Wie überirdische Technik in den Alltag gelangt

Einige Alltagsgegenstände stammen aus der Raumfahrt, Foto: NASA

Schon bevor Dr. Franziska Zeitler ihr Büro betritt, begegnen ihr Erfindungen, die ursprünglich für das All entwickelt wurden – so wie sie jedem von uns im Alltag begegnen. Die Weltraumforscherin spricht mit KURT über Raumfahrttechnik in der Küche, im Fitnessstudio und beim Kampf gegen den Klimawandel.

Zur Person Dr. Zeitler

Dr. Zeitler, Foto: DLR

Dr. Franziska Zeitler arbeitet seit mehr als 15 Jahren in der Weltraumforschung. Beim Raumfahrtmanagement des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt ist sie als Abteilungsleiterin für den Bereich Innovation und Neue Märkte zuständig. Sie entwickelte unter anderem die Methode „Road to Market“ und seit 2013 die Initiative „Innospace“, die beide zur Förderung von Innovationen und Wissenstransfers beitragen sollen. Damit will sie in den Forschungsergebnissen der Raumfahrt Potentiale für den alltäglichen Markt erkennen und realisieren.

Haben Sie heute schon Weltraumtechnik genutzt?

Dr. Franziska Zeitler:  Ja, tatsächlich schon dreimal. Erst habe ich auf meinem Handy nach dem Wetterbericht geschaut, der durch Satellitendaten unterstützt wird. Später habe ich das Navigationssystem benutzt, auch das basiert auf Satellitentechnologie. Und in meiner Küche steht ein Herd mit Ceranfeld. Das Material des Ceranfelds wurde ursprünglich für astronomische Teleskope entwickelt, die besonders hitzebeständig sein mussten.

Ceranfeld
Die Firma Schott AG hat in den 60er-Jahren Glaskeramik für Weltraumteleskope entwickelt. Durch das Material können Sterne unverzerrt beobachtet werden, weil es hohe Temperaturschwankungen aushält. Anfang der 70er-Jahre brachte die Firma dann Glaskeramik-Kochplatten auf den Markt. Heute findet man die Glaskeramik in Ceran- und Induktionsfeldern. 

Wie kommt es, dass Weltraumtechnik in unserem Alltag auftaucht?

Diese Technologietransfers sind keine Selbstverständlichkeit. Es muss dazu gezielt geforscht werden. Ein Weg kann eine Marktanalyse sein. Das haben wir zum Beispiel beim Verbundmaterial Titan-Matrix-Composite (TMC) gemacht, das in der Luft- und Raumfahrt aufgrund seines niedrigen Gewichts und der hohen Stabilität eingesetzt wird und für den Flugtriebwerksbau konzipiert wurde. Ergebnis war, dass man es neben der Raumfahrt auch für medizinische Implantate und bei hochwertigen Sportgeräten wie Golfschlägern einsetzen kann. Das nennen wir einen Spin-off, weil hier Weltraumtechnik in andere Anwendungsbereiche integriert wird.

Gleitsichtbrille
Die gewöhnliche Gleitsichtbrille gibt es bereits seit den 1950er-Jahren. Doch wirklich individuelle Gleitsichtbrillen existieren erst seit den 2000ern, dank eines Transfers aus der Raumfahrt. Die Schleiftechnik wurde ursprünglich für die ROSAT-Mission entwickelt. Die Mission war von 1990 bis 1999 auf der Suche nach Quellen von Röntgenstrahlen. Dafür waren Spiegel notwendig, die besonders genau geschliffen werden mussten. Die Firma Zeiss entwickelte diese Schleiftechnik, die nun auch bei vielen Gleitsichtbrillen eingesetzt wird.

Was ist ihr Lieblings-Beispiel eines gelungenen Transfers?

In der Raumfahrt werden viele medizinische Tests mit Astronauten gemacht, deswegen gibt es viele Transfers in die Medizin. Die Astronauten der ISS müssten täglich stundenlang Sport treiben, um Muskeln und Skelett trotz der Schwerelosigkeit optimal zu beanspruchen. Weil das aber zu kostspielig wäre, wurde das Trainingsgerät Galileo entwickelt. Nach vier Minuten Trainingszeit erreichen die Astronauten darauf die Muskelaktivität eines 10.000-Meter-Laufs. Der Galileo-Trainer ist im Prinzip eine Rüttelplatte, die heute unter anderem in Fitnessstudios, insbesondere aber im Reha-Bereich eingesetzt wird.

Sono Sens
In der Schwerelosigkeit werden nicht nur Skelett und Muskeln weniger beansprucht, auch die Bewegungsmuster ändern sich. Das verursachte bei Astronautinnen und Astronauten Probleme wie Rückenschmerzen. Forscherinnen und Forscher entwickelten deshalb ein Gerät, dass Fehlbelastungen und Fehlhaltungen erkennt: Sono-Sens. Mittlerweile kommt das Gerät auch auf der Erde zum Einsatz – auch hier kann es Fehlhaltungen erkennen

Gibt es im medizinischen Bereich noch weitere wichtige Technologietransfers?

Viele, zum Beispiel hat das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik einen Algorithmus für die Analyse der Magellanschen Wolke geschaffen. Das ist eine Zwerggalaxie in Nachbarschaft zur Milchstraße. Dieser Algorithmus wurde weiterentwickelt für die Erkennung von Hautkrebs, weil die Struktur von schwarzen Pünktchen auf der Haut so ähnlich aussieht wie die Struktur der Magellanschen Wolke. Dem mathematischen Algorithmus ist es egal, was er analysiert.

Babynahrung
Astronautinnen und Astronauten können nach einem langen Aufenthalt in der Schwerelosigkeit an Knochenschwund leiden. Die NASA suchte deshalb nach Gegenmaßnahmen und fand heraus, dass Omega-3-Fettsäuren helfen können. Die Fettsäuren unterstützen auch bei der Entwicklung des Gehirns und werden deshalb heutzutage in über 90 Prozent der Babynahrung verarbeitet.

Für große gesellschaftliche Debatten sorgt derzeit der Kampf gegen den Klimawandel. Kann Raumfahrttechnik dabei helfen?

Die satellitenbasierte Erdbeobachtung kann einen großen und wichtigen Beitrag leisten, indem durch sie sehr viele Daten und Erkenntnisse über Umwelt, Klima, Wetter und Landwirtschaft generiert werden. Ein großes EU-Raumfahrtprogramm namens Copernicus liefert wichtige Informationen über Klimaindikatoren wie Temperatur- und Meeresspiegelanstieg, Gletscher- und Eisschmelze und auch Ozeanerwärmung. Damit wird Klima-Monitoring möglich. Die Forscher können also die Klimaindikatoren bewerten und eine Klimavorhersage treffen. Die Daten bilden so eine Grundlage für umweltpolitische Entscheidungen. Die Erdbeobachtung macht es auch möglich, den Zustand von Böden zu erfassen. In der Landwirtschaft kann so etwa der Düngerbedarf von Pflanzen ermittelt werden. Übermäßiges Düngen könnte vermieden werden, wodurch die Biodiversität geschützt wird.

Bilder: Titelbild: NASA ; Beitragsbilder: Daniela Arndt und DLR

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