Kritische Presse in Brasilien: Feind im eigenen Land

Ein knappes Jahr liegt der Amtsantritt des brasilianischen Präsidenten Jair Messias Bolsonaro bereits zurück. Nicht nur Bolsonaros rechtsextreme Gesinnung verlieh der neuen Regierung schon damals einen bitteren Beigeschmack.

Eine der größten Tageszeitungen des Landes, die Folha de São Paulo, hatte bereits im Oktober des Vorjahres aufgedeckt, wie Bolsonaros linksgerichteter Konkurrent, Fernando Haddad, in einer groß angelegten WhatsApp-Desinformationskampagne verunglimpft wurde. Mutmaßliche Strippenzieher der Aktion sollen Anhänger Bolsonaros gewesen sein. In einem Video bezeichnete er die Folha de São Paolo daraufhin als „größte Fake-News-Quelle Brasiliens”.

Die jüngsten Opfer der Attacken Bolsonaros waren Journalisten des brasilianischen TV-Senders “Globo”. Sie sollen Ende Oktober über mögliche Verbindungen des Präsidenten zum Mord an der linksgerichteten, lesbischen Stadträtin Marielle Franco berichtet haben. Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung soll Bolsonaro die Journalisten daraufhin in einem Facebook-Live Video als “Lumpen” beschimpft und damit gedroht haben, die Lizenz des Senders nicht weiter zu verlängern. Franco hatte sich unter anderem gegen brasilianische Milizen eingesetzt. Im März 2018 wurde sie in Rio de Janeiro auf offener Straße erschossen.

“Sie wollen es nicht wissen”

„Es interessiert sie nicht, was die internationale Presse sagt. Sie ignorieren es. Sie wollen es nicht wissen“, sagt Fabíola Ortiz. „Aber wenn es um den Umgang mit brasilianischen Journalisten geht, da ändern sich die Dinge, weil die brasilianische Presse jetzt als Feind betrachtet wird.“ Die gebürtige Luso-Brasilianerin schreibt als freie Journalistin hin und wieder Artikel für die Folha de São Paolo und die unabhängige Umwelt-Website oeco.org. Vor vier Jahren hat sie Brasilien verlassen und wohnt nun seit einigen Monaten in Deutschland. Dass Bolsonaros Politik die Berichterstattung verändert, spürt sie auch außerhalb Brasiliens.

Ein großes Problem sei ihrer Meinung nach die Intransparenz der brasilianischen Regierung. Ein prominentes Beispiel: Seit Monaten hält eine Ölpest den nordöstlichen Teil Brasiliens in Atem. Hunderte Strände sind kontaminiert. Für die örtliche Wirtschaft ist das eine Katastrophe, da viele Menschen dort auf den Tourismus angewiesen sind. Auf hundertprozentige Aufklärung vonseiten der Regierung wartet man jedoch bis heute vergeblich. „Wir wissen immer noch nicht, was die Ursache war“, so Fabíola Ortiz.

Kritische Berichterstattung kann Gewalt zur Folge haben

Dass sich die Haltung der Regierung gegenüber Journalisten in den vergangenen Monaten verändert hat, bemerkt auch Matthias Ebert, Leiter des ARD-Studios Südamerika in Rio de Janeiro. Anfang des Jahres wollten Ebert und sein Fernsehteam in einem Unfallkrankenhaus in einem ärmeren, von Gewalt und Schießereien betroffenen Viertel für einen Beitrag drehen. Das neue Gesundheitsministerium des Bundesstaates erteilte ihnen daraufhin eine Absage. „Die Begründung, die wir bekommen haben, war, dass sie nur ein positives Image von Brasilien und von Rio vermitteln wollen und nicht eines, was in dieser Unfallklinik die Konsequenzen der Gewalt zeigt“, so Ebert.

Die Einschränkungen, welche brasilianische Journalisten seit dem Regierungswechsel erleben, gehen in einigen Fällen jedoch offenbar weit über mangelnde Transparenz hinaus. Kritische Journalisten werden laut Reporter ohne Grenzen immer wieder zur Zielscheibe von Beleidigungen, Hetze und Drohungen. Die Anhänger des Präsidenten würden dabei selbst vor körperlicher Gewalt nicht zurückschrecken. So sei beispielsweise eine Reporterin der Newsseite NE10 angegriffen und mit Vergewaltigung bedroht worden, berichtet Reporter ohne Grenzen unter Berufung auf einen Online-Artikel der brasilianischen Vereinigung für investigativen Journalismus.

Gewalt hat Matthias Ebert bisher noch nicht erlebt. Das deutsche Fernsehen sei etwas außerhalb des brasilianischen Kosmos, sagt er. Deswegen habe sein Team immer einen ganz guten Stand. Weniger riskant ist kritischer Journalismus in Brasilien deswegen jedoch nicht. Gefährlich ist laut Matthias Ebert und Reporter ohne Grenzen vor allem Berichterstattung, die illegale Holzfällerei, Goldgräber, Korruption, organisiertes Verbrechen oder Missstände in den Behörden thematisiert. Immer wieder werden Journalisten ermordet, so Reporter ohne Grenzen. Für Medienschaffende wie Matthias Ebert ist auch der Quellenschutz deswegen essenziell. „Wir hatten letztens einen Beitrag gemacht über die illegale Holzmafia im Amazonas und die Brände. Und da hatten wir zum Beispiel einen Interviewpartner, der anonym bleiben wollte, weil er weiß, wenn er sich da exponiert, dann ist das für ihn lebensgefährlich.“

Pressefreiheit auf dem Prüfstand

Dass Präsident Bolsonaro als Freund der Agrarlobby gilt und somit auch die Abholzung des Regenwaldes für landwirtschaftliche Zwecke unterstützt, macht die Situation nicht besser. „Die Fälle von Drohungen nicht nur gegen Umweltschützer, indigene Führer, sondern auch gegen Journalisten und Umweltjournalisten sind explodiert“, sagt Fabíola Ortiz. „Die Stimmung unter den Menschen ist grausamer.“ Berichterstattung in Zusammenhang mit Landrechten sei schwieriger, da Versuche, sich mehr Land anzueignen, nun offiziell unterstützt werden.

Trotz den Einschränkungen, die Journalisten seit Monaten in Brasilien erleben, ist Matthias Ebert der Meinung, dass die Pressefreiheit in Brasilien rein formal noch immer existiere. „Es gibt eine Selbstzensur automatischer Art. Man berichtet nicht immer, weil man sich nicht in Gefahr begeben will.“ In seinen Augen gebe es nur am Rande Versuche, gewisse Stimmungen zu beeinflussen. Ein Prüfstand werde für ihn die Verlängerung temporärer Journalistenvisa sein. Im nächsten Jahr betreffe dies einige seiner Kollegen, die sich auch auf portugiesischer Sprache kritisch äußern.

Obwohl Fabíola Ortiz es sich wünscht, ist sie sich der Pressefreiheit in Brasilien nicht mehr sicher: „Ich habe das Gefühl, dass die Regierung und die Politik enorme Anstrengungen unternommen haben, um die freie Presse in Brasilien zu untergraben.“ Trotzdem sehe sie immer noch Bemühungen einiger unabhängiger Medien, diesen Angriffen entgegenzuwirken. „Es gibt noch etwas Raum für die Pressefreiheit, für investigativen Journalismus und für einen zuverlässigen, professionellen Journalismus in Brasilien. Es ist noch Platz. Dieser Raum schrumpft. Aber es gibt noch Raum, um den man kämpfen kann.“

 

Beitragsbild: unsplash.com 

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