Gas gerade noch reicht oder ob wir weitere Maßnahmen wie die staatliche Zwangszuteilung brauchen. Endkunden wird das Gas sicherlich nicht abgeschaltet werden, aber es kann zu weiteren Einspar-Verpflichtungen kommen.

Der Ökonom Dominik Möst ist Professor für Energiesicherheit an der Technischen Universität Dresden. Foto: Amac Garbe

Auch die Preise werden weiter steigen. Wie viel teurer wird es denn für die Gaskunden?

Normalerweise schlägt sich der Preis für Erdgas-Importe erst etwas verzögert in der Rechnung des Endkunden nieder. Über kurz oder lang werden die hohen Preise aber beim Endkunden ankommen. Von mindestens einer Verdoppelung der Kosten für den Einzelnen würde ich für den nächsten Winter schon ausgehen, tendenziell eher knapp eine Verdreifachung und schlimmstenfalls sogar von einer Vervierfachung.

Deutschland hängt, was Energie und speziell Gas betrifft, extrem von Russland ab. Warum ist das so?

Zum einen ist Gas aus Russland extrem günstig im Vergleich zu vielen anderen Quellen. Das liegt an den natürlichen Förderstätten und der Möglichkeit, das Erdgas über relativ kurze Weg mit Pipelines nach Europa zu liefern. Zum anderen haben Politik und Wirtschaft eine enge wirtschaftliche Verflechtung mit Russland aktiv angestrebt und das als gegenseitige Abhängigkeit gesehen. Das ist auch so, denn auch die russische Seite ist abhängig von den Einnahmen.

Im Angesicht des Kriegs gegen die Ukraine will die Bundesregierung auf russisches Gas möglichst verzichten. Wie ist es momentan um unsere Versorgungssicherheit bestellt?

Wir kommen aus einer Situation, in der Deutschland bis zu 55 Prozent des importierten Erdgases aus Russland bezogen hat. Diesen Anteil des russischen Gases an der Erdgasmenge, die Deutschland insgesamt importiert, haben wir schon deutlich reduziert und zu Teilen durch andere Quellen ersetzt. Ganz ohne russisches Gas auszukommen, ist allerdings immer noch eine große Herausforderung, denn kurzfristig sind die Alternativen für einen vollständigen Ersatz begrenzt. Im kommenden Winter ist es unmöglich, auf russisches Gas vollständig zu verzichten, zumindest ohne enorme Einsparungen auf der Nachfrageseite. Wenn sich die Nachfrage nicht erheblich reduziert, kann die Lage in der Gasversorgung daher sehr angespannt werden.

Die Bundesregierung strebt erst für 2024 an, vollständig auf russische Gaslieferungen zu verzichten. Könnte Russland die ausfallenden Exporte nicht durch steigende Preise kompensieren?

Wenn man jetzt allein auf den Gasmarkt schaut, sehen wir erhebliche Preissteigerungen. Gas kostet dort teilweise das Zehnfache des langjährigen Mittels der letzten 20 Jahre. Die Mengenreduktion, also die Tatsache, dass weniger russisches Gas verkauft wird, wurde zumindest bisher durch den Preiseffekt deutlich überkompensiert. Russland hat aktuell sogar höhere Einnahmen durch Gas als in den vergangenen Jahren, allerdings ist dieser Effekt temporär und wird vermutlich nicht dauerhaft so bleiben.

Während wir also unter der steigenden Inflation leiden und uns mit Blick auf den Winter sorgen, verdient Russland mit weniger verkauftem Gas sogar mehr Geld. Ist der Weg, den die Bundesregierung geht, denn wenigstens längerfristig erfolgversprechend?

Nur auf den Erdgasbezug zu schauen, ist eine zu eindimensionale Betrachtung. Es wird auf jeden Fall einige Jahre dauern, bis Deutschland das Gas aus Russland ersetzt haben wird. Mit der Abkehr von russischem Gas werden wir definitiv Erdgas dauerhaft zu höheren Preisen einkaufen müssen. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite ist es natürlich fraglich, wie man mit einem solchen Partner umgeht, der internationales Recht mit Füßen tritt.

Wenn das Gas immer knapper wird, nimmt auch die Konkurrenz darum immer stärker zu. Stimmt es, dass Deutschland gerade anderen Ländern das knappe Gas vor der Nase wegkauft?

Dabei geht es vor allem um Flüssigerdgas, wobei der korrektere Begriff verflüssigtes Erdgas ist. Dieses verflüssigte Erdgas wird vor allem per Schiff transportiert. Da ist es teilweise so, dass beim Losfahren des Tankers noch nicht klar ist, wer letztendlich der Käufer sein wird. Häufig bekommt dann der Höchstbietende das Gas. Bildlich gesprochen stimmt es also, dass wir anderen Ländern das Gas wegkaufen. Von diesen Auktionen profitieren vor allem die Anbieter fossiler Energien, während Länder wie Deutschland, die stark auf Energieimporte angewiesen sind, an diesen enorm hohen Marktpreisen zu knabbern haben.

Was ist Flüssigerdgas?
Flüssigerdgas, auch LNG (Liquified Natural Gas) genannt, ist extrem kühles Erdgas. Ab einer Temperatur von circa Minus 161 Grad Celsius wird Erdgas flüssig. In diesem Zustand hat es eine deutlich höhere Energiedichte. Das heißt, die gleiche Energie wird in weniger Volumen gespeichert. Laut Professor Möst erleichtert LNG daher vor allem den Gastransport.

Dieses flüssige Erdgas ist eine der viel diskutierten Alternativen zu russischem Gas. Inwieweit könnte es eine sinnvolle Energiequelle sein?

Es kann sicherlich einen wichtigen Beitrag für die Versorgung leisten. Aber die Lieferungen aus Russland wird nur ein Mix unterschiedlicher Quellen ersetzen können. So spielt auch die Erhöhung der Gasproduktion in Europa eine Rolle. In Großbritannien, Norwegen, teilweise auch Niederlanden und in Polen gibt es noch Möglichkeiten die Kapazitäten zu erhöhen. Aber können wir in Deutschland erwarten, dass andere Länder unsere Probleme lösen?

Wir haben also auch in Deutschland eigene Gasvorkommen, die wir nutzen könnten?

Ja, in begrenztem Umfang wäre Fracking in Deutschland möglich und auch Biogas könnte eine stärkere Rolle einnehmen. Allerdings werden beide zusammen nur einen Bruchteil zu unserer Gasversorgung beitragen können.

Das heißt, wir sind in jedem Fall auf Importe angewiesen. Und für diese Importe braucht es im Fall von Flüssigerdgas spezielle Terminals, die die Tanker be- und entladen. Warum ist diese LNG-Infrastruktur in Deutschland bislang so wenig ausgebaut?

In Deutschland gab es in der Vergangenheit immer wieder Debatten um eine LNG-Infrastruktur. Ein wesentliches Argument dagegen war stets, dass es in Europa schon ausreichend LNG-Terminal-Kapazitäten gebe und diese nicht voll ausgelastet seien. Und zu der Zeit hat die Politik auf die gegenseitige Abhängigkeit von Russland gesetzt. Szenarien, die eine Situation wie heute beschrieben haben, wurden damals als unrealistisch eingeschätzt. Und das, obwohl vor dieser Abhängigkeit von russischem Gas immer wieder aus verschiedenen Richtungen gewarnt wurde.

Welchen Beitrag können erneuerbare Energien in der aktuellen Situation akut leisten?

Der Ausbau erneuerbarer Energien hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass fossile Energien wie Erdgas eingespart werden konnten. Daher ist grundsätzlich erhebliches Potenzial vorhanden. Akut hilft uns jede Kilowattstunde, jede Anlage, die zusätzlich gebaut wird. Allerdings reicht das Tempo, das wir an den Tag legen, nicht, um kurzfristig signifikante Mengen an fossiler Energie einsparen zu können. Die Ausbauziele der Ampel-Koalition sind sehr ambitioniert, allerdings gibt es nach wie vor viele Hemmnisse – Stichwort Genehmigungsverfahren, Baukapazitäten und ausgewiesene Flächen.

Die Priorität der Politik ist aktuell aber eher die Versorgungssicherheit. Sie versucht, das russische Gas zu ersetzen. Und es ist mehr oder weniger egal, wie. Fällt das Klima im Moment hinten über?

In der aktuellen Situation, in der Kohlekraftwerken reaktiviert werden, nehmen die CO2-Emissionen in Deutschland wieder zu. Aber Klima ist immer ein globales Thema. Es hilft nicht, wenn wir in Deutschland zum Beispiel Erdöl einsparen, solange global die Erdölvorräte ausgebeutet werden. Wir können das Klima nur schützen, wenn die Energiereserven, die weltweit im Boden verfügbar sind, auch im Boden bleiben. Denn jeder geförderte Liter wird verbrannt. Das ließe sich weltweit entweder über Klimaabkommen erreichen oder wir machen die Vorräte an fossiler Energie ökonomisch so unattraktiv, dass sie nicht weiter ausgebeutet werden. In diesem Szenario wären die erneuerbaren Energien so wettbewerbsfähig, dass sie die Energienachfrage bedienen können.

In dieser Welt befinden wir uns aber noch nicht?

Nein. Weltweit steigt die Energienachfrage weiter stark und fossile Energieträger bedienen diese Nachfrage immer noch zu etwa 75 Prozent. Der CO2-Ausstoß nimmt global also weiterhin zu. Man kann und sollte in Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen, aber die direkten Auswirkungen auf die globalen CO2-Emissionen sind begrenzt.

Deutschland nimmt im Moment aber keine Klimaschutz-Vorreiterrolle ein. Wir suchen aktuell überall Staaten, die wir bitten können, noch mehr Gas zu fördern und an uns zu liefern.

Das Problem ist hier weniger das Erdgas, denn Gas weist im Vergleich zu den anderen fossilen Energieträgern geringe CO2-Emissionen auf. So kann Kohle im Stromsektor durch die Nutzung von Gas eingespart werden. Da Erdgas aktuell sehr teuer ist, nutzen wir stattdessen andere Energieträger, insbesondere Kohle und Öl als Ersatz. Auch deswegen ist davon auszugehen, dass die CO2-Emissionen Deutschlands in diesem Jahr stark ansteigen werden. In den letzten Jahren konnten wir CO2 einsparen. 2019 war Erdgas extrem günstig. Das hat es uns einfach gemacht, stärker auf Kohleförderung zu verzichten. 2020 hat die Corona-Pandemie die Nachfrage nach Energie einbrechen lassen. Mit diesen zwei Sondereffekten hat Deutschland es geradeso geschafft, seine CO2-Einsparziele für 2020 zu erreichen. Schon 2021 haben die CO2-Emissionen im Vergleich zu 2020 wieder zugenommen. In diesem Jahr werden wir nochmal auf einem höheren Niveau als 2021 liegen – vermutlich in etwa in derselben Größenordnung wie 2018.

Jetzt haben wir über die Alternativen zu russischem Gas gesprochen. Was ist aus Ihrer Sicht der richtige Weg, den Deutschland einschlagen sollte, um möglichst gut durch den Winter zu kommen?

Alle Alternativen, die wir zur Verfügung haben, sollten wir nutzen, sowohl auf der Angebotsseite als auch auf der Nachfrageseite.

Nachfrageseite heißt Energiesparen?

Genau, um die Nachfrage zu reduzieren. Das kann durch Verhaltensänderungen, in diesem Fall durch Sparen, oder Investitionen in Energieeffizienz passieren. Schlimmstenfalls reduziert sich die Nachfrage auch durch Geschäftsaufgabe von Betrieben , was aktuell ein Problem in einigen Branchen ist.

Wie groß sind da die Potenziale?

Bezogen auf eine kurzfristige Lösungsmöglichkeit im Erdgasmarkt sehr begrenzt. Die hohen Gaspreise machen Investitionen in Energieeffizienz grundsätzlich attraktiver. Größeres Potential zur kurzfristigen Einsparung von Erdgas bietet der Wechsel des Energieträgers. Dabei wird Gas dann zum Beispiel durch Kohle, Erdöl oder auch Kernenergie ersetzt. Unabhängig davon gilt aber grundsätzlich: Jede Kilowattstunde, die ich einspare oder effizienter nutze, hilft.

 

Beitragsbild: AlexanderStein/pixabay

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