Sportrückkehr nach Corona-Infektion – eine unterschätzte Gefahr?

Täglich infizieren sich trotz Lockdowns noch knapp zehntausend Menschen in Deutschland mit dem Corona-Virus. Der Krankheitsverlauf kann von Person zu Person sehr stark variieren. Max (Name wurde von der Redaktion geändert) hat sich im vergangenen Jahr angesteckt, an Sport war für ihn auch Wochen nach der Infektion nicht zu denken. Warum selbst die Rückkehr in den Freizeitsport enorme gesundheitliche Risiken bergen kann, erklären die Sportmediziner Prof. Dr. Wilhelm Bloch und Sportmediziner und Kardiologe Prof. Dr. Herbert Löllgen.

Mit Training nach Fieber und Infekten ist nicht zu spaßen. Das sollte zum Grundwissen eines Menschen gehören, egal ob Profi-, Amateur oder Freizeitsportler. Aber wenn die die Symptome weg sind, ist der Weg zur sportlichen Betätigung frei, oder? Weit gefehlt. Bei schwereren Krankheiten – wie zum Beispiel bei Covid-19 – sollte man vor dem Wiedereinstieg ins Training noch vorsichtiger sein. Das Virus kann weitaus längerfristige Schäden bergen, als noch vor wenigen Monaten angenommen wurde. 

Diese Spätfolgen hat Student Max knapp fünf Monate nach seiner Infektion überwunden, dennoch ging die Infektion nicht symptomfrei an ihm vorbei. Max infizierte sich im Oktober mit dem Coronavirus und wurde für mehrere Monate im Training zurückgeworfen. Obwohl der 27-jährige Student vor seiner Ansteckung fit und ohne Vorerkrankungen war. Er ist zwar kein Leistungssportler, aber drei bis vier Mal die Woche trainiert er durchschnittlich. Insbesondere auf Trainingsformen, die auf den Einsatz des eigenen Körpergewichtes ausgelegt sind, hat sich der Student der Erwachsenenbildung fokussiert. So war es zumindest bis zu seiner Corona-Infektion im Oktober des vergangenen Jahres. 

Beim Fußballgucken angesteckt

Eigentlich wollte Max nur zusammen mit zwei Freunden ein Champions-League-Spiel am Abend schauen. Trotz höchster Achtsamkeit hatte sich einer der Freunde im Vorfeld unwissentlich mit dem Virus infiziert. Wahrscheinlich auf einer Bahnfahrt zu einem Bewerbungsgespräch, wie Max vermutet. Wenige Tage später kam das offizielle Testergebnis: Alle drei hatten sich mit COVID-19 angesteckt.

Drei Tage nach dem Fußballabend, an dem der Infektionsträger nicht länger als eine halbe Stunde teilnahm, erhielt Max die Nachricht, dass sich der Gesundheitszustand seines Freundes verschlechtert habe. Einige Stunden später wurden die ersten Symptome auch bei Max spürbar. Kopfschmerzen und akute Gliederschschmerzen lähmten den Studenten knapp drei Tage lang. Jede Bewegung schmerzte. 

An Bewegung war nicht zu denken

Auch beim Treppensteigen ist Vorsicht vor Überanstrengung geboten.

Eigentlich ist Max ein sportlicher Typ – groß und athletisch gebaut, der Oberkörper definiert. Wenn er neben Studium und Nebenjob die Zeit findet, geht er pro Woche auch schon vier bis fünf Mal trainieren. Über Joggen, Work-out mit Freeletics und gelegentlichen Mannschaftssport hielt sich der 27-Jährige vor seiner Infektion fit. Doch während seiner Krankheit war für den Studenten der Erwachsenenbildung kaum an Bewegung zu denken. Besonders in den ersten drei Tagen musste er sich ungemein umstellen. „Es ging wirklich gar nichts mehr, außer vom Bett die Treppen herunter aufs Sofa, erzählt Max.

Erst ab dem vierten Tag nahmen die Symptome ab. Es fühlte sich ab diesem Zeitpunkt wie „eine normale Erkältung“ an, erklärt Max: „Ich fühlte mich noch immer ein bisschen verschnupft, der Hals hat immer noch wehgetan, Gliederschmerzen waren auch noch da, aber nicht mehr ganz so schlimm. Kopfschmerzen hatte ich aber trotzdem immer noch“. Auch ein leichtes Schwächegefühl sei noch viele Tage nach dem Infektionsausbruch zu spüren gewesen, sagt er.

Kein Sport bei Erschöpfungssymptomen

Früher bis zu 42 Kilometer, heute Halbmarathon-Distanz:
Herbert Löllgen ist begnadeter Hobbysportler

 Bei Max waren die Symptome eindeutig: Sport war vorerst nicht möglich. Wie sollten sich Betroffene verhalten, die zwar ein positives Testergebnis vorweisen, aber völlig asymptomatisch sind? Herbert Löllgen rät an dieser Stelle generell: Langsam wieder einsteigen. Das gilt für den Profi-, Amateur- und Freizeitsport. Löllgen, selbst passionierter Langstreckenläufer, betreut und untersucht eine Vielzahl von Sportlern während der Covid-19-Pandemie. Er kennt eine Vielzahl von Krankheitsverläufen bei Sportlern.

Auch Wilhelm Bloch rät Freizeitsportlern zum „Schongang“. Das bedeutet nicht, dass sich der Infizierte generell nicht mehr bewegen sollte, insofern es der Krankheitsverlauf überhaupt zulässt. Sollte die Infektion asymptomatisch sein, sei laut Bloch aber noch mehr Vorsicht geboten. „Es gibt Symptome, die erst später auftreten können. Es muss nicht unbedingt eine Herzbeteiligung sein“, erklärt der Sportmediziner. Denn wissenschaftlich ist bewiesen, dass das Virus in erster Linie die Gefäße angreift, die den gesamten Körper und somit auch alle Organe mit Blut versorgen. „Überall, wo sich Gefäße befinden, kann es zu Baustellen kommen“, schildert Bloch. Empfindlich sind dabei vor allem die Lungen und das Herz – dennoch können beispielsweise auch die Nieren geschädigt werden. Da solche Schädigungen vom Infizierten oft erst dann bemerkt werden, wenn ein akutes Gesundheitsrisiko vorliegt, mahnen beide Sportmediziner eindringlich zur Vorsicht. Eine Sportpause von mindestens zwei Wochen sollte eingehalten werden.

Die Experten Löllgen und Bloch
Prof. Dr. Herbert Löllgen ist Ehrenpräsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, Sportmediziner und Kardiologe. Prof. Dr. Wilhelm Bloch ist seit 2004 als Professor am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) tätig.
Wilhelm Bloch warnt eindringlich vor den Folgen verfrühter Belastung.

Es werden immer weitere Schädigungen deutlich

Als die grippeähnlichen Symptome nach wenigen Tagen verschwunden waren, wollte sich Max endlich wieder bewegen. Er fühlte sich gut, wollte wieder trainieren. Akute Rückenschmerzen durchkreuzten seine Pläne aber schnell wieder. Er verspürte Schmerzen, die er bis dato so noch nicht kannte. „Es fühlte sich an, als wenn der Rücken ultra verkrampfen würde“, erklärt er. Tatsächlich treten Rückenleiden nach einer Corona-Infektion nicht allzu häufig auf. „Das ist eigentlich ein extrem seltenes Phänomen, erzählt Herbert Löllgen. Viele wissenschaftliche Befunde existieren hierfür aber noch nicht.

Ein ähnlicher Verlauf lässt sich derzeit auch beim österreichischen Skispringer Stefan Kraft beobachten. Der Weltcup-Gesamtsieger der vergangenen Saison klagt auch Wochen nach seiner Infektion noch über akute Rückenprobleme. Ob das auf eine Stoffwechselveränderung in der Rückenmuskulatur zurückzuführen ist, sei laut Wilhelm Bloch nicht vollständig auszuschließen. Für Max war die Ursache ebenfalls nicht ganz eindeutig.

„Ein ganzer Strauß an Beobachtungen

Sowohl Wilhelm Bloch als auch Herbert Löllgen legen sich fest: Alter und Fitnesszustand des Sportlers sind nur bedingt ausschlaggebend, wie der menschliche Körper das Virus verarbeitet. Es sei vielmehr eine Frage des Immunsystems. „Der Ottonormalverbraucher, der keinen regelmäßigen Sport treibt, wird es unter Umständen gar nicht so merken, dass er sich infiziert hat“, merkt Bloch an. Lediglich chronische Müdigkeit könnte bei einem asymptomatischen Verlauf auf eine Infektion hindeuten. „Vereinzelte Patienten leiden auch an kognitiven Störungen, haben Merkfähigkeitseinschränkungen, ergänzt der Sportmediziner. Das komme gar nicht so selten vor, erzählt er. Damit eröffnet sich „ein ganzer Strauß an Beobachtungen“, so Bloch.

Die Komplexität von SARS-CoV-2
Sport hat eine gewisse schützende Funktion – auch in Hinblick auf den Fettanteil im Körper. Weniger Fettgewebe scheint laut Wilhelm Bloch einen „gewissen Vorteil zu bringen“. Es wird vermutet, dass das Fettgewebe eine mögliche Andockstation für das Virus sei. Die Andockstelle des Virus, die sogenannten ACE2-Rezeptoren, finden sich in Lunge und Herzen – und eben auch im Fettgewebe.

Vorsorgeuntersuchungen sind ratsam

Bevor die Laufschuhe wieder gebunden werden, empfiehlt sich eine Vorsorgeuntersuchung. „Wer wieder mit dem Sport anfangen will, sollte sich einer solchen Untersuchung unterziehen, um weitere Risiken zu vermeiden“, empfiehlt Herbert Löllgen. Sollte ein Restrisiko bestehen, lässt sich das schnell ermitteln. Lungen- und Herzfunktion müssen überprüft werden, ein Ultraschall ist ratsam. Gelegentlich sollten auch die Nierenwerte gecheckt werden. „Das lässt sich aber bei einer relativ einfachen Vorsorgeuntersuchung erkennen“, versichert Löllgen. Erst nach drei bis vier Wochen sollte demnach eine Rückkehr ins alte Trainingsprogramm aufgenommen werden. „Krankheit überstanden, heißt noch lange nicht genesen, heißt noch lange nicht, dass wir keine langfristigen Probleme mehr bekommen“, dämpft Bloch die Erwartungen.

Auch Max hat inzwischen eine Vorsorgeuntersuchung in Anspruch genommen, wenn auch nicht ganz freiwillig. Aufgrund einer Blinddarmentzündung wurde Max einige Wochen später sprichwörtlich auf Herz und Nieren geprüft. Nun versucht er sich langsam wieder auf sein gewohntes Fitness-Niveau zu bringen. Mit Geduld, wie ihm erklärt wurde.

Experten empfehlen den Einsatz von Smartwatches

Smartwatches können bei der Früherkennung einer Infektion hilfreich sein.

Symptome einer Covid-Erkrankung treten häufig erst Tage nach einer Infektion auf. Diverse Daten von Smartwatches können laut diverser Studien aber als eine Art Frühwarnsystem eingesetzt werden. Hierfür misst die Uhr die Herzfrequenzvariabilität.

Die Beobachtung der Werte allein reicht aber nicht, wenn sie nicht richtig ausgelesen werden. Es empfiehlt sich, morgens seinen Ruhepuls zu messen und anschließend zu protokollieren. „Sportler sollten ihren Ruhepulsverlauf kennen, betont Löllgen. Geht der Ruhepuls nicht auf das gewohnte Maß herunter, wäre das ein Hinweis auf eine „latente Entzündung oder Erkältung

 

Bringt der Impfstoff die erhoffte Sicherheit?

Max ist seit seiner Infektion noch vorsichtiger geworden. Treffen mit Freunden finden „nur noch an der frischen Luft“ statt, erklärt er. Aktuell bremst ihn der Heilungsprozess seiner Operation aber ohnehin noch aus. Ehe er wieder in seinen gewohnten Trainingsbetrieb zurückkehren kann, wird es noch einige Wochen dauern. Bis dahin könnte aber zumindest ein beschleunigtes Impfverfahren wieder etwas Kontinuität und Sicherheit in den Sport bringen.

Denn wie in fast allen Lebensbereichen liegt auch beim Sport mittelfristig die Hoffnung auf  den Corona-Impfstoffe. Wilhelm Bloch gibt hier aber zu beachten,  dass je nach Impfstoff das Immunsystem vorübergehend „flachgelegt werden kann. „Zwei bis drei Tage nach der Impfung sollten Sie definitiv keinen Sport betreiben, danach können Sie wieder loslegen“, rät Professor Herbert Löllgen. „Das ist bei Sportlern nicht anders als bei normalen Personen, ergänzt der Sportmediziner.  Ehe jüngere Sporttreibende aber mit einer Vakzine versorgt werden können, sollten sie Vorsicht walten lassen. Denn gerade asymptomatische Krankheitsverläufe könnten schnell zum dauerhaften Spielverderber werden.

 

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