Zu Weihnachten werden wir oft angehalten selbstlos zu sein. Wir sollen Geben statt Nehmen, mehr schenken und an Andere denken. Aber funktioniert das wirklich?
Je näher Weihnachten rückt, desto mehr fühlen sich die Menschen berufen, ihre Großzügigkeit zu beweisen. Wir konsumieren und konsumieren, wir bekommen Geschenke, wir schenken anderen etwas. Wir werden sentimental und rührselig. Auf einmal fällt uns wieder auf, wie gut es uns geht und dann kommt das schlechte Gewissen. Kinder, Tiere, Obdachlose — am liebsten wollen wir doch allen helfen. Aber nur zu unseren Bedingungen. Denn unser hartverdientes Geld geben wir nicht nur aus reiner Herzensgüte, sondern weil wir uns auch besser fühlen wollen. Und allein in diesem Monat habe ich bereits mehrere Szenarien erlebt, die mich ins Grübeln gebracht haben:
Kopfhörer
Im Mensafoyer wurde ein Weihnachtsbaum aufgestellt. Dort konnte man sich einen Wunschzettel nehmen und so einem benachteiligten Kind ein Geschenk machen. Vor dem Baum standen zwei Studentinnen und schauten die kleinen Wunschzettel durch. Die Wünsche der Kinder glichen sich sehr stark. Die meisten wünschten sich Kopfhörer. Die beiden Studentinnen sahen sich an. „Die wünschen sich ja alle nur Kopfhörer. Das find ich nicht gut. Sowas möchte ich nicht zu Weihnachten schenken“ sagte die erste. Die zweite stimmte ihr natürlich zu. Ohne einen Zettel zu nehmen, gehen beide davon, glücklich und zufrieden mit sich selbst. Ihr Gewissen haben sie kurzzeitig bereinigt, immerhin haben sie sich angestrengt, etwas Gutes zu tun.
Das benachteiligte Kind hätte besser daran getan sich etwas Intellektuelles zu wünschen, ein Buch zum Beispiel, das hätten die beiden Studentinnen bestimmt besorgt. Einem Kind etwas zu schenken, wie ein Buch und die damit einhergehende Bildung, ist etwas, mit dem man sich unglaublich gut fühlen kann. Einem Kind Kopfhörer zu schenken, etwas was dem Kind vermutlich Privatsphäre und soziale Akzeptanz geben würde, wäre natürlich kein geeignetes Geschenk.
Kleingeld
Freitags gehe ich arbeiten. Nach 8 Stunden im Büro fahre ich noch anderthalb Stunden nach Hause. Jede Woche stehe ich auf Gleis 3 und warte auf den Zug, der nach Dortmund fährt. Jede Woche sehe ich dieselbe Frau. Sie lebt offensichtlich auf der Straße. Jede Woche fragt sie alle Menschen auf dem Bahngleis nach Kleingeld. Mittlerweile packe ich schon vorher immer etwas Kleingeld in meine Hosentasche und werfe ich ihr ein paar Euro in ihren Pappbecher. Vor kurzem sprach mich ein Mann darauf an, sagte es ergebe doch keinen Sinn ihr Geld zu geben, ich solle ihr lieber was zu essen kaufen, sie kaufe sich sonst eh Alkohol von meinem Geld.
Was sie mit dem Geld macht, weiß ich nicht. Ob ich ihr damit helfe, weiß ich auch nicht. Ich kenne die Frau nicht, ich kenne nicht ihren Namen oder ihre Geschichte. Aber ich gebe ihr Geld. Weil sie mir leidtut. Weil ich mir wünschen würde, dass Leute mir Geld geben, wenn ich auf der Straße leben würde. Weil ich so viel konsumiere und mich schlecht fühle. Ich gebe ihr Geld, weil ich mich nicht über sie stellen möchte. Ich könnte ihr auch ein Salamibrötchen kaufen, aber warum darf sie das nicht selbst entscheiden? Wer hat mich zu der Instanz gemacht, für sie Entscheidungen zu treffen? Vielleicht kaufe ich ihr das 20. Brötchen, aber was bringt ihr das?
Abiturienten
Auf dem Weihnachtsmarkt steht eine Gruppe Abiturienten. Sie singen und sammeln Spenden für ihren Abiball. Auf der anderen Straßenseite sitzt ein Obdachloser. Meine Mitbewohnerin gibt beiden Gruppen etwas Kleingeld. Die Kiste der Abiturienten ist deutlich gefüllter als der Becher des Obdachlosen. Die vorbeiziehenden Menschen treffen die Entscheidung, wer ihre Spende, ihre Wohltätigkeit verdient hat. Menschen müssen diese Entscheidung treffen. Und die hängt nicht davon ab, wer das Geld eher braucht.
Wir geben gern, aber zu unseren Bedingungen
Wir spenden ja für arme Kinder, damit sie zur Schule gehen können und nicht damit sie ins Kino gehen. Und wir geben Obdachlosen kein Geld, weil sie sich davon Alkohol kaufen könnten. Wenn wir etwas Gutes tun, dann knüpfen wir das eng an Bedingungen. Was „gut“ und was „schlecht“ ist, entscheiden wir selbst. Und wenn wir wohltätig sind entscheiden wir, wer Hilfe „verdient“ hat. Also sind wir vor allem bei Kindern spendabel. Aber wer entscheidet denn wirklich wer Hilfe verdient hat? Verdient nicht ein Obdachloser genauso ein gesundes und gutes Leben, wie wir es einem Kind ermöglichen wollen würden? Wohltätigkeit ist eine verzwickte Sache. So viele Faktoren, auch unsere Sozialisierung spielen eine wichtige Rolle, wenn wir wohltätig sind.
Wenn man nicht gerade Millionär ist, kann man auch nicht jedem benachteiligten, armen oder obdachlosen Menschen helfen. Jeder von uns muss für seine Wohltätigkeit Entscheidungen treffen. Und da beeinflussen uns Haltungen, die von Kindesbeinen in uns heranwachsen. Es ist daher leicht zu sagen „Obdachlose geben ihr Geld nur für Alkohol aus.“ „Man muss für sein Geld arbeiten.“ Oder: „In Deutschland muss niemand obdachlos sein.“ Ich habe diese Sprüche alle schon gehört. Von Menschen auf der Straße oder von Verwandten. Diese Ansichten prägen sich schon früh in unser Weltbild ein.
Schenken soll glücklich machen
Unser eigenes Glücksgefühl steht außerdem immer im Hintergrund. Und was wir schenken, sollte uns auch glücklich machen. Jemandem einen Schlafplatz oder Bildung schenken fühlt sich besser an, als jemandem Geld zu geben. Wir denken wir tun da jetzt was Gutes. Oder wir haben Ansprüche an uns selbst. Armen Kindern wollen wir natürlich Bildung und Chancengleichheit ermöglichen und deswegen fühlen sich intellektuelle Geschenke besser an. Das macht uns glücklich.
Auch wenn wir immer wieder gerne betonen wie gerne wir anderen etwas schenken. Selbstlos schenken, geht das überhaupt? Ich glaube nicht. Aber ist das gleichzeitig etwas schlimmes? Nur wenn wir behaupten, dass wir selbstlos sind.
Auch ich bin nicht frei von Egoismus. Vor ein paar Jahren hätte ich es vielleicht auch blöd gefunden, einem benachteiligtem Mädchen, Kopfhörer zu schenken. Und bestimmt hätte ich einem Obdachlosen eher etwas zu Essen gekauft, statt ihm Geld zu geben. Und ich kann Menschen verstehen, die das tun.
Die Sache mit der Selbstbestimmung
Ich glaube an Karma. Ausgleichende Gerechtigkeit. Und das macht mich wohl auch zu einer egoistischen Schenkerin. Ich glaube, dass meine Taten Folgen haben. Und mit meiner Wohltätigkeit verfolge ich kein selbstloses Ziel. Ich gebe anderen Menschen gerne etwas und bin so naiv und glaube, dass ich meine Welt damit ein bisschen besser mache. Ich bin großzügig und wohltätig, weil ich mich dann gut fühle. Und das finde ich nicht schlimm. Aber ich versuche vermehrt für meine Wohltätigkeit keine Bedingungen mehr aufzustellen. Das benachteiligte Kind bekommt Kopfhörer, weil es sich Kopfhörer wünscht. Und weil einfach ein Buch zu schenken in die Selbstbestimmtheit des Kindes eingreifen würde.
Der Obdachlose bekommt Geld von mir, wofür er es ausgibt kann mir egal sein. Ich kaufe Obdachlosen keine Brötchen mehr, denn kann sich diese Person nicht selbst aussuchen, wofür sie das Geld ausgibt?
Die Welt wird sich von einem Euro nicht verändern
Natürlich ist das alles leichter gesagt als getan. Im Endeffekt wird auch niemand die Welt retten, weil er einem Obdachlosen einen Euro gegeben hat. Brecht schrieb in seinem Gedicht „Das Nachtlager“, dass es gut und richtig ist jemanden ein Nachtlager zu geben, aber dadurch werde „[die] Welt […] nicht anders“ und „das Zeitalter der Ausbeutung wird dadurch nicht verkürzt“. Trotzdem sollte man auch nicht aufhören, wohltätig zu sein.
Man sollte sich aber seinen Motiven und Bedingungen klar werden und reflektieren. Armut wird ein strukturelles Problem bleiben, dass sich nicht durch Spenden lösen lässt. Aber wer etwas gegen sein schlechtes Gewissen tun möchte, sollte sich dem wenigstens bewusstwerden. Meiner Meinung nach sollte man sich auch nicht schlecht fühlen, weil man helfen möchte, aber man sollte eben überlegen, ob und warum man an seine Wohltätigkeit Bedingungen stellt. Und vielleicht können wir uns von einigen Ansichten trennen. Davon, wer Wohltätigkeit verdient hat, oder was benachteiligte Menschen als Hilfe verdienen.
Naja, spätestens im Januar, wenn die Weihnachtszeit vorbei ist, ist auch die Wohltätigkeits-Haupt-Saison vorbei. Und dann können wir unser schlechtes Gewissen wieder für ein paar Monate beruhigen.
Beitragsbild: Laura Wunderlich